NSU-Prozess


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206. Verhandlungstag, 19.05.2015 Vorwurf: provokatives Grinsen

Stillstand beim NSU-Prozess: Die Zschäpe-Verteidigung blockiert die Verhandlung mit einem Angriff auf den psychiatrischen Gutachter. Außerdem widerruft ein Neonazi-Totschläger seine brisanten Aussagen.

Von: Thies Marsen

Stand: 19.05.2015 | Archiv

NSU-Prozess: Beate Zschäpe und ihr Verteidiger Wolfgang Heer | Bild: picture-alliance/dpa

Schwere Geschütze haben die Zschäpe-Verteidiger gleich zu Beginn des 204. Verhandlungstages aufgefahren: Ihre Mandantin werde "in ihren Grundrechten verletzt", sie werde "zum Objekt des Verfahrens degradiert". Ziel der Verteidigerattacke ist der gerichtliche Sachverständige Professor Henning Saß.

Verteidigung will Beobachtung Zschäpes durch Gutachter einschränken

Er soll ein psychiatrisches Gutachten über Beate Zschäpe verfassen und nimmt deshalb seit zwei Jahren regelmäßig im Saal A101 des Münchner Justizgebäudes Platz. Sein Job ist es, die schweigende Hauptangeklagte zu beobachten. Doch das will deren Verteidigung in Zukunft deutlich einschränken.

Wenn es nach dem Willen der Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm geht, soll Saß in Zukunft seltener in den Gerichtssaal kommen und zwar nur dann, wenn Reaktionen von Zschäpe "zu erwarten" seien. In längeren Verhandlungspausen soll er außerdem den Saal verlassen und einen anderen Platz im Saal zugewiesen bekommen, damit er Gespräche zwischen Zschäpe und ihren drei Verteidigern nicht so genau beobachten kann.

Der Vorwurf: provokatives Grinsen

Einen entsprechenden Antrag brachten die Verteidigung in die Hauptverhandlung ein. Dabei gehe es nicht nur um die Inhalte der Gespräche, sondern "insgesamt um das Kommunikationsverhalten hier auf der Verteidigerbank", wie Rechtsanwältin Sturm betonte. Ihr Kollege Heer prangerte an, dass Gutachter Saß Gespräche in den Verhandlungspausen beobachtet und sich dazu Notizen gemacht habe, außerdem habe er die Verteidiger dann auch noch "provokativ angegrinst".

Bei den anderen Prozessbeteiligten stieß der Antrag auf wenig Verständnis. "An welchen Teilen der Hauptverhandlung der Sachverständige teilnimmt ist seine Entscheidung", befand Bundesanwältin Anette Greger. "Die Verteidigung hat keinen Anspruch unbeobachtet zu agieren." Auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl konstatierte lakonisch in Richtung Verteidigung: "Wir alle hier im Saal sehen Ihr Verhalten. Und Sie wollen jetzt eine Person, nämlich Herrn Saß ausschließen?"

Götzl lehnt Antrag der Verteidigung ab

Für gänzlich unzulässig hält Nebenklagevertreter Bernd Behnke den Antrag der Verteidigung, denn er unterstelle dem Sachverständigen ein Verhalten, dass er gegen die Strafprozessordnung verstoße.

Richter Götzl versuchte den Verteidigern entgegenzukommen, indem er Professor Saß bat, einen Sitz weiter zu rutschen, doch die Verteidigung beharrte auf einer sofortigen Entscheidung über ihren Antrag. Nach zahlreichen Unterbrechungen lehnte der Senat das Anliegen der Verteidigung schließlich in vollem Umfang ab. Eine gerichtliche Beschränkung der Arbeit des Sachverständigen sei "nicht sachgerecht".

Zeuge aus der Schweiz

Auch die Verteidigung von Ralf Wohlleben war heute mit einem ihrer Ansinnen nur bedingt erfolgreich. Mit mehreren Beweisanträgen versuchen die Rechtsanwälte Klemke und Schneiders zu belegen, dass ihr Mandant nicht in die Beschaffung der Mordwaffe für das NSU-Kerntrio beteiligt war. Laut den offiziellen Ermittlungsergebnissen wurde die Ceska 1993 von Tschechien in die Schweiz exportiert, wo sie irgendwann bei der Firma Schläfli & Zbinden, damals das größte Waffengeschäft der Schweiz, landete.

Schließlich gelangte die Ceska nach Thüringen, wo sie der geständige Angeklagte Carsten S. im Jenaer Szeneladen Madley abholte und den untergetauchten Terroristen nach Chemnitz brachte – auf Vermittlung Wohllebens. Seine Verteidiger versuchen dies nun zu widerlegen und haben dafür mehrere Zeugen aus der Schweiz benannt.

Heute sagte ein mittlerweile pensionierter Beamter der Berner Kantonspolizei aus. Er war für Waffendelikte und die Firma Schläfli & Zbinden zuständig. Allerdings erinnerte sich der Beamte heute vor dem Münchner Oberlandesgericht kaum an Details damaliger Ermittlungen.

Alles Lüge?

Der zweite und letzte Zeuge  des heutigen Verhandlungstages wurde in Handschellen vorgeführt: Der Kasseler Neonazi Bernd T., der bei seinem ersten Auftritt vor Gericht im vergangenen Februar einen bleibenden Eindruck hinterlassen hatte. Damals war er im klassischen Neonaziskinhead-Look aufgetreten, mit grüner Bomberjacke, hohen Schnürstiefeln und dem T-Shirt einer Rechtsrockband.

Bernd T. ist mehrfach vorbestraft, unter anderem weil er als Jugendlicher einen Obdachlosen totgeschlagen hat. Derzeit sitzt er in Untersuchungshaft, weil er einen Mann in seiner Wohnung gefangen gehalten haben soll. In Haft sind seine Haare gewachsen, er trägt zwar noch Bomberjacke, aber sein Tonfall ist deutlich höflicher als beim letzten Mal. Was vermutlich auch daran liegt, dass er sich einen Rechtsbeistand genommen hat – und zwar einen Szeneanwalt: den früheren Vizechef der hessischen NPD, Dirk Waldschmidt.

Was weiß Zeuge Bernd T. wirklich?

Der hat seinem Mandanten offenbar geraten, seine gesamte früheren Aussagen zu widerrufen. Zur Erinnerung: Bernd T. hatte sich im Dezember 2011, wenige Wochen nach der Selbstenttarnung des NSU, aus der Haft heraus bei der Polizei gemeldet und angegeben, er könne konkrete Angaben über Unterstützer des NSU machen, wenn dafür seine Bewährung nicht widerrufen werde.

Als ihn daraufhin Anfang Februar 2012 Beamte des hessischen LKA im Gefängnis besuchten, berichtete er von mehreren Partys und Konzerten, auf denen er die NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt getroffen haben will, einmal sogar in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit dem vorletzten NSU-Mord an Halit Yozgat in Kassel im Jahr 2006.

"Es ging mir nur um Hafterleichterungen"

Doch von all diesen höchst konkreten Aussagen will Bernd T. nun plötzlich nichts mehr wissen. Zum Erstaunen des Senats beteuerte er, in der Vergangenheit aus reinem Opportunismus gelogen zu haben, sowohl in dem Brief, als auch gegenüber dem LKA und auch vor Gericht. Er kenne weder Böhnhardt noch Mundlos noch Zschäpe, habe zu ihnen nie Kontakt gehabt, wisse auch nichts von Unterstützern. Ihm sei es einzig und allein darum gegangen, Hafterleichterungen zu erlangen.

Ausführlich konfrontierte der Senat daraufhin den Zeugen mit seinen früheren Aussagen, was Bernd T. meistens mit: "Hab ich so gesagt. War aber gelogen" kommentierte. Auch die Nebenkläger versuchten den langjährigen Neonazikader zu löchern, der selbst noch im Knast eine Gefangenenhilfsorganisation für rechte Häftlinge gegründet und unter anderem auch einen Brief an Beate Zschäpe geschrieben hatte – ohne Erfolg. Stattdessen entwickelten sich langwierige Dispute zwischen den Prozessbeteiligten. Wie gesagt: Ein Verhandlungstag, der den NSU-Prozess nicht wirklich weiter gebracht hat.


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