NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 219. Verhandlungstag, 20.07.2015
Am 219. Verhandlungstag stehen Beate Zschäpes angestammte Verteidiger im Zentrum des Verhandlungstages - alle drei beantragen ihre Entpflichtung. Richter Manfred Götzl erkennt jedoch keine hinreichenden Gründe dafür - alle Anträge werden abgelehnt.
Die Verteidiger Wolfgang Heer, Wolfgang Stahl und Anja Sturm berufen sich mehrfach auf ihre Schweigepflicht, die es ihnen verbiete, genaue Gründe anzuführen. Mit großer Verspätung wird dann ein weiteres Mal Kay S. vernommen. Der Zeuge lernte Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos über Zschäpe kennen und war an der sogenannten "Puppenaktion" beteiligt. Auch heute beteuert der Zeuge, das Trio nach dessen Untertauchen nicht unterstützt zu haben.
Zeuge:
- Kay S. (Umfeld Angeklagte)
ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal
(Thies Marsen, BR)
Zschäpe in grauem Hosenanzug, die Haare zum Dutt gebunden. Sie sitzt wieder zwischen der Verteidigung des Angeklagten André E. und ihrem neuen Anwalt Mathias Grasel, also abseits von Heer, Stahl, Sturm.
(Christoph Arnowski, BR)
9.45 Uhr.
Zschäpe kommt gut gelaunt, begrüßt Verteidiger von E. und Grasel, mit dem sie sich weiter angeregt unterhält. Sturm, Stahl und Heer haben null Kontakt - wie gehabt.
9:53 Uhr.
Es geht los.
Bundesanwalt Herbert Diemer ist nicht anwesend.
55 Nebenklageanwälte anwesend.
Heer beantragt Aufhebung seiner Bestellung.
(Thies Marsen, BR)
Heer: Ich erfordere die Aufhebung meiner Bestellung, mir ist bewusst, dass einem bestellten Verteidiger auch verfahrenssichernde Funktion zukommt. Bisher von Antrag Abstand genommen, unter gegenwärtigen Bedingungen nicht mehr möglich. Ich habe Sie mehrfach gewarnt. Aufgrund anwaltlicher Schweigepflicht keine weiteren Angaben zur Begründung.
Stahl schließt sich Antrag von Heer an. Begründung: Ich kann die Gründe in vollem Umfang teilen. Unter den jetzt gegebenen Umständen nicht mehr in der Lage, eine ordnungsmäße Verteidigung zu führen.
Sturm schließt sich ebenfalls an: Verteidigung ist nicht mehr möglich.
Gründe sind: Frau Zschäpe bereits bekannt, darüber Hinausgehendes kann ich hier nicht vortragen wegen Schweigepflicht.
Richter Manfred Götzl: Gründe haben wir dann aber keine erfahren, um das hier mal auf den Punkt zu bringen.
Sturm: Ich möchte darauf hinweisen, dass wir hier nicht nur als Auftragnehmer sind, sondern als gleichberechtigte Organe der Rechtspflege. Ich kann als Anwältin versichern, dass entsprechende Gründe vorliegen und insofern aus Sicht der Verteidigern eine Art Entscheidungsprärogative vorliegt.
Heer: Gründe sind gegeben. Ich beabsichtige nicht, mich strafbar zu machen, wegen Schweigepflicht, kann meiner Mandantin auch nicht empfehlen das zu tun.
Götzl: Haben Sie das schriftlich?
Heer: Gerne dazu bereit.
Pause bis 10.30 Uhr.
(Christoph Arnowski, BR)
Zum Antrag der Verteidiger meine Einschätzung, die sich mit der von Justizkreisen deckt: Götzl wird die drei Anträge auf Entbindung des Verteidigungsauftrages ablehnen. Andernfalls wäre der Prozess geplatzt, da der neu bestellte Verteidiger Mathias Grasel allein wäre und nicht eingearbeitet ist. Die Entscheidung wird sicher nicht heute fallen. Es dürfte, nachdem der Antrag formal mit allen Stellungnahmen abgearbeitet ist, mit der Zeugenvernehmung begonnen werden. Das haben wir ja schon öfters so gehabt. Heer, Stahl, Sturm wissen das alles, haben den Antrag aber gestellt, um ihr Gesicht zu wahren. Sie stehen ja jetzt wie die dummen Schulbuben bzw. -mädchen da.
(Ina Krauß, BR)
11.00 Uhr.
Götzl fragt Heer, was er meint.
Heer: Ich denke, Sie wissen, was wir meinen. Wir haben an der Tür darüber gesprochen.
G: Ich würde Sie ausdrücklich bitten, alles zu sagen.
H: Es ist alles gesagt.
G: Ich möchte Sie bitten, alles zu sagen, es offen zu formulieren. Sie haben es hier sehr nachdrücklich gesagt. Mir geht's um den Inhalt und darauf sind Sie nicht eingegangen.
H: Es ist alles Erforderliche in meinem Antrag gesagt.
G: Ich würde gern wissen, was Sie meinen: "dass solche Bedingungen eintreten würden." Wir bemühen uns hier in dem Verfahren um Transparenz. Ich möchte wissen, welche Punkte Sie ansprechen.
H: Sie wissen genau, was ich meine.
G: Sie weigern sich, das mitzuteilen.
H: Zum sechsten Mal, mehr gibt es dazu nicht zu sagen.
(Christoph Arnowski, BR)
Bundesanwältin Anette Greger: Antrag ist zurückzuweisen. Voraussetzung ist das Vorliegen von Umständen, die den Zweck der Verteidigung ernsthaft gefährden. Insbesondere dann, wenn Vertrauensverhältnis ernsthaft und dauerhaft gestört ist. Die Beurteilung liegt dem Vorsitzenden. Verteidiger müssen das darlegen, sind dem aber nicht nachgekommen. Der Vorsitzende kann deshalb nicht entscheiden. Denn damit läge es letztlich im Beurteilungsspielraum der Verteidiger, das durchzusetzen.
(Ina Krauß, BR)
Greger: Die Verteidiger sollen ihre Verteidigung ordnungsgemäß fortsetzen.
(Christoph Arnowski, BR)
Stahl: Die Voraussetzungen, die Sie vorgetragen haben für Entpflichtung, ist schon richtig. Problematisch ist, dass Verteidiger als Organ der Rechtspflege in die Lage versetzt sein muss, aus Gründen der Verschwiegenheit Dinge zu benennen. Man darf nicht Dinge sagen, weil ich mich sonst strafbar mache. Bezugnahme auf den anwaltlichen Berufseid ist schon ernst gemeint.
(Ina Krauß, BR)
Stahl: Ich kann verantwortlich nicht mehr unter diesen Bedingungen weiter verteidigen, das muss das Gericht ernst nehmen.
RA Edith Lunnebach (Nebenklage-Anwältin der Opfer des Anschlags in der Kölner Probsteigasse): Angesichts dessen, dass wir uns alle um Aufklärung bemühen, finde ich das unwürdig, was Frau Zschäpe als Befindlichkeit hier seit Wochen zur Sprache bringt. Das finden auch meine Mandanten. Ich glaube nicht, dass Sie denken, dass Sie damit entbunden werden. Hier geht's darum, dass aufgeklärt werden soll, wie Zschäpe beteiligt ist (Zschäpe schaut sie interessiert an.) und wir wollen uns weiter nicht damit beschäftigen.
RA Andreas Hoffmann (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): Der Antrag muss abgelehnt werden, es reicht nicht aus, einfach etwas zu behaupten und es nicht darzulegen. Wenn Äußerungen, die dem Gericht gegenüber gemacht wurden, uns vorenthalten werden, können wir nicht überprüfen. Man muss sich nicht damit auseinandersetzen. Es muss etwas in den letzten zwei Wochen passiert sein, es ist nicht möglich, dass wir uns damit auseinandersetzen.
RA Mehmet Daimagüler (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen der ermordeten Ismail Yasar und Abdurrahim Özüdogru): Zschäpe sitzt hier, schweigt, Zschäpe kann das jederzeit beenden, kann Anwälte von Schweigepflicht entbinden. Es liegt an ihr, das zu entscheiden.
(Christoph Arnowski, BR)
RA Sebastian Scharmer (Nebenklage-Anwalt der Tochter des ermordeten Mehmet Kubasik): Nicht genug vorgetragen.
RA Eberhard Reinecke: (Nebenklage-Anwalt der Opfer des Anschlags in der Kölner Keupstraße): Wir wissen ja, dass Frau Zschäpe nicht alles ihren Verteidigern gesagt hat. Aber wer sich in einen solchen Blindflug begibt, kann sich hinterher […]
(Ina Krauß, BR)
RA Bernd Max Behnke (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut): Wenn man sich in Risiko begibt, kann man später nicht die Entpflichtung retten.
RA Stephan Lucas (Nebenklage-Anwalt der Tochter des ermordeten Enver Simsek): Es ist erkennbar, dass es keine Gespräche zwischen Zschäpe und ihren drei Ur-Verteidigern gibt.
(Christoph Arnowski, BR)
Lucas: Vierter Verteidiger, weil es das Gericht fürsorglich sieht. Es wird wohl gar nicht ernsthaft versucht, den 143. Stopp hier zu erklären.
(Ina Krauß, BR)
Stahl: Wenn Sie den Antrag von Heer lesen, das ist an den Vorsitzenden gerichtet und hat es so verschriftet. Offizielle Begründung für die Aufhebung war das nicht. Tatsächlich ist es möglich, eine Verteidigerbestellung aus wichtigem Grund aufzuheben, da gibt es Rechtsprechungen dazu. Dies hier ist ein sehr ungewöhnlich großes Verfahren und möglicherweise gibt es Gründe. Wenn drei Verteidiger unter Berufungen auf ihren Berufseid erklären, dass sie die Pflichtverteidigung nicht mehr ausüben können, muss das Gericht entscheiden. Wir können nicht mehr sagen, sonst machen wir uns strafbar.
RA Grasel: Im Auftrag meiner Mandantin kann ich sagen, dass dem Antrag ihrer drei Verteidiger nicht entgegengetreten wird. Meine Mandantin wird sich dazu nicht weiter äußern.
Liest Schreiben von Zschäpe vor:
"Sehr geehrter Richter,
beantrage die Sitzordnung zu ändern. An vorderster Stelle Grasel, dann ich, dann Heer, Stahl dann Sturm, dass die so weit entfernt ist wie möglich. Möchte nicht so nah an Saß [psychiatrischer Gutachter von Zschäpe] sitzen, er kann mich sonst hören. Will, dass Grasel links sitzt, will nicht zu Presse schauen, möchte nah an Sicherheitsbeamten sitzen, falls es unvorhergesehene Zwischenfälle gibt."
(Christoph Arnowski, BR)
"Ich kommuniziere mit Heer, Sturm, Stahl schon seit vielen Wochen nicht mehr, ich werde von Herrn Grasel verteidigt."
(Ina Krauß, BR)
Heer will seinen Platz nicht aufgeben. Begründet das damit, dass er dann nicht mit Sturm und Stahl kommunizieren kann. (Lachen an mehreren Stellen, Götzl ermahnt die Zuschauertribüne, er will in Ruhe vorlesen.)
"Sie haben Ihre Anträge mir zugesandt, aber nicht mit mir besprochen. Mit freundlichen Grüßen.
B. Zschäpe."
(Christoph Arnowski, BR)
Heer: Nehme ergänzend Stellung, Behauptung der Mandantin unzutreffend, ich hätte mich geweigert, meinen Platz zu räumen, und höchst unvollständig.
Götzl: Inwiefern unvollständig?
Heer: Ich kann nicht offenlegen, was mit Frau Zschäpe und Herrn Grasel besprochen wurde, das ist mir von der Berufsordnung verboten, sonst mache ich mich strafbar.
(Ina Krauß, BR)
Jochen Weingarten (Vertretung Bundesanwaltschaft): Uns als erwachsene Menschen mit der Sitzordnung beschäftigen zu müssen, das müssen Sie nun und wir. Ich musste mir das anhören. Götzl soll über Sitzordnung entscheiden.
Daimagüler: War letzte Woche in der Türkei bei Mandantschaft. Die fragt, wer hat unseren Bruder umgebracht? Jetzt muss ich hier über Sitzordnung entscheiden, das ist unwürdig.
Mittagspause bis 12.45 Uhr.
(Thies Marsen, BR)
Weiter erst um 13.15 Uhr.
(Christoph Arnowski, BR)
13.25 Uhr.
Eigentlich sollte es um 13.15 Uhr weitergehen, bisher aber ist der Senat nicht erschienen.
(Ina Krauß, BR)
Vor Ende der Pause das gleiche Bild: Zschäpe spricht mit Grasel. Heer, Sturm und Stahl kommunizieren untereinander, aber nicht mit Grasel und Zschäpe. Grasel schaut zwischenzeitlich auf die Uhr, gähnt, weil nix weitergeht. Es ist jetzt 13.30 Uhr und Senat und Vertreter der Bundesanwaltschaft sind bisher nicht erschienen. Gähnen jetzt auch bei Stahl, Heer und Sturm. 13.45 Uhr - und vom Senat immer noch nichts zu sehen und zu hören.
13.46 Uhr.
Entschuldigung für Verspätung wegen technischer Probleme.
Götzl: Noch vor Entscheidung des Entbindungsgesuchs (von Zschäpe gegen Sturm) hatte Götzl Heer, Stahl und Sturm mitgeteilt, ein vierter Verteidiger würde hinzugezogen. Heer sagte ok, aber ob's was bringt, sei fraglich (sinngemäß).
Eine Kommunikation finde statt, sagte Heer.
Sie würden eine Hinzuziehung des Verteidigers kritisch sehen, es sei zu befürchten, Mandantin würde erneut Antrag auf Entpflichtung stellen. Würde Eindruck erwecken, Zschäpe könnte Pflichtverteidiger auf Gusto entbinden.
Hätten Zschäpe nicht angewiesen, keine Angaben zu machen.
Am 26. Juni lehnte der Vorsitzende Antrag ab.
1. Juli: Heer sagte gegenüber Götzl, er habe mit Zschäpe gesprochen, mit Grasel gesprochen, er habe guten Eindruck. Zu dritt hätten sie Zschäpe Grenzen aufgewiesen. Das ginge jetzt allerdings nicht mehr so einfach (sinngemäß).
Später am 1. Juli teilte Heer telefonisch mit, Zschäpe bitte darum, bis Montag zu warten.
Am 6. Juli wurde Grasel bestellt.
(Christoph Arnowski, BR)
Am 1. Juli teilte Heer mit, dass er mit Zschäpe und Grasel gesprochen habe. Vierter Verteidiger könne dazu führen, dass die Sache nicht beruhigt werde.
Götzl schildert minutiös die verschiedenen Gespräche. Daraus ergibt sich: es gab zwar immer wieder Bedenken und Probleme, aber zu keinem Zeitpunkt Anhaltspunkte für ein Zerwürfnis. Sondern eher Bedenken, dass Zschäpe die neue Situation mit vierten Verteidiger nutzen könne, um wieder Anträge auf Entpflichtung von Frau Sturm zu stellen.
Am 20. Juli kamen vor Beginn die drei Verteidiger und erklärten, Kommunikation mit der Mandantin sei seit mehreren Wochen gestört und sie könnten unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr weiter verteidigen.
(Ina Krauß, BR)
Götzl: Jetzt stellten Sie Antrag auf Entpflichtung, die Kommunikation sei seit Wochen gestört. Es könnte nicht weiter verteidigt werden.
Stahl bittet darum, die Ausführungen von Götzl schriftlich zu bekommen. Götzl sagt, das seien seine Notizen.
Heer: Ich habe zu keinem Zeitpunkt die Verteidigung abgelehnt, kann ich gar nicht, werde mich nicht dazu äußern, weil es nicht im Interesse der Mandantin sei.
Grasel: 5 Minuten Unterbrechung, um das zu besprechen.
Unterbrechung bis 14.00 Uhr.
(Christoph Arnowski, BR)
14.05 Uhr.
Grasel: Stelle für meine Mandantin fest, dass sie keine Kenntnis von den Gesprächen zwischen Ihnen und den Verteidigern hatte. Dass er mit Ihnen über Aussageverhalten gesprochen hat, nimmt sie mit Befremden zur Kenntnis.
(Ina Krauß, BR)
Heer: Haben dienstliche Erklärung verlesen, Stahl, Sturm und ich beantragen, dass sie das Vorgetragene schriftlich in Akte einbringen und wir Akteneinsicht bekommen.
Lucas will, dass jetzt ein für alle Mal über Pflichtverteidigung entschieden wird und mal ein Antrag gestellt wird, in dem alles vorgetragen wird.
(Christoph Arnowski, BR)
Lucas: Sollte doch jetzt mal alles auf den Tisch kommen. Wenn sie nicht informiert war über Gespräche, dann könnte wirklich Zerrüttung vorliegen. Das müsste im Sinne des Verfahren jetzt mal alles besprochen werden, damit nicht in zwei Wochen wieder neue Anträge.
Götzl: Ja, dann Pause bis 14.20 Uhr.
(Christoph Arnowski, BR)
14.45 Uhr.
Götzl: Noch Stellungnahmen?
Heer: Wir haben Vermerk erst auf den Tisch bekommen, wollen beraten, ob wir erwidern sollen. Brauchen geraume Zeit. Muss mir Notizen aus der Kanzlei besorgen.
Stahl: Ich habe auch den Eindruck, dass das eine oder andere anders gesagt wurde, aber ich möchte Ihnen nicht unterstellen, dass Sie etwas falsches gesagt haben. Ich müsste mir auch noch mal das eine oder andere anschauen. Aber das muss ja nicht jetzt sein.
Götzl: Sie haben Ihre Entpflichtung beantragt, ich möchte schon schnell darüber entscheiden.
Stahl: Aber ich habe ja schon gesagt, dass das (die Gespräche mit Götzl) nicht der Grund sind.
Götzl: Ob Sie erwidern wollen, müsste ich schon wissen. Wie lange brauchen Sie? Dann unterbreche ich bis 14.55 Uhr.
(Christoph Arnowski, BR)
15.00 Uhr.
Heer: Zu den Einzelheiten Ihrer Erklärung kann ich nichts sagen, aber eines kann ich sagen: Antrag hängt nicht mit Bestellung eines vierten Verteidigers zusammen.
Stahl: Ich kann nicht unterschreiben, was Sie da gesagt haben. Einiges habe ich anders in Erinnerung, aber steht nur in mittelbarem, nicht in unmittelbarem Zusammenhang, mit dem heute Morgen gestellten Antrag.
Götzl: Wenn über Entbindungsantrag entschieden wird, kommt es auf die Äußerungen von Ihnen an oder nicht?
Heer, Stahl, Sturm beraten sich.
Stahl: Der Sachverhalt ist nicht entscheidungserheblich. Die Gründe für den Antrag sind heute virulent geworden.
Götzl: Die Gründe haben mit diesen Äußerungen nichts zu tun?
Stahl: Auch der Antrag Sitzordnung von Frau Zschäpe hat nichts damit zu tun.
Götzl: Noch Äußerungen?
Götzl: Keine, dann müssen wir noch mal unterbrechen, bis 15.25 Uhr. Ich bitte, pünktlich zu sein!
(Christoph Arnowski, BR)
Götzl referiert noch mal - ähnlich wie in seiner dienstlichen Erklärung - die Umstände und die zeitliche Abfolge der Bestellung von Grasel als vierten Pflichtverteidiger.
Gründe: Der Widerruf ist aus wichtigem Grund zulässig, wenn ordnungsgemäßer Verfahrensablauf gefährdet - zum Beispiel bei Fehlverhalten des Pflichtverteidigers zuungunsten des Angeklagten oder bei zerrüttetem Vertrauensverhältnis. Alle Verteidiger waren zunächst Wahlverteidiger. Punkte, die nachweisen, dass Vertrauensverhältnis nachhaltig gestört ist, werden nicht vorgebracht. Unsubstanziierter Vortrag ist nicht geeignet. Vorsitzender hat keine Grundlage, um zu beurteilen, ob Vertrauensverhältnis nachhaltig und dauerhaft gestört ist.
Heer: Behalten uns vor, noch mal unserer Sicht der Dinge darzustellen.
Drei Minuten Unterbrechung.
Stahl: Wir haben Ihre Entscheidung zur Kenntnis genommen, ich erkläre gleichwohl, dass wir nicht in der kommenden Beweisaufnahme unsere Mandantin ordnungsgemäß verteidigen können.
Götzl: Dann müssen Sie das erläutern.
Stahl: Das Dilemma besteht weiter fort, solange uns Frau Zschäpe nicht von der Schweigepflicht entbindet, kann ich Gründe nicht darlegen.
Götzl: Ich habe keine Entscheidungsgrundlage. Sehen Sie doch mein Problem.
Stahl: Ich sehe Ihr Problem, aber sehen Sie doch auch mein Problem.
Nebenklage-Anwalt: Es geht darum, die Vernehmung eines Zeugen zu verhindern. Das kann nicht sein.
Stahl: Ich verwehre mich gegen diesen Vorwurf, das ist ja der Vorwurf der versuchten Strafvereitelung.
15.42 Uhr.
Götzl: Sie kennen die Protokolle, Sie haben sich vorbereitet, dann bitte den Zeugen Kay S. Gibt es aus Ihrer Sicht noch etwas zu den Angaben vom letzten Mal zu ergänzen?
Zeuge Kay S.: Nein.
G: Haben Sie Kenntnis über Bezahlung von Anwalt von Zschäpe?
S: Habe ich keine Kenntnisse, wurde nicht drauf angesprochen.
G: Kenntnisse, dass Zschäpe sich in den 1990er Jahren um Anwalt bemüht hat?
S: Nein.
G: Geld und Unterstützung, auch darüber hatten wir das letzte Mal gesprochen. Sie hatten gesagt, Sie wären entschlossen gewesen, kein Geld zu geben und hätten das auch in der Szene geäußert (…) Sie haben am 26. Juni .2012 gesagt: "Jemand, es bleibt eigentlich nur Ralf Wohlleben übrig, hat gesagt, ich solle zur Mutter Böhnhardt gehen. Sie hat mir dann Geld gegeben, ich strecke das vor und bekomme es dann wieder."
S: So ähnlich könnte es gewesen sein.
G: Haben Sie damals Geld gehabt?
S: Ich war von der Bundeswehr entlassen worden, hatte Entlassungsgeld und auch gleich wieder Arbeit. Wäre keine Problem gewesen.
G: Ist jemand aus Familie Böhnhardt nochmal auf Sie zugekommen?
S: Nein.
G: Auch darüber hatten wir schon letztes Mal gesprochen, es geht um Vernehmung am 26. Juni 2012: "Als Uwe Mundlos mir sagte, man wolle Sprengstoff besorgen, kam es zu einer verbalen Auseinandersetzung. Man solle sich das überlegen, man sei ja nicht im Krieg."
S: Bruchstücke habe ich noch in Erinnerung. Muss 1996/97 gewesen sein, eher Anfang 1997.
G: Wissen Sie noch, von wem Mundlos den Sprengstoff besorgen wollte?
S: Ich kann mir vorstellen, eher Kameraden aus den alten Bundesländern. Namen sind nicht gefallen.
G: Bleiben bei der Vernehmung: "Beziehung zu Böhnhardt war irgendwann zu Ende, habe 1998 mit Beate gesprochen und hatte den Eindruck, dass auch sie selbst da raus wollte."
(Ina Krauß, BR)
S: Es gab massive soziale Probleme, es wurde massiv gehetzt gegen Beate, es ging um die Familie. Und ich dachte, sie wollte sich abseilen. "Für beide Uwes war die Familie von Beate 'Assis'. Das haben sie kundgetan und es sie auch spüren lassen."
Zschäpe sitzt an Stuhllehne gelehnt, Hände im Schoß, blickt vor sich hin, ihr Anwalt Grasel tippt in Laptop. Keine Regung bei Zschäpe sichtbar.
(Christoph Arnowski, BR)
G: Haben Sie mal mit Stefan A. [Cousin von Beate Zschäpe] gesprochen, ob die Geflüchteten unterstützt werden sollen?
S: Kann gewesen sein, ich habe gesagt, dass ich Sprengstoffattrappen nicht gut finde. Dass ich das nicht unterstütze. Er hat gesagt, die haben doch eine Meise.
G. zitiert: "Wir waren uns einig, dass wir sie nicht unterstützen werden."
S: Es ist lange her, 20 Jahre, kann das nicht so genau sagen.
G: Jetzt hatten wir letztes Mal auch über Puppentorso und Ihre Aussagen gesprochen. Mich würde interessieren, Sie haben geschildert, dass Sie und Wohlleben die Kegel aufstellten. Wo?
S: An jedem Ende der Brücke.
G: Wo haben Sie Schild "Bombe" gesehen?
S: Das erste Mal an der Brücke. Wo sich das Schild befand, weiß ich nicht mehr.
G: Auch Verkehrszeichen aufgestellt?
S: Nein. Es wurden einfach Kegeln aufgestellt und dann weg, mehr ist nicht.
G: Vorhalt aus Vernehmung vom 15. Juli 1996: "Kann mich an ein Wochenende erinnern, da waren Mundlos, Böhnhardt und Wohlleben im 'Winzelclub' und da wurde ich gefragt, ob ich zu einer Feier nach Schwarzbach fahre."
S: Kann so gewesen sein.
(Ina Krauß, BR)
G: Hatten gesagt, Sie waren auf Feier. (Vorhalt aus Vernehmung vom 15. Juli 1996).
Zschäpe nimmt sich ein Blatt und macht sich Notizen, schreibt etwas handschriftlich auf.
S: Also das habe ich schon kundgetan, dass ich auf einer Feier war, die ganzen Namen, Herr Richter, also!
G: Vorhalt: "Es kann um 24.00 Uhr gewesen sein, dass wir nach … Bei Zschäpe Skat gespielt, dann fuhr mich Böhnhardt zu meinem Schlafplatz zu Stefan A."
S: Hier geht es um Morde, Banküberfälle, es geht nicht um Geschichten, die nicht in Ordnung waren, aber niemand geschadet haben, sage ich mal. Ich habe zugegeben, dass ich falsch ausgesagt habe, aber hier nochmal ins Detail zu gehen …
(Christoph Arnowski, BR)
S: Es geht hier um wirklich schlimme Sachen, Mord, Raubüberfälle, da macht es keinen Sinn, über solche Dinge zu reden, bei denen letzten Endes niemand zu Schaden gekommen ist. Ich habe mich entschlossen auszusagen, alles, was ich weiß.
(Ina Krauß, BR)
G: Ich verstehe, dass Sie nach der lange Wartezeit ungeduldig werden, aber ich muss auf einzelne Fragen nochmal eingehen. Waren das die Angaben, die Sie damals gemacht haben?
S: Wenn das da so steht, wird's so gewesen sein. Aber nach so langer Zeit …
G: Erinnerung, ob Sie das durchgelesen und unterschrieben haben?
S: Ich weiß, dass ich bei der Polizei ausgesagt habe, bei Gericht ausgesagt habe, kann mich nicht festlegen, ob ein- oder zweimal bei Gericht.
G: Wurde bei Treffen zwischen polizeilicher Vernehmung und bei Gericht vereinbart, was man sagt?
S: Ich weiß es einfach nicht mehr.
G: Am 16. Oktober ist Urteil ergangen, einige Monate später. Haben Sie noch an Abläufe eine Erinnerung?
S: Nein.
G: Können Sie sich erinnern, Ergebnis des Urteils?
S: Böhnhardt ist verurteilt worden zu Freiheitsstrafe.
G: Auch wegen der Sache mit dem Puppentorso?
S: Weiß ich nicht mehr.
G: Haben Sie sich nach der Zeugenaussage mit anderen besprochen?
S: Sicherlich, aber was genau gesagt worden ist. Ich hatte danach nur noch wenig Kontakt zu den beiden Uwes.
G: Das letzte Mal gesagt: "Ich weiß noch relativ viel, es hat mich betroffen gemacht, ich habe täglich daran gedacht, was für einen Blödsinn ich gemacht habe."
S: Ja, an das Aufhängen der Puppe habe ich ständig gedacht, dass ich gedacht habe, ich hätte damals Nein sagen sollen. Hättste damals Nein gesagt, wäre alles gut gewesen.
Zschäpe macht wieder eine handschriftliche Notiz, legt ihren Block mit dem Zettel dann aber unter ihren Laptop.
G: Wir sind zeitlich fortgeschritten, Sie müssen nochmal kommen. Wir werden Sie erneut laden.
Hinweis
Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.