NSU-Prozess


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NSU-Prozess: Gerichtssaal-Protokoll 257. Verhandlungstag, 21.1.2016

Der heutige Prozesstag beginnt mit einem Zeugen des BKA, der mit der Auswertung des "Paulchen-Panther"-Videos, des NSU-Bekennerfilms, beauftragt war. Am Nachmittag verliest Anwalt Hermann Borchert Beate Zschäpes Antworten auf die zahlreichen Nachfragen zu ihrer Aussage im Dezember.

Von: Eckhart Querner, Julian von Löwis, Tim Aßmann

Stand: 21.01.2016 | Archiv

NSU Prozess Gerichtsprotokoll | Bild: BR

Nach der Zeugenbefragung folgen zwei Anträge der Verteidigung - sowohl Richter Manfred Götzl als auch Richterin Michaela Odersky werden wegen Befangenheit abgelehnt. Am Nachmittag bei der Verlesung der Antworten ergibt sich nicht viel Neues: Zschäpe bleibt dabei, dass sie zwar von den Banküberfällen wusste und diese auch akzeptierte, von den Morden will sie aber immer erst im Nachhinein erfahren und sie stets abgelehnt und verurteilt haben. Sie nennt mehrere Unterstützer des Trios nach deren Untertauchen und beschreibt die Situation in der Zwickauer Frühlingsstraße als extrem und angespannt, wodurch sie alkoholabhängig geworden sei. Sie habe keinen Einfluss auf Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gehabt, die beiden hätten ihr auch nicht restlos vertraut. Sie sei von den beiden sowohl finanziell als auch emotional sehr stark abhängig gewesen und habe sich daher nicht der Polizei gestellt, was sie heute bereue.

Zeuge:

  • Harald D., Bundeskriminalamt (BKA) Wiesbaden (Vermerk aus dem Jahr 2012 betr. Asservatenauswertung)

ARD-Reporter über das Geschehen im Gerichtssaal

(Tim Aßmann, BR)
Vor Beginn: Rechtsanwalt Borchert ist da, nimmt auf der Anklagebank Platz. Zwischen ihm und seinem Kollegen Mathias Grasel ist der Platz für Zschäpe frei. Die kommt mal wieder im anthrazitfarbenen Hosenanzug, rot-weißes Tuch, Haare hochgesteckt, wirkt entspannt, spricht sofort mit Grasel, dreht sich nicht von den Kameras weg.

Beginn: 9.47 Uhr.
Götzl: Wir haben zunächst die Zeugen D. und A. geladen. Im Anschluss würden wir dann zu Ihrer Einlassung kommen.
Rechtsanwalt Borchert nickt.

Zeuge Harald D., 54 Jahre, Kriminalhauptkommissar beim BKA, Wiesbaden.
Götzl: Geht uns um Asservatenauswertungen und Ermittlungen, und zwar um Auswertung Festplatte und Erkenntnisse zum sogenannten NSU-Video: "Paulchen Panther"-DVD. Bitte zunächst Ihr Vorgehen schildern.
D: Wir sind von der BAO "Trio" (Besondere Aufbauorganisation - polizeiinterne Bezeichnung für besonders umfangreiche Ermittlungsgruppe) beauftragt worden, Video genauer anzusehen und auch das Asservat, eine externe Festplatte, Thema: Erstellungsprozess des Videos.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
D: Wir sollten schauen, ob wir was über den Erstellungsprozess des Videos sagen können. Mit unserer Software-Auswertung konnten wir aufdecken, wann ist das letzte Mal daran gearbeitet worden, wir konnten eine Chronologie erstellen und damit den Erstellungsprozess des "Paulchen Panther"-Videos rekonstruieren.

(Tim Aßmann, BR)
D: 526 Video-Dateien auf Festplatte unmittelbar relevant für "Paulchen Panther"-Video, erstes Video aus März 2001, am Anfang Laufschrift "NSU-Manifest", geht um Simsek, man sieht: Hier stellt sich jemand vor.
RA Wolfgang Heer (Verteidiger Zschäpe): Zeuge soll keine eigenen Wertungen vornehmen.
D: Es sind Zeitungsausschnitte zu Taten in dem Video drin, endet mit "Paulchen Panther"-Spruch: "… Wir kommen wieder, keine Frage", Oktober 2001 weiteres Video, hier werden alle bis dahin erfolgten Taten (Simsek, Özüdogru, Tasköprü, Kilic) ...
G: Wir haben das Video gesehen, mir geht's darum, dass Sie Ihre Ermittlungen darstellen.
D: Bei den drei ersten Fällen werden Tatortbilder benutzt, beim letzten, aus München, nicht. Im November 2011 gibt es Datei "Fackel", Bezug zum NSU-Brief "solange sich keine Änderung einstellt, werden Taten fortgesetzt".

(Tim Aßmann, BR)
RA Wolfram Nahrath (Verteidiger Wohlleben) schaltet sich ein, Götzl unterbricht.
Nahrath fragt: Darf ich ausreden?
Götzl: Nein, hatte Ihnen Wort noch nicht erteilt, also bitte!
Nahrath: Ich lass' es bleiben.
Götzl will fortsetzen.
Olaf Klemke (Verteidiger Wohlleben) bittet um Beratungspause.
Fünf Minuten Pause.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 10.11 Uhr.
Klemke beantragt Unterbrechung für zwei Stunden, weil Ablehnungsgesuch gegen Götzl formuliert werden soll.
Pause bis 12.15 Uhr.

(Eckhart Querner, BR)
11.51 Uhr.
Die Unterbrechung verlängert sich um weitere 30 Minuten. Offensichtlich braucht die Wohlleben-Verteidigung für das Erstellen des Ablehnungsgesuchs länger als gedacht.
Fortsetzung der Hauptverhandlung jetzt erst um 12.45 Uhr.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Weiter um 13.21 Uhr.
Nahrath: Wohlleben lehnt den Vorsitzenden Richter Götzl wegen Befangenheit ab.
Begründung: In der heutigen Hauptverhandlung wurde ein Zeuge [D.] vernommen, der das Vorgehen bei der Untersuchung des "NSU-Videos" [Formulierung des Reporters] schildern sollte. Dieser ließ allerdings mehrfach Wertungen und eigene Beweiswürdigungen einfließen. Der Vorsitzende reagierte nicht auf Beanstandungen. Der Vorsitzende kam dem Begehren von Rechtsanwalt Heer nicht nach, dass der Zeuge nur über Tatsachen zu berichten habe. Der Zeuge hat das Video als bedrohlich gewertet und wurde durch Heer beanstandet. Der Vorsitzende teilte mit, dass das Video bekannt sei.
Rechtsanwalt Nahrath betätigte den Mikrofonknopf, doch der Vorsitzende unterbrach ihn, bevor er seine Sache vorbringen konnte. Der Vorsitzende erwiderte mit erhobener Stimme: Nein, er habe ihm noch nicht das Wort erteilt.
RA Nahrath dachte, dass der Vorsitzende ihm das Wort erteilt hätte.
Im bisherigen Verlauf des Prozesses war es Praxis, dass nur im Einzelnen der Vorsitzende das Worterteilen zurückgestellt hat. Nach Freischalten des Mikrofonknopfes durch die Richterbank sei das Wort erteilt worden.
Dies ordnet sich in das Kommunikationsverhalten des Vorsitzenden von gestern ein. Die undeutliche Aussprache des Zeugen wurde von RA Heer beanstandet, dieser wandte sich mit der Bitte an den Vorsitzenden, den Zeugen dazu aufzufordern, nicht mehr zu nuscheln. Der Vorsitzende herrschte RA Heer daraufhin an. Er fühlte sich von Heer persönlich angegriffen, woraufhin RA Heer sich präzisierte, der Zeuge solle mehr die Zähne auseinandernehmen.

Rechtliche Würdigung:

(Tim Aßmann, BR)
Prozessuales Verhalten des Vorsitzenden lässt unseren Mandanten besorgen, dass der Vorsitzende ihm und seiner Sache nicht unvoreingenommen und überparteilich gegenübersteht, hat bewiesen, dass er nicht mehr unvoreingenommen an die Sachaufklärung heran geht. Art und Weise der Reaktion des Vorsitzenden lässt den Schluss zu, dass er persönlich über Verteidigung verärgert ist … Drängt sich Wohlleben der Eindruck auf, dass sachlich gerechtfertigtes Verhalten der Verteidigung den Ablauf der Verhandlung durcheinanderbringt und den Vorsitzenden stört. Wenn Verteidiger barsch unterbrochen werden, stellt das Versagen rechtlichen Gehörs da … Muss Eindruck entstehen, dass der Vorsitzende persönliche Belange über Verfahren stellt …

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Es handelt sich nicht um ein situatives Verhalten, sondern stellt die Grundhaltung des abgelehnten Richters da. Er fühlt sich immer nur persönlich angegriffen. Versuche der Verteidigung, prozessuale Handlungen zu erklären, wurden vom Vorsitzenden mit einem Maulkorb belegt.
Dies spiegelt sich auch in der von der Presse mehrfach verwendeten Formulierung "Abgötzeln" wieder.

Pause bis 14.15 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 14.30 Uhr.
Nicole Schneiders (Verteidigerin Wohlleben) stellt unverzüglich zu stellenden Antrag: Ablehnungsantrag gegen Richterin Odersky. Während das letzte Gesuch von Nahrath vorgelesen wurde, habe Odersky das Gesicht verzogen und geringschätzig gelächelt, als Nahrath Verteidiger als dem Gericht gleichgestellte Organe der Rechtspflege bezeichnet habe.
Schlussfolgerung: Richterin betrachtet Verteidigung nicht als gleichgestellte Organe der Rechtspflege, führt zu Schluss, dass Odersky Wohllebens Interessen geringschätzig gegenübersteht.
Pause bis 14.50 Uhr.

Weiter um 14.51 Uhr.
Stellungnahme Herbert Diemer (Vertreter Bundesanwaltschaft): Werden schriftlich Stellung nehmen, aber dennoch in aller Öffentlichkeit vorab: Unmut ist stets ein schlechter Ratgeber für prozessuale Handlungen, Gesuch gegen Sie ist prozessrechtlich verbrämte Unmutsäußerung. Gesuch zurückweisen, Befangenheit liegt dann vor, wenn begründetes Misstrauen in die Unvoreingenommenheit des Vorsitzenden vorliegt.
Befangenheit des Vorsitzenden anzunehmen, ist schlichtweg abwegig. Er ist derjenige, der das Wort erteilt, kommt nicht darauf an, dass das Mikrofon auf ist.
Zu gestern: Wenn RA Stahl auf rhetorisch spitze Art und Weise suggerierte, Vorsitzender könnte kein Interesse haben, ist das auf das Gröbste ungehörig.
Wenn auf Presse verwiesen wird, fehlt es ganz offenkundig an Argumenten, die im Zusammenhang mit diesem Verfahren stehen.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
RA Wolfgang Stahl (Verteidiger Zschäpe): Ich sehe mich veranlasst klarzustellen: Ich habe gestern nicht, und bislang nicht, zum Ausdruck gebracht, dass ich meine, dass der Senat kein Interesse an einer Aufklärung hat. Dagegen verwahre ich mich.

(Tim Aßmann, BR)
RA Bernd Max Behnke (Nebenklage-Anwalt der Angehörigen des ermordeten Mehmet Turgut): Schließe mich den Worten von Dr. Diemer an, möchte ergänzen, dass die Befangenheitsanträge für mich ohne jeden Belang sind, so kann man nicht wirksam verteidigen … mit Argumenten, die an den Haaren herbei gezogen sind … Was sollen die Opfer von einem solchen Befangenheitsantrag halten? … Muss ein Schlag ins Gesicht sein ... Beantrage, beide Anträge zurückzuweisen … Möchte dem Vorsitzenden mein Kompliment ausdrücken.

Götzl: Zeugen können nicht mehr gehört werden, geht um Stellungnahme von Ihnen, Frau Zschäpe.

(Eckhart Querner, BR)
RA Hermann Borchert: Technische Probleme.
Götzl unterbricht bis 15.10 Uhr.

(Tim Aßmann, BR)
Weiter um 15.16 Uhr.
Borchert verliest im Namen von Zschäpe: Nach Beratung mit meinen zwei Verteidigern Grasel und Borchert beantworte ich Fragen wie folgt:

  • Entgegen der Fragestellung habe ich nicht angegeben, dass ich Alkoholkonsum 2006 eingestellt hätte, begann mit 15, regelmäßig zu trinken, ein zwei Glas Sekt, nach Ende mit Böhnhardt jeden Tag eine Flasche Wein, nach Untertauchen erstmal nicht mehr, ab Polenzstraße dann wieder regelmäßig - heimlich, weil die Uwes dagegen waren, aber Ende 2006 regelmäßig Sekt, erst eine Flasche, dann zwei bis drei über den Tag verteilt, gab aber auch Tage ohne Sekt. Für mich waren die Tage nur mit dem Konsum von Sekt erträglich - wenn beide weg so viel, dass ich angetrunken bzw. betrunken war. Wenn anwesend, dann nicht. Wenn betrunken, schlief ich in Kleidung ein. In Frühlingsstraße weiter getrunken, dort jeder eigenes abschließbares Zimmer. Wenn ich von Straftaten der beiden erfahren hatte, trank ich mehr.
  • Noch nie Drogen [genommen].
  • Noch nie ernsthaft erkrankt, in Jugend zwei gynäkologische Operationen, in Zeit in Frühlingsstraße einmal Radunfall.
  • Clique an "Schnecke" in Jena: Falko, Mike, Corinna, Jens, Nicole, natürlich auch Uwe Mundlos.
  • Zog in Wohnung der Eltern Böhnhardt, nachdem Wohnung meiner Mutter geräumt, später bei Oma, dann Schomerusstr. eigene Wohnung.
  • Einstellung Böhnhardt bei Kennenlernen: War dagegen, dass durch zu viele Ausländer Überfremdung eintritt, war auch gegen Linke, sagte: "Rotfront verrecke".
  • Verehrte Leistung deutscher Soldaten im Weltkrieg, verleugnete KZs nicht. In den letzten Jahren quasi gar nicht mehr über Politik geredet, oft in ausländischen Restaurants gewesen.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
In den ersten Jahren unseres Zusammenseins hatte er das Dritte Reich verherrlicht, er leugnete den Umfang der Konzentrationslager.

(Tim Aßmann, BR)

  • Böhnhardt war Waffennarr, hat nie eine Waffe entsorgt.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Wenn er an einer Waffe kein Interesse mehr hatte, besorgte er sich eine neue.

(Tim Aßmann, BR)

  • Böhnhardt war sehr reizbar und konnte regelrecht ausrasten.
  • Wenn er sich verarscht fühlte, packte er Gegenüber, warf zu Boden, wurde auch mir gegenüber handgreiflich.
  • Uwe Mundlos hatte gleiche politische Einstellung wie Böhnhardt, nicht so gewaltbereit, nie ausgerastet, weil ihm die Argumente nicht so schnell ausgingen.
  • Mundlos hatte anfangs nicht mit Waffen zu tun, waren für ihn Mittel zum Zweck, hatte später jederzeit, genau wie Böhnhardt, Waffe dabei, um sich Verhaftung zu entziehen.
  • Gewaltbereitschaft ergibt sich aus Taten, hätte das vor Mord an Simsek nicht für möglich gehalten.
  • Nochmals betonen, dass ich deren Einstellung zu Waffen und Gewalt nicht geteilt habe und nach wie vor nicht teile, die Gewalttaten, insbesondere die Mordtaten und Bombenanschläge, verurteile ich nach wie vor zutiefst.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Ich war mit Banküberfällen zur Besorgung von Geld einverstanden.

(Tim Aßmann, BR)

  • Freunde von Böhnhardt: Wohlleben, Holger G., André K.
  • Brandt vermutlich 1995 kennengelernt.
  • Für mich war Brandt zentrale Figur.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Ich persönlich konnte ihn nicht leiden und hatte keinen Kontakt. Er hatte überall seine Finger im Spiel.

"Verfälschende Berichterstattung in der Presse"?

  • Nur über die rechte Szene geschrieben und Inhalte nicht korrekt wiedergegeben.

(Tim Aßmann, BR)

  • Konnten vermehrt an Demos teilnehmen, weil uns Brandt finanziell unterstützte, stellte uns auch Propagandamaterial zur Verfügung, gipfelte in Puppentorso und Briefbombenattrappen.
  • Schlüssel zur Garage hatten sowohl Mundlos als auch Böhnhardt, ich muss auch einen gehabt haben, war drei- bis viermal dort, jedoch mit Ausnahme 26. Januar 1998 nie alleine, sonst mit Böhnhardt.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
"Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos haben mir misstraut"?

  • Sie hatten besondere Einstellung zum Gefängnis, Uwe Böhnhardt hat in Haft Erfahrungen mit körperlicher Gewalt und sexuellem Missbrauch gemacht.

(Tim Aßmann, BR)

  • Böhnhardt hatte Erfahrungen und Einstellungen zum Gefängnis, sagte mir, dass er mir grundsätzlich vertraue, aber nicht hundertprozentig, nicht für den Fall, dass ich eingesperrt werde, man könne mich psychisch mürbe machen.
  • Mundlos und Böhnhardt wollten Geld beschaffen und damit nach Südafrika auswandern, hatten über Brandt Kontaktadressen, ich wäre auf keinen Fall mitgegangen, fremde Sprache, zu heißes Klima, meine Ablehnung vielleicht Grund, dass sie mir nicht zu 100 Prozent vertrauten.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Uwe Mundlos warf mir in einem Gespräch vor, auf mich sei kein Verlass, er hat sich später dafür entschuldigt, ich habe ihm das aber nicht ganz abgenommen.

(Tim Aßmann, BR)

  • Hatte vor, mich zu stellen, falls sie ausgewandert wären.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Was hat Uwe Mundlos im Dezember 2000 berichtet?

  • Dass er und Uwe Böhnhardt einen Türken getötet hatten, einen Blumenhändler, auf den sie geschossen haben. Ich war bestürzt und fragte nicht nach Details.

(Tim Aßmann, BR)

  • "Eh alles verkackt" - damit meinte Mundlos, dass für ihn Rückkehr ins bürgerliche Leben nicht mehr möglich und er sich irgendwann das Leben nehmen werde. "Knallender Abschluss" bezog sich auf seinen Suizid, dass er sich niemals festnehmen lassen werde.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Uwe Mundlos war sehr freiheitsliebend und machte jeden Tag Sport.
Wie sah die Pistole aus?

  • Die Pistole kann ich nicht mehr beschreiben, auch anhand der Bilder erkenne ich die Waffe nicht wieder.

Was sagten Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu Köln?

  • Ich verstand nie, ob sie in Köln etwas vorhatten. Ich hatte in der Zeitung von dem Bombenanschlag gelesen, es lag deswegen nahe, sie danach zu fragen.

(Tim Aßmann, BR)

  • Sie erzählten mir, sie hätten Bombe arbeitsteilig gebaut, weiß nicht, wer was gemacht hat.
  • Meinte mit "resigniert", dass sie sich von mir nicht beeinflussen, sich nichts sagen ließen, ich war machtlos.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Ausländerfeindlichkeit?

  • Benutzten Worte wie "Kanacke" oder "Dreckstürke".

(Tim Aßmann, BR)

  • "Beide brauchten mich nicht, ich brauchte sie" - brauchte sie finanziell und emotional, für tägliches Leben, denn sie hatten Geld durch Raubüberfälle. Beide waren nicht nur unterwegs für Straftaten aus Anklage, jährlich auch drei- bis sechsmal ein bis zwei Wochen unterwegs, sagten mir nicht, was sie machen. In emotionaler Hinsicht noch viel mehr abhängig, ich lebte isoliert, sie wurden zur Ersatzfamilie, waren meine einzigen emotionalen Bezugspersonen. Konnte mein Wissen zu den Taten nicht teilen, niemand würde mir glauben, bestand Gefahr, dass sich die beiden umbringen, aus diesem Dilemma fand ich keinen Ausweg.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Dilemma: Niemand würde mir glauben, dass ich an den Morden und Anschlägen der beiden nicht beteiligt war. Ich hätte nicht mit untertauchen dürfen, ich hätte mich damals schon der Polizei stellen sollen.
Meine Wiedersprüche wurden abgetan und ich habe aufgegeben zu argumentieren, dass ihr Handeln unmenschlich sein.

(Tim Aßmann, BR)

  • Habe irgendwann aufgegeben, Gegenargumente vorzubringen.
  • Nach Heilbronn sagten beide, sie hätten Polizisten überfallen, um sie umzubringen. Ausflüchte der beiden: Behaupteten, Überfall auf Polizei leichter als auf Waffenhändler. Ich vermutete, dass etwas anderes dahinter steckte, Thema wurde nicht mehr angesprochen.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Beweise vernichten?

  • Beide wollten nicht, dass bekannt wird, wie wir in den letzten Jahren gelebt haben und sie wollten nicht, dass bekannt wird, wer uns alles unterstützt hat. [Zählt bekannte Namen auf.]

(Tim Aßmann, BR)

  • Zweck der Fahrt mit Böhnhardt, Susann E. und ihren Kindern war Besuch von André E. im Krankenhaus.
  • 4. November 2011: Weiß nicht mehr, welchen Radiosender ich gehört habe, hatte damals gezielt Nachrichten gehört, weil die beiden längst hätten zurück sein sollen. Hatte Angstgefühle, dass eingetreten war, was ich längst fürchtete. Nachricht im Radio war für mich eindeutig, hatte keinen Zweifel, dass es die beiden betraf, ging in Nachricht um Wohnmobil.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Hatten Sie an diesem Tag telefonisch Kontakt?

  • Keinen Kontakt zu den beiden.
  • Uwe Böhnhardt hat sich nie einer anderen Person untergeordnet, nicht Uwe Mundlos und nicht mir.

(Tim Aßmann, BR)

  • Zuvor hatte ich am Abend des 3. November bereits ziemlich viel Sekt getrunken, da schon Gefühl, dass etwas nicht stimmte, weil sie nicht zurück waren. Am Vormittag des 4. November ungefähr eine Flasche Sekt getrunken, am Computer gesessen, Radionachrichten gehört, mehr nicht am Vormittag passiert.
  • Holger G. spielsüchtig, an Gaststätten meist an Automaten, gespielt bis Geld weg.
  • Mundlos, Böhnhardt und ich wurden nach Untertauchen von André E., Volker H., Matthias D., Max-Florian B., Gunter-Frank F., Carsten R. und Mandy St. unterstützt. Kontakt zu E. wurde ab 2006 intensiver, traf sich zwei- bis dreimal im Monat, traf mich auch mit Frau Susann, zwei Bahncards zur Verfügung gestellt, wies mich auch mit Ausweis seiner Ehefrau bei der Polizei aus, benutzte auch Krankenkassenkarte.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Volker H.?

  • Am Tag des Untertauchens getroffen, er gab uns seinen Ausweis, Rucksack und Schlafsack. Ich war der Meinung, dass das Treffen bei seinen Eltern stattfand.

(Tim Aßmann, BR)
Matthias D.: Hatte Wohnung in Frühlings- und Polenzstr. angemietet, Kontakt kam über André E.
Max-Florian B.: Ließ uns in Wohnung wohnen und stellte Reisepass zur Verfügung - für Mundlos.
Gunter-Frank F.: Stellte Reisepass für Böhnhardt zur Verfügung, war für Auswanderung gedacht.
Carsten R.: Er mietete Wohnung in Altchemnitzerstr. an.
Mandy St.: Stellte Krankenkassenkarte für mich.
André K. war bei Untertauchen für uns guter Freund, machte sich gerne wichtig, pflegte Kontakt zu Brandt, hat uns einmal in Limbacherstr. besucht. K. hatte Erlös aus "Pogromly"-Spielen behalten.

  • Kontakt zu Susann E., 2006 kennengelernt, hatten oft Kontakt, war meine Freundin, im Sommer drei-, viermal im Monat gesehen, im Winter weniger.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Ich habe sie mit dem Fahrrad besucht. Waren gemeinsam im Kino.

(Tim Aßmann, BR)
Waren mal zusammen bei Cindy aus Marzahn, bei 95 Prozent der Treffen waren Kinder dabei, tat mir gut, weil ich selbst keine eigenen Kinder bekommen kann.

  • Hatte nicht eine einzige Waffe besorgt, dass sie mir nicht von allen Waffen erzählt haben, die sie besorgt hatten. War überrascht, wie viele Waffen in Frühlingsstraße waren, hatten jeder eigenes Zimmer, Privatsphäre respektiert.
  • Einmal mit Carsten S. in Kaufhaus getroffen, während meiner Anwesenheit wurde dort keine Waffe übergeben. Eine Waffe, an die ich Erinnerung habe, ist diejenige, die Holger G. den beiden gebracht hatte. War nicht bei Übergabe dabei, kann nicht sagen, um welche Waffe es sich handelte, weiß es nur aus Erzählungen. Außerdem habe ich von Uwe Böhnhardt erfahren, dass eine weitere Pistole über Jan W. ("Blood & Honour" Sachsen) geliefert worden sei. Ich meine, mich daran zu erinnern, dass in diesem Zusammenhang auch von einem Schalldämpfer die Rede war. Beschwören kann ich dies aber heute nicht mehr. Des Weiteren habe ich noch in Erinnerung, dass mir Uwe Mundlos 2002 oder 2003 erzählt hatte, dass er eine Pumpgun bei einem "Hermann" in einem Spieleladen in Zwickau besorgt hatte. Heute weiß ich nach Durchsicht der Akte, dass es sich dabei um Hermann Sch. aus Zwickau handeln muss.

Wo waren sie nach Inbrandsetzen der Wohnung? In Eisenach?

  • Ich war nicht in Eisenach, bin von 4. bis 8. November mit der Bahn quer durch Mittel- und Norddeutschland, erst Glauchau, dann Chemnitz, dort Eltern von Mundlos und Böhnhardt angerufen, dann Leipzig, Hannover, Gera usw. War meist nur an den Bahnhöfen, in Halle ein paar Stunden in der Stadt, in Bremen in Internetcafé am Bahnhof, über Halle dann letztendlich in Jena gelandet. Während der vier Tage so gut wie gar nicht geschlafen, eigentlich kopflos von Bahnhof zu Bahnhof gefahren.
  • "Pogromly": Idee von Mundlos, fertigten ungefähr zwanzig Exemplare an, Geld verdienen war einziger Grund für Vertrieb.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
K. hat das Geld behalten, Uwe Böhnhardt war sehr sauer und bezeichnete ihn als "Kameradenschwein", er hätte ihn gerne krankenhausreif geprügelt.

(Tim Aßmann, BR)

  • Taschenlampen-Anschlag in Nürnberg: Habe keine Informationen.
  • Heilbronn: Kann keine Ausführungen zur Auswahl der Polizeibeamten machen.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Persönlichkeit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt:
Uwe Mundlos kenne ich seit 1989/90, Uwe Böhnhardt seit 1994.
13-jähriges Zusammenleben.
Wir befanden uns oft in Extremsituationen.
Ich möchte die vier Jahre in der Frühlingsstraße beschreiben: Zeit von Anspannung geprägt. Wenn es geklingelt hat, musste ich immer die Türe aufmachen. Wenn die Polizei vor der Türe gestanden hätte, hätten die beiden sich auf der Stelle erschossen.

(Tim Aßmann, BR)

  • Schwierigkeit, Mundlos und Böhnhardt zu beschreiben, liegt in den Extremen … einerseits äußerst brutal … Konnten auch liebevoll sein, sowohl mir als auch den Katzen gegenüber ... Böhnhardts gute Seiten waren Grund, weshalb ich ihn geliebt habe. Heute erkenne ich, dass ich seine schlechten Seiten verdrängt oder ignoriert hatte. Die beiden waren sehr gute Freunde, die sich blind aufeinander verlassen haben … Mein Verhältnis zu Mundlos: Bruder und Schwester. Verhältnis zu Böhnhardt beschreibe ich so, dass ich ihn geliebt habe.
  • Mit Böhnhardts drei Treffen, Frühjahr 1999 bis 2002.
  • Ab Sommer 2009 hatte ich immer eine Bahncard, sollte mich bei Kontrolle ausweisen … Lautete auf Susann E., eine zweite lautete auf André E. und wurde von Böhnhardt und Mundlos genutzt.
  • Sprachen uns so an wie auch im Urlaub … sagten zu mir "Liese" oder "Lieschen", Mundlos wurde "Max" und Böhnhardt wurde "Gerry" genannt.

Ende Verlesung.

(Julian von Löwis of Menar, BR)
Borchert im Namen von Zschäpe: Ich werde keine Fragen der Bundesanwaltschaft und der Nebenkläger beantworten.

Götzl frägt nach möglichen Schreibfehlern - es finden sich ein paar.

(Tim Aßmann, BR)
RA Johannes Pausch (Verteidiger Carsten S.): Hatten ja auch drei Nachfragen gestellt, eine beantwortet, noch offen: Kommunikationsablauf auch mit Dritten und wie häufig Kommunikation Trio mit Carsten S.?
Borchert: Werden das notieren und zu späterem Zeitpunkt darauf eingehen. Heute beantworte ich die Frage nicht.

Schluss für heute.

Hinweis

Diese Texte sind eine Auswahl der Mitschriften der Reporter der ARD und des BR während der zentralen Verhandlungstage im sogenannten "NSU-Prozess", eines beispiellosen Verfahrens der deutschen Rechtsgeschichte. Wir dokumentieren diesen "Originalton", weil es in der deutschen Praxis des Strafprozessrechts, selbst bei derartig wichtigen Verfahren, kein offizielles und umfassendes Gerichtsprotokoll gibt. Wir erfüllen damit unsere Informationspflicht, um allen, die keinen der begehrten Sitzplätze im Gerichtssaal erhalten haben, einen - durchaus auch subjektiven - Eindruck der Prozessereignisse zu vermitteln. Die Zusammenfassungen der sogenannten "Saalinfos" unserer Reporter sind redaktionell bearbeitet, zum Teil gekürzt. Es wird kein Anspruch auf Vollständigkeit erhoben und es kann natürlich auch keine Gewähr für die Richtigkeit jedes einzelnen Wortes gegeben werden. Die Redaktion distanziert sich ausdrücklich von den Inhalten der Aussagen der Prozessteilnehmer.


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