291. Verhandlungstag, 28.6.2016 Der nächste Versuch im NSU-Prozess
Schon wieder möchte Beate Zschäpe ihre Pflichtverteidigerin Anja Sturm loswerden und gegen ihren Wahlverteidiger Hermann Borchert austauschen.
28. Juni
Dienstag, 28. Juni 2016
„Hatte Frau Sturm Ihre öffentlich-rechtliche Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Durchführung des Strafverfahrens im Auge, als sie mich wiederholt vor Beginn der Hauptverhandlungstage in der Wartezelle und in der JVA in der ihr eigenen cholerischen Art lautstark anschrie, wenn ich die Taktik des Schweigens und der maskenhaften Regungslosigkeit (was mir allzu oft unglaublich schwer fiel) kritisierte?“, schreibt Beate Zschäpe in dem knapp drei Seiten langen Brief an Richter Manfred Götzl. Das Schreiben liegt dem BR vor. Die Hauptangeklagte im Münchner NSU-Prozess beschwert sich bitterlich über ihre Anwältin.
Zschäpe will Borchert
Hermann Borchert hatte Zschäpe bereits bei ihrem ersten missglückten Ablehnungsgesuch gegen ihre Verteidiger Anja Sturm, Wolfgang Stahl und Wolfgang Heer im Sommer 2014 geholfen und sie auch bei der Ausarbeitung der Erklärung unterstützt, die Zschäpe im vergangenen Dezember verlesen lies. Ihm scheint sie sich voll anzuvertrauen. Auch bei der schriftlichen Beantwortung Zschäpes von Fragen des Gerichts war Borchert mit von der Partie. Vielleicht würde seine Bestellung zum Pflichtverteidiger dazu beitragen, mehr von Beate Zschäpe zu erfahren? Dagegen spricht allerdings, dass das, was sie bisher von sich gegeben hat, von vielen Prozessbeteiligten und Beobachtern als wenig hilfreich bewertet wird. Einige Nebenklagevertreter sagen sogar, Zschäpe habe sich damit selbst geschadet. Der Senat hat über Zschäpes jüngsten Antrag auf Entbindung der Pflichtverteidigerin vom Mandat noch nicht entschieden.
Stahl macht einfach weiter
Zschäpe-Verteidiger Wolfgang Stahl, dessen Verhältnis zur Mandantin ebenfalls zerrüttet ist, machte heute ungeachtet aller Streitigkeiten und Zerwürfnisse weiter seinen Job. Sehr detailliert und fast schon ein wenig bissig befragte er den heutigen Zeugen, einen Polizisten, der Zschäpes Fingerabdrücke auf Zeitungsartikeln nachgewiesen hatte. Diese Artikel sind für die zweite Version des NSU-Bekennervideos abgefilmt worden und haben daher einen klaren Bezug zu den Morden. Auch wenn Zschäpe dieser Befragung keine große Aufmerksamkeit zuteil werden lies sendet Stahls Engagement doch eine klare Botschaft an das Gericht: Die Angeklagte wird von ihren Pflichtverteidigern wirkungsvoll verteidigt.
Ein Schauer geht durch den Gerichtssaal
Als jenes NSU-Bekennervideo mit knapp fünf Minuten Länge heute vorgeführt wurde, war sofort alles wieder präsent. Man sah Fotos der Ermordeten mit verhöhnenden Kommentaren versehen. Bilder von entsetzten Angehörigen unterlegt mit Neo-Nazi-Rockmusik. Ein abscheuliches Video, das aber allen Beteiligten wieder einmal eines unmissverständlich klargemacht hat: Das Gericht muss alles dafür tun, um die insgesamt zehn Morde des NSU lückenlos aufzuklären – dazu gehört eben leider auch der Streit zwischen Beate Zschäpe und ihren Anwälten.