NSU-Prozess


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294. Verhandlungstag, 05.07.2016 Wie die NSU-Mordwaffe identifiziert wurde

Die NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos hatten die Produktionsnummer ihrer Ceska herausgefeilt. Ein Zeuge vom Bundeskriminalamt (BKA) schilderte am 294. Verhandlungstag, wie Profi-Ermittler eine manipulierte Waffe trotzdem sehr schnell identifizieren können.

Von: Thies Marsen

Stand: 05.07.2016 | Archiv

Ceska 83, 7,65 Browning mit Schalldämpfer | Bild: picture-alliance/dpa

Zwei höchst unterschiedliche Zeugen wurden am 294. Verhandlungstag im NSU-Prozess befragt. Erst erläuterte ein Waffen-Sachverständiger vom BKA, wie er die herausgefeilte Produktionsnummer der Mordwaffe Ceska wieder sichtbar gemacht hat. Dann berichtete ein ehemaliger Häftling über ein vertrauliches Gespräch, das er im Gefängnis mit dem Neonazi-Zeugen und Geheimdienstspitzel Tino Brandt geführt haben will - wobei es Zweifel gibt an der Glaubwürdigkeit des Zeugen. Und zuletzt startete die Verteidigung des Angeklagten Ralf Wohlleben einen Generalangriff auf den Mitangeklagten Carsten S., die Ermittlungsbehörden und den Senat.

Wie man die Produktionsnummer wieder sichtbar macht

034678 - so lautet die Waffennummer der Ceska, mit der der NSU neun Menschen ermordete. Mundlos oder Böhnhardt hatte die Nummer zwar herausgefeilt, doch ein Kriminaltechniker machte sie wieder sichtbar - wie, das schilderte er heute vor dem NSU-Prozess: Erst wird die Schleiffläche poliert, dann werden Säuren aufgetragen. Die greifen dort an, wo das Metall der Waffe durch die Prägung der Nummer auch in tieferen Schichten zusammengepresst und damit verändert worden ist. Die Prozedur dauert keinen Tag. Schon am 15. November 2011, also elf Tage nach der Selbstenttarnung des NSU, wussten die BKA-Beamten, um welche Waffe es sich genau handelte: Die Ceska 83 Nr. 034678, mit der Böhnhardt und Mundlos neun Menschen ermordeten.

Zeuge: Neonazi-Geld direkt an NSU

Zeuge will im Gefängnis eine Stunde lang mit Ex-V-Mann Tino Brandt (Bild) gesprochen haben.

Das zweite Thema, mit dem sich Strafsenat des Oberlandesgerichts (OLG) beschäftigte, drehte sich um einen Vorfall, der sich am 17.Juni 2014 im Gefängnis München-Stadelheim zugetragen hat. Der einstige Chef der Neonazi-Kameradschaft "Thüringer Heimatschutz" (THS) und Verfassungsschutzspitzel Tino Brandt - er war so etwas wie ein Mentor der drei späteren NSU-Terroristen - war dort kurzzeitig inhaftiert, um im NSU-Prozess auszusagen. Auf der Krankenstation der Jugendvollzugsanstalt erkannte ihn ein Mithäftling und suchte gezielt den Kontakt zu dem einstigen Neonazi-Führer. Das rund einstündige Gespräch, das er daraufhin mit Brandt geführt haben will, erschien ihm - laut eigener Aussage - so brisant, dass er eine Notiz darüber fertigte. Nach seiner Entlassung aus der JVA vertraute er sich erst seinem Verteidiger und seiner Lebensgefährtin uind schließlich dem OLG an. Am 294. Verhandlungstag wurde er darüber ausführlich vom Vorsitzenden Richter Manfred Götzl sowie von der Wohlleben-Verteidigung und der Bundesanwaltschaft befragt.

Dabei berichtete der Zeuge unter anderem, Brandt haben ihm gesagt, Gelder des THS seien direkt an den NSU geflossen. Das Geld soll außerdem von gleich drei Boten überbracht worden sein. Bislang waren nur zwei bekannt: der Jenaer Neonazi André K. und der Angeklagte Carsten S.

Brandt täuschte angeblich Erkrankung vor

Der Zeuge lieferte darüber hinaus Einblicke in Brandts Gedankenwelt, die von Ausländerhass und Missachtung der Justiz geprägt sei. So soll er den NSU-Prozess als "Faschingsveranstaltung" bezeichnet und eine Hepatitis-Erkrankung vorgetäuscht haben, um nicht aussagen zu müssen. Allerdings dürfte das weder für die Angeklagten im NSU-Verfahren noch für Brandt selbst strafrechtlich von Relevanz sein. Zudem gibt es Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen, unter anderem weil bei einem schweren Unfall Teile seines Gehirns beschädigt wurden und er seitdem emotional gehandicapt ist.

Wohlleben-Verteidigung: NSU-Geld direkt vom Verfassungsschutz

Wohlleben-Verteidigerin Nicole Schneiders

Zum Abschluss des Verhandlungstages startete die Wohlleben-Verteidigung einen Generalangriff gegen den Mitangeklagten Carsten S. sowie gegen die BKA-Beamten, die ihn im Zuge der Ermittlungen befragt hatten. Zum Hintergrund: Carsten S. belastet Wohlleben schwer, indem er ihn beschuldigt, die Beschaffung des Mordwaffe in Auftrag gegeben zu haben. Carsten S. habe jedoch nur Erinnerungen "generiert", die keine seien, um ihren Mandanten zu belasten, führte nun dessen Verteidigerin Nicole Schneiders in einer Erklärung aus. Ihr Mandant sei ein "vorgeschobener Sündenbock". In ihren Einlassungen, die sich wie ein vorgezogenes Plädoyer anhörten, stellte Schneiders die These in den Raum, das Geld für die Mordwaffe könne von Brandt gekommen sein und somit "direkt vom Verfassungsschutz".

Ihr Kollege Olaf Klemke warf BKA und Bundesanwaltschaft vor, einseitig und vorteilsbeladen ermittelt zu haben. Dieses Vorgehen ziehe sich hinein bis in die Hauptverhandlung: "Wir fürchten bis ins Urteil."


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