338. Verhandlungstag, 19.1.2017 Carsten S., der Kronzeuge
Die letzten Verhandlungstage wurden durch das Gutachten über die Hauptangeklagte bestimmt, doch auch ein anderer Angeklagter wurde im NSU-Prozess bereits begutachtet und dieser hat, ganz anders als Beate Zschäpe, umfangreiche Angaben gemacht.
19. Januar
Donnerstag, 19. Januar 2017
Wenn Kameras im Saal sind zieht Carsten S. eine Kapuze über und beugt den Kopf tief nach unten. Der Szene-Aussteiger ist im Zeugenschutzprogramm, er muss offenbar um seine Sicherheit fürchten. Er ist der Hauptbelastungszeuge gegen den Mitangeklagten Ralf Wohlleben. S. gestand bereits zu Beginn des Verfahrens, die Ceska-Pistole gekauft und dem NSU überbracht zu haben – mit dieser Waffe sollen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos neun Menschen erschossen haben.
Der Auftrag für die Beschaffung sowie das Geld dafür seien von Ralf Wohlleben gekommen. Dieser bestreitet den Vorwurf. Dass Wohlleben allerdings trotz mehrfacher Anträge seiner Anwälte immer noch in Untersuchungshaft sitzt, könnte als Zeichen dafür gewertet werden, dass das Gericht die Schilderungen von S. als glaubwürdiger einstuft als die Angaben von Wohlleben.
Jugendstrafrecht für Carsten S.
Im Gegensatz zu Beate Zschäpe hat Carsten S. mit seinem Gutachter gesprochen. Der Psychiater Norbert Leygraf beschreibt ihn als ängstlichen und zurückhaltenden Menschen. Zeugen, die S. als Mitglied der Rechten Szene kannten, beschrieben ihn dagegen auch als charismatische Führungsfigur. Wie passt das zusammen?
S. hat Anfang der 2000er mit der Szene gebrochen und ist ausgestiegen. Er ist homosexuell und konnte dies mit der Gesinnung seiner damaligen Neonazi-Freunde nicht mehr in Einklang bringen. Er war danach lange Zeit in Behandlung, machte eine Psychotherapie. Auch die Beschaffung der Tatwaffe bereue er sehr, S. entschuldigte sich bei den Angehörigen der Opfer. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Beihilfe zum Mord in neun Fällen vor, hält seine Aussagen aber auch für glaubwürdig. Wegen fehlender Reife ist bei Carsten S. das Jugendstrafrecht anzuwenden, schlussfolgert der Gutachter Norbert Leygraf.