NSU-Prozess


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355. Verhandlungstag, 30.3.2017 Riskanter Antrag

Die beiden Vertrauensverteidiger von Beate Zschäpe wollen beweisen, dass ihre Mandantin schuldunfähig ist. Das geht ihren Angabe zufolge aus dem Gutachten des Freiburger Psychiaters Joachim Bauer hervor, dessen Ladung heute Rechtsanwalt Matthias Grasel beantragt hat. Ein Vorstoß, den viele Prozessbeobachter für hochriskant halten.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 30.03.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

30 März

Donnerstag, 30. März 2017

Über zwölf Stunden hat sich die Hauptangeklagte im NSU-Prozess laut ihrem Vertrauensverteidiger Grasel bei mehreren Treffen von Bauer befragen lassen. Dabei habe sie Dinge berichtet, die sie im Prozess bisher verschwiegen habe. Grasel nannte das Verhältnis zu ihrer Mutter und zu ihren langjährigen Gefährten im Untergrund Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.  Böhnhardt habe sie demnach mehrfach schwer körperlich misshandelt. Der Sachverständige Bauer komme deshalb auf 48 Seiten zu dem Schluss, dass zu allen Tatzeitpunkten eine schwere dependente Persönlichkeitsstörung bestanden habe. Einer Erkrankung also, bei der sich laut einschlägigen Fachartikeln die Betroffenen passiv und unterwürfig verhalten, wenig Selbstbewusstsein haben, insgesamt zu einer depressiven Stimmung tendieren. Damit hält Grasel die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Schuldunfähigkeit erfüllt.

Psychiatrie statt Gefängnis?

Beate Zschäpe sei bereit, Professor Bauer von seiner ärztlichen Schweigepflicht zu entbinden, beendete Grasel seinen Antrag. Er hofft offensichtlich, damit das Gutachten des vom Gericht bestellten Gutachters Henning Saß entkräften zu können, der Zschäpe die volle Schuldfähigkeit bescheinigt hatte. Allerdings ohne eigene Exploration, also Gespräch mit ihr, sondern allein gestützt auf seine Beobachtungen, die er im Prozess gemacht hat. Wenn das Gericht, was freilich längst nicht ausgemacht ist, tatsächlich der These der Schuldunfähigkeit folgen sollte, hätte das für Zschäpe einen hohen Preis. Ein Gefängnisaufenthalt bliebe ihr erspart, stattdessen drohte ihr dann aber die Einweisung in die geschlossene Psychiatrie, und zwar auf unbestimmt Zeit. Das sei, so war hinterher auf dem Gerichtsvorplatz vielfach zu hören, eigentlich weit schlimmer als eine zeitlich befristete Gefängnisstrafe.

Der Offenbarungseid von Zschäpes Vertrauensanwälten?

Wie ist so ein riskanter Antrag zu erklären? Es scheint, als glaubten Rechtsanwalt Grasel und sein Kollege Borchert selbst nicht mehr an den Erfolg ihrer Verteidigungsstrategie. Die bestand darin, nicht länger, wie von den Alt-Verteidigern empfohlen, zu schweigen, sondern Einlassungen zur Sache zu machen.  Die Grundaussage von Zschäpe, sie habe immer erst hinterher von den Taten erfahren und sich wegen ihrer Liebe zu Böhnhardt nicht aus dem Leben im Untergrund lösen können, überzeugte aber kaum einen im Gerichtssaal. Eine Verurteilung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe hielten zuletzt immer mehr Prozessbeobachter für das wahrscheinlichste aller möglichen Urteile.

Jetzt ist das Gericht am Zug

Das Gericht erkundigte sich  zwar gleich, ob Bauer nächste Woche zur Verfügung stünde, ließ aber offen, ob es ihn als Gutachter oder nur als sachverständigen Zeugen anhören will. Dass der Münchner Staatsschutzsenat  jetzt dem Gutachten von Saß, der als einer der renommiertesten Vertreter seiner Zunft gilt, keinen Glauben mehr schenken könnte, scheint ohnehin mehr als fraglich.


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