361. Verhandlungstag, 3.5.2017 Wie gestört ist Beate Zschäpe?
Seit Wochen geht es im NSU-Prozess fast nur noch um die Psyche der Hauptangeklagten. Heute legte der Freiburger Psychiater Prof. Joachim Bauer sein Gutachten vor. Ergebnis: Zschäpe war psychisch gestört.
03. Mai
Mittwoch, 03. Mai 2017
Die mutmaßliche NSU-Terroristin Beates Zschäpe leidet unter einer schweren dependenten Persönlichkeitsstörung und sie ist deshalb nur vermindert schuldfähig - zu diesem Schluss kommt der Freiburger Psychiater Professor Joachim Bauer in einem Gutachten, das er heute im NSU-Prozess vorgelegt hat. Bauer widerspricht damit dem offiziellen Gerichtsgutachter Professor Henning Saß. Denn der hatte Beate Zschäpe volle Schuldfähigkeit attestiert.
14 Stunden Gespräche mit Zschäpe
Im Gegensatz zu Saß, dem Zschäpe jedes Gespräch verweigerte, durfte Bauer die Angeklagte ausführlich befragen - bei insgesamt sieben Besuchen in der Justizvollzugsanstalt München-Stadelheim. Dabei habe Zschäpe eine geradezu kindlich anmutende Offenheit an den Tag gelegt, so Bauer. Seelisch belastende Themen habe sie dagegen nur ungern mit dem Psychiater besprochen und sich vieles nur aus der Nase ziehen lassen - unter anderem deshalb gehe er davon aus, dass ihre Angaben durchaus glaubwürdig seien - was Nebenklage-Vertreter Yavuz Narin bezweifelt: "Ich denke eher, dass Frau Zschäpe ihn ganz gezielt manipuliert hat, zumal der Zeuge Bauer erwähnt, er habe zahlreiche Zeugen weggelassen aus seinem Gutachten."
Tatsächlich hat Gutachter Bauer keinen einzigen Verhandlungstag im NSU-Prozess verfolgt, er stützt sich bei seiner Untersuchung lediglich auf eine kleine Auswahl an Zeugenaussagen, auf Zschäpes schriftliche Einlassungen vor Gericht und unter anderem auch auf die polizeiliche Vernehmung von Zschäpes Mutter, und das obwohl diese jeglicher gerichtlichen Verwertung ihrer Aussagen widersprochen hat, worauf der Vorsitzende Richter Manfred Götzl heute ausdrücklich hinwies. Vor allem aber stützt Bauer sich auf seine Gespräche mit Zschäpe, insgesamt 14 Stunden lang befragte er sie in einem fensterlosen Besprechungszimmer des Untersuchungsgefängnisses.
Gewalt unter Terroristen
Und dabei hat ihm die 42-Jährige unter anderem davon berichtet, dass sie von ihrem Liebhaber, dem NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt, immer wieder schwer misshandelt worden sei. Teils habe Böhnhardt, dessen Hang zu Waffen und Gewalt im Prozess mehrfach von Zeugen bestätigt worden ist, sie so schwer geschlagen, dass sie Hämatome davon trug, einmal habe er auf sie eingetreten, bis sie sich übergeben habe. Dennoch habe sie ständig Angst davor gehabt, von Böhnhardt verlassen zu werden.
Psychiater Joachim Bauer konstatiert deshalb ein krankhaftes Abhängigkeitsverhältnis. Auch Nebenklage-Anwalt Mehmet Daimagüler kann sich vorstellen, dass es Gewalt in der Beziehung zwischen Zschäpe und Böhnhardt gab, sie habe aber jederzeit die Wahl gehabt, auszusteigen: "Sie hätte einfach aus dem Haus gehen, die Tür zu machen und zur nächsten Polizeistation gehen können. Frau Zschäpe war frei genug, zu entscheiden, was sie wollte. Und deshalb sitzt sie heute auf der Anklagebank."
Prügel zwischen Mundlos und Böhnhardt
In ihren bisherigen Einlassungen vor Gericht hat Zschäpe die Gewalt, die Böhnhardt ihr angetan haben soll, kaum erwähnt - auch nicht, dass Uwe Mundlos sie gegenüber Böhnhardt einmal offensiv verteidigt habe, woraufhin sich eine so heftige Schlägerei zwischen den beiden Männern entwickelt habe, dass Mundlos schließlich zeitweise aus der gemeinsamen Wohnung ausgezogen sei. Verschweigen und Verdrängen sei jedoch ein typisches Verhaltensmuster für Opfer von Gewalt, konstatierte nun ihr Gutachter Joachim Bauer, das gelte insbesondere für missbrauchte Frauen.
Und er ließ durchblicken, dass Zschäpe von ihrem Liebhaber möglicherweise auch sexuell missbraucht worden sei. In jedem Fall sei Zschäpes Steuerungsfähigkeit massiv eingeschränkt gewesen, so Bauer, sie habe sich geradezu in einer "verschärften Geiselhaft" mit den beiden Uwes befunden. Weshalb die Voraussetzungen für eine verminderte Schuldfähigkeit gegeben seien. Ein Befund, der bei Opfer-Anwalt Mehmet Daimagüler auf wenig Verständnis stößt: "Ich glaube Frau Zschäpe hatte die Wahl gehabt, sie hat sich entschieden und jetzt stellt sie sich als Opfer dar. Aber sie war kein Opfer."
Gutachter Professor Bauer musste sich am heutigen Verhandlungstag noch keinen kritischen Nachfragen der Prozessbeteiligten stellen. Das wird erst Mitte Mai der Fall sein, dann ist er wieder als Zeuge im NSU-Prozess geladen.