NSU-Prozess


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379. Verhandlungstag, 1.8.2017 Sommerpause im NSU-Prozess

Nach fünf Tagen Plädoyer ist die Bundesanwaltschaft zwar immer noch nicht mit ihrem Schlussantrag fertig, aber wahrscheinlich dennoch zufrieden. Die Art und Weise , wie sie akribisch Indiz an Indiz zum Beweis ihrer Anklage aneinanderreiht, ist beeindruckend.

Von: Christoph Arnowski

Stand: 01.08.2017 | Archiv

Christoph Arnowski | Bild: Bayerischer Rundfunk

01 August

Dienstag, 01. August 2017

Im Zweifel für den Angeklagten. Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten kennt natürlich diesen Grundsatz im Strafrecht. Und weiß: Wenn er nachweisen will, dass die Vorwürfe der Bundesanwaltschaft zutreffen, muss er nicht nur alles zusammentragen, was das Bild der Anklage stützt. Sondern noch wichtiger in diesem Indizienprozess: Die Bundesanwaltschaft muss alle erwartbaren Zweifel, mit denen die Verteidiger am Schluss die Vorwürfe erschüttern könnten, bereits im Vorfeld widerlegen. Um keine Angriffsflächen zu bieten. Genau diese doppelte Argumentation ist Grund für die lange Dauer des Schlussvortrages der Anklagebehörde.

Wieder geht es nur um die Ceska

An diesem 379. Verhandlungstag, dem letzten vor der Sommerpause, geht es im Prinzip wie schon gestern ausschließlich um die Rolle von Ralf Wohlleben und Carsten S., beide angeklagt wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen. Nach Anforderung von Uwe Böhnhardt sollen die beiden die Ceska-Pistole samt Schalldämpfer und fünfzig Schuss Munition für den NSU beschafft haben. Die Waffe also, mit der die rechtsextremistische Terrorzelle laut Anklage neun ihrer zehn Morde beging. Die neun Bluttaten an Kleinunternehmern türkischer und griechischer Herkunft, die der NSU auf dem sogenannten Paulchen-Panther-Video selbst dokumentierte.

Die Versionen der angeklagten Helfer

Carsten S., der sich wenige Monate nach der Waffenlieferung 1999 aus der rechten Szene ausstieg, hat seine Tatbeteiligung weitgehend eingeräumt. Als eine Art Kronzeuge des Verfahrens lebt er mittlerweile in einem Zeugenschutzprogramm. Muss sich aber genauso wegen Beihilfe zum Mord verantworten wie Ralf Wohlleben, den die Bundesanwaltschaft als Strippenzieher bei der Unterstützung des 1998 abgetauchten Trios sieht. Und damit auch hauptverantwortlich für die Lieferung der Waffe. Der ehemalige NPD-Funktionär hat seine Rolle in seiner Einlassung vor Gericht im Dezember 2015 freilich ganz anders geschildert. Er habe Gewalt abgelehnt und, als Böhnhardt bei ihm eine Waffe orderte, gedacht, dass der damit möglichweise Selbstmord begehen wollte. Damit steht zunächst  Aussage gegen Aussage.

Die Schwierigkeiten der Ankläger

Oberstaatsanwalt Jochen Weingarten muss deshalb Indiz für Indiz vorlegen, was für seine Version spricht. Dabei stützt er sich nicht nur auf das Geständnis von Carsten S., sondern auch auf viele, viele Zeugenaussagen. Die stammen teilweise vom Mitangeklagten Holger G., zum großen Teil aber von anderen aktiven und ehemaligen Neonazis, die man getrost nicht als die zuverlässigsten Zeugen einschätzen kann. Und die nach Überzeugung der Bundesanwaltschaft auch längst nicht immer die Wahrheit gesagt haben. Die Kunst von Weingarten besteht darin, schlüssig darzulegen, warum er manche Aussagen für glaubhaft hält, und andere, dem Tatvorwurf widersprechende, nicht stimmen können.

Wie die Bundesanwaltschaft argumentiert

Besonders wichtig in seiner Argumentation: Die Waffenbeschaffer mussten wissen, dass ein hohes Risiko bestand, dass der NSU die Ceska-Pistole bei Mordanschlägen einsetzen könnte. Nur dann kann ihnen der Gehilfenvorsatz nachgewiesen werden. Sprich: die Beihilfe zum Mord. Hätten sie die Gefährlichkeit des untergetauchten Trios nicht erkennen können, hätten sie sich nur der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung strafbar gemacht. Also ein Delikt begangen, das mit weit geringeren Strafen geahndet wird. Selbst Carsten S. will nicht gewusst haben, was Uwe Böhnhardt , Uwe Mundlos und Beate Zschäpe mit der Waffe vorhatten. Das nimmt ihm die Bundesanwaltschaft nicht ab. S. hätte beispielsweise durch den Bericht von Böhnhardt und Mundlos über die "Taschenlampe", also den ersten, noch weitgehend fehlgeschlagenen Bombenanschlag in Nürnberg erkennen müssen, mit welch "hochgefährlichen Typen" er es zu tun hatte.

Auch die Logik spricht gegen Wohlleben

Noch unglaubwürdiger halten die Ankläger die Darstellung von Wohlleben, der nur Freundschaftsdienste geleistet haben will und angeblich gedacht habe, Böhnhardt wolle sich allenfalls für einen Suizid rüsten. Teilweise spricht Oberstaatsanwalt Weingarten von "völligem Unsinn". Und bringt wie an vielen Stellen seines Schlussvortrages auch die Logik ins Spiel. Ein potenzieller Selbstmörder brauche keine Waffe mit Schalldämpfer, weil er ganz bestimmt kein Interesse habe, beim Suizid das eigene Gehör oder die Ohren anderer zu schützen. Wenn das Trio, das sich nach übereinstimmenden Aussagen etlicher Zeugen jahrelang für einen bewaffneten Kampf ausgesprochen habe, im Untergrund eine Waffe mit Schalldämpfer bestelle, könne dies nur einen Zweck haben: in der Öffentlichkeit unbemerkt Kapitalverbrechen begehen zu können. Ein Beispiel für die Argumentation der Bundesanwaltschaft. Man darf gespannt sein, was die Verteidiger diesen und vielen anderen kaum widerlegbaren Argumenten und Schlussfolgerungen entgegensetzen werden.

Wie es nach der Sommerpause weitergeht

Da die Bundesanwaltschaft erst nach der Sommerpause im September ihr Plädoyer abschließen kann, und anschließend die Nebenkläger rund 60 Stunden plädieren wollen, werden sich die Verteidiger vermutlich erst im Spätherbst äußern. Der Sprecher des Oberlandesgerichts Florian Gliwitzky geht deshalb inzwischen davon aus, dass ein Urteil noch in diesem Jahr nicht mehr sehr wahrscheinlich ist.


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