395. Verhandlungstag, 6.12.2017 Ein Pakt mit dem Teufel
Die Nebenklage hat ihre Plädoyers fortgesetzt. Im Fokus heute: der Mord an dem damals 21-Jährigen Halit Yozgat in Kassel. In diesem Fall ist die Rolle des Verfassungsschutzes besonders dubios. Hinsichtlich des Einsatzes von V-Leuten sprach eine Opferanwältin von einem „Pakt mit dem Teufel“
06. Dezember
Mittwoch, 06. Dezember 2017
Ismail Yozgat spricht mit lauter Stimme. Wenn das Gericht keinen Ortstermin in seinem ehemaligen Internetcafé anberaume, um alles in Augenschein zu nehmen, dann werde er das Urteil, das die Richter am Ende des NSU-Prozesses fällen werden, nicht anerkennen. Durch eine Ortsbesichtigung, da ist sich Yozgat sicher, werde das Gericht erkennen, dass Andreas Temme, ein ehemalige Mitarbeiter des hessischen Verfassungsschutzes, im Zeugenstand gelogen habe.
Der rätselhafteste NSU-Mord
Am 6. April 2006 erschossen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt den 21-Jährigen Halit Yozgat in dessen Kasseler Internetcafé. Mehrere Kunden saßen währenddessen an den Computern - auch Andreas Temme. Der war damals V-Mann Führer, angestellt beim Landesamt für Verfassungsschutz. Die Schüsse will Temme nicht gehört haben, das Opfer nicht gesehen haben. Ismail Yozgat macht den hessischen Verfassungsschutz und auch den damaligen Innenminister Volker Bouffier mitverantwortlich für den Tod seines Sohnes. Bouffier hätte die dubiosen Machenschaften des Verfassungsschutzes gedeckt, glaubt der Vater.
Dierbach: Temme lügt
Dieser Prozess habe erneut deutlich gemacht, dass der Einsatz von V-Leuten ein Pakt mit dem Teufel sei, sagt die Rechtsanwältin Doris Dierbach in ihrem Plädoyer. Im NSU-Komplex sei keine einzige Tat durch V-Leute aufgeklärt worden, profitiert habe nur die rechte Szene. Dierbach vertritt im NSU- Prozess die Familie Yozgat. Den V-Mann Führer Temme bezichtigt sie der Lüge. Temme hätte den Mord bemerken müssen. Überhaupt sei die Aufklärung des Mordes an Halit Yozgat durch den hessischen Verfassungsschutz massiv behindert worden, das hätten Ermittler der Polizei im Prozess eindrücklich geschildert.
"Was nicht sein durfte konnte nicht sein. Man wollte krampfhaft am Bild der nazifreien Bundesrepublik festhalten."
Doris Dierbach, Opferanwältin
"Begrenzter Ermittlungseifer"
Der Staat lege nur einen begrenzten Ermittlungseifer an den Tag wenn es um eigene Fehler gehe, sagt Dierbach. Es sei nicht klar warum Halit Yozgat sterben musste, warum ausgerechnet er ausgesucht wurde. Es müsse eine Unterstützerszene gegeben haben.
"Tatsächlich war das Trio nicht eine Zelle, sondern nur der Zellkern einer viel größeren Zelle."
Doris Dierbach, Opferanwältin
2011 hätte Bundeskanzlerin Merkel versprochen, das alles aufgeklärt werde, sagt Ismail Yozgat. Das sei nicht geschehen. Und dann unter Tränen: nur wer selbst einen Sohn verloren habe, könne seine Leiden verstehen.