NSU-Prozess


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402. Verhandlungstag, 9.1.2018 Ein Opferangehöriger, der nicht zu Wort kommt

Heute kommt es nach wochenlangen Verzögerungen zum Plädoyer der Nebenklage im Mordfall Simsek. Enver Simsek war das erste Opfer des NSU. Sein Sohn will heute ein Schlusswort sprechen - ohne Erfolg.

Von: Eckhart Querner

Stand: 09.01.2018 | Archiv

Eckhart Querner | Bild: Julia Meuller

09 Januar

Dienstag, 09. Januar 2018

Der Verhandlungstag beginnt mit dem Hinweis des Vorsitzenden Richters Manfred Götzl, der Angeklagte Ralf Wohlleben leide an Rückenschmerzen und nehme Schmerzmittel. Wohlleben nickt bestätigend.

Ein Plädoyer so nüchtern wie emotional

Rechtsanwältin Basay vertritt die Familie Simsek. In ihrem Schlusswort beschreibt sie so nüchtern wie möglich, aus welchen Verhältnissen Enver Simsek stammt. Geboren in der Türkei, verheiratet, seit 1985 mit Frau und zwei Kindern in Deutschland lebend. Ein fleißiger Gewerbetreibender, erst Fleisch und Gemüse, dann Blumen, die er in Holland einkauft und in Bayern weiterverkauft.

Kaum auszuhalten sind die Schilderungen jenes 9. September 2000, an dem Simsek von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ermordet wird. Simsek wird 38 Jahre alt. In seinem Blumenlaster im Südosten von Nürnberg strecken ihn die NSU-Terroristen mit acht gezielten Schüssen nieder, und schaffen es doch nicht, ihn zu töten. Sie fotografieren das schwer verletzt am Boden liegende Opfer für ihr "Paulchen Panther"-Bekennervideo. Zynische Bildunterschrift: "Original". Über zwei Stunden liegt Simsek unentdeckt in seinem Fahrzeug, bevor erste Hilfe kommt. Er stirbt zwei Tage später im Krankenhaus. 

Demütigungen

Unterbrechung mitten im Plädoyer: Kurz vor einer sowieso geplanten Pause meldet sich der Verteidiger des Angeklagten André E. Sein Mandant habe ein dringendes Bedürfnis. Götzl lässt gewähren. Nach ein paar Minuten kommt E. von der Toilette zurück, genüsslich lächelnd. Eine kalkulierte Demütigung der Opferangehörigen.

Die Ermittler sehen in Enver Simsek einen Kriminellen

Das Plädoyer geht weiter. Basay hat die kaltblütige Ausführung der Tat beschrieben. Unfassbar ist auch, was nach den Schüssen passiert. Die Polizei informiert Simseks Frau Adele, empfiehlt ihr aber, ein Besuch ihres Mannes im Krankenhaus sei "nicht nötig". Weil beim Mordopfer hohe Geldbeträge gefunden worden sind, geht die Polizei sofort von einem Milieumord aus: Simsek sei sicherlich ein Drogenkurier gewesen, der Stoff von Holland nach Deutschland transportiert habe. Später vermutet die Polizei, Simsek habe eine Geliebte gehabt, seine Frau habe ihn aus Eifersucht töten lassen. 

Die Opferangehörigen werden wie Tatverdächtige behandelt

Polizei und Staatsanwalt sind sich sicher: Opfer und Täter müssen in Verbindung gestanden haben. Deshalb werden Adele Simseks Telefone abgehört, ihr Auto verwanzt. Mindestens zehn Monate dauert die vom Amtsgericht genehmigte Abhörmaßnahme. Erkenntnisse bringt sie nicht.

Zentralen Hinweisen ging die Polizei nicht nach

Dass der Mord rassistische Motive hat, darauf kommen die Ermittler nicht. Ein Schussgutachten wird erst mit 18-monatiger Verspätung erstellt. Daraus hätte man leicht feststellen können, dass weitere Morde mit derselben Ceska-Waffe begangen wurden.

Zentralen Hinweisen sei die Polizei nicht nachgegangen, kritisiert Anwältin Basay. Zum Beispiel den Aussagen von Zeugen, die am Tatort zwei deutsch aussehende junge Männer mit Radlerhosen gesehen hatten. Auf die (zusammen mit der Hauptangeklagten Beate Zschäpe) im Untergrund lebenden Mundlos und Böhnhardt hätte diese Beschreibung gepasst.

Wieder kein Schlussstrich, immer noch keine Entschuldigung

Noch heute wartet Familie Simsek auf eine Entschuldigung der Nürnberger Polizei. Adeles Sohn Abdulkerim Simsek ist auch im Gerichtssaal. Er will ein eigenes Schlusswort sprechen. Aber dazu kommt es heute nicht, weil Wohllebens Rückenschmerzen offenbar stärker geworden sind. Am Mittag unterbricht Richter Götzl deswegen die Verhandlung. Simseks Sohn hätte gerne heute einen Schlussstrich gezogen. Aber vielleicht klappt das morgen, falls Angeklagte nicht wieder Rückenschmerzen oder ein dringendes Bedürfnis haben.


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