NSU-Prozess


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406. Verhandlungstag, 24.1.2018 Beweisantrag sorgt für Verzögerungen

Wieder einmal ist der NSU-Prozess an einem Punkt angelangt, an dem unklar ist, wie es weitergeht. Die Verteidigung Ralf Wohllebens hat einen Beweisantrag gestellt. Dem Strafsenat obliegt nun die schwierige Entscheidung, wie er darauf reagieren wird.

Von: Thies Marsen

Stand: 24.01.2018 | Archiv

Hände und eine Computer-Tastatur (Symbolbild) | Bild: picture-alliance/dpa

24 Januar

Mittwoch, 24. Januar 2018

Der NSU-Prozess ist nicht nur ein historisches Verfahren, bei dem mit den Mitteln der Justiz versucht wird, eine beispiellose politisch motivierte Verbrechensserie zu bewältigen. Er ist auch eine große Schule für alle Verfahrensbeteiligten und Beobachter.

Geduld besonders gefragt

Der Gerichtsreporter hat in nun bald fünf Jahren nicht nur viel über strafprozessuale Abläufe, polizeiliche Ermittlungen, Waffenkunde, Ballistik, Brandermittlung, Chirurgie, Forensik, Psychologie usw. gelernt, sondern vor allem Geduld. Letztere ist auch jetzt wieder gefragt: Denn mal wieder ist der Prozess an einem Punkt angelangt, an dem völlig unklar ist, wie es weitergeht.

Eigentlich scheint das Ende des Verfahrens längst greifbar nahe zu sein. Nur noch einige wenige Plädoyers der Nebenklage stehen aus, dann stehen die Schlussvorträge der Verteidigung auf dem Programm und schließlich das Urteil des Oberlandesgerichtes über die fünf Angeklagten. Wiedermal aber ist es die Verteidigung, die dazwischengrätscht.

Beweisantrag statt Plädoyers

Waren es im Herbst die Anwälte des mutmaßlichen NSU-Unterstützers André E., die den Prozess mit einer Kaskade von Befangenheitsanträgen wochenlang lahmlegten, so ist es nun die Verteidigung des mutmaßlichen Lieferanten der Mordwaffe, Ralf Wohlleben, die für Verzögerungen sorgt - mit einem Beweisantrag, gestellt ein halbes Jahr nachdem die Beweisaufnahme offiziell abgeschlossen worden ist.

Prozesstag morgen abgesagt

Mehrere Neonazis sollen als Zeugen geladen, außerdem Akten des Landeskriminalamt Baden-Württemberg angefordert werden, das offenbar ein eigenes Ermittlungsverfahren zur Neonaziszene führt und dafür auch Personen aus dem engsten NSU-Umfeld vernommen hat. Statt mit den Plädoyers fortzufahren, hat das Oberlandesgericht sich also gestern und heute mit dem Beweisantrag beschäftigt. Der morgige Prozesstag wurde gleich ganz abgesagt, erst nächste Woche geht es weiter - fragt sich nur wie?

Kaum ein Prozessbeobachter räumt dem Antrag große Erfolgsaussichten ein, zumal die Wohlleben-Verteidigung auch diesmal wieder dasselbe Ziel verfolgt, wie schon mit zahlreichen gescheiterten Anträgen zuvor: Zu beweisen, dass es nicht ihr Mandant, sondern irgendjemand anderes war, der die berüchtigte Pistole Česká 83 geliefert hat, mit der der NSU neun Menschen ermordet hat.

Wochenlange Verzögerung möglich

Dennoch ist völlig unklar, wie das Gericht mit dem Antrag nun verfahren wird. Lehnt es ihn ab, dürfte ein Befangenheitsantrag gegen den Senat auf dem Fuße folgen - was wiederum bedeuten würde, dass das Verfahren um Tage, wenn nicht gar Wochen verzögert wird. Gleiches dürfte aber auch gelten, wenn das Gericht dem Antrag nachkommt. Die Zeugen zu laden, ist dabei noch das geringste Problem.

Die Beiziehung der Akten des Stuttgarter LKA dagegen kann sich ziehen - zumal dieses Ermittlungsverfahren der Polizei höchst problematisch ist. Es erfolgt nämlich nach Polizeirecht zur "Gefahrenabwehr", also ohne Staatsanwaltschaft und damit auch am Generalbundesanwalt vorbei, der doch eigentlich die Oberhoheit über alle NSU-Ermittlungen haben sollte. Dass die Bundesanwaltschaft nicht gerade begeistert von dem Verfahren der Stuttgarter ist, konnte man - wenn man wollte - aus der betont knappen Stellungnahme der Anklagebehörde zu diesem Teil des Antrags heraushören. Fragt sich also, ob das LKA die Akten dieses sensiblen und außerdem ja noch laufenden Verfahrens mal eben schnell ans Oberlandesgericht nach München schickt.

Öffnet das Gericht die Büchse der Pandora?

Und selbst wenn Wohlleben kriegt, was er verlangt: Öffnet das Gericht damit nicht die Büchse der Pandora und signalisiert der Verteidigung, sie könne nun unbegrenzt weitere Beweisanträge stellen?  Was den Prozess wiederum um Wochen verlängern würde. Zumal dann vielleicht die Bundesanwaltschaft und die Nebenkläger, die ihre Schlussvorträge schon gehalten haben, nochmals plädieren müssten, um die neuen Erkenntnisse zu würdigen.

Was also wird der Strafsenat um den Vorsitzenden Richter Manfred Götzl jetzt tun? "Ich möchte jetzt nicht in der Haut des Senats stecken", kommentierte ein Prozessbeteiligter nach dem heutigen Verhandlungstag. Das zumindest ist tröstlich für den Gerichtsreporter: Er muss nichts entscheiden, sondern nur berichten - und sich mal wieder in Geduld üben.


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