173. Tag im NSU-Prozess Hinweise des Verfassungsschutzes ignoriert
Im NSU-Prozess geht es erstmals um den Nagelbombenanschlag 2004 in der Kölner Keupstraße, bei dem 22 Menschen verletzt wurden. Er hätte möglicherweise verhindert werden können, wenn Hinweise des Verfassungsschutzes nicht komplett ignoriert worden wären. Die Anklage rechnet die Bluttat dem NSU zu.
Am Vormittag begann vor dem Oberlandesgericht München die Beweisaufnahme zu dem Bombenanschlag in der Kölner Keupstraße. Drei Polizeibeamte sind als Zeugen geladen. Geplant ist unter Anderem die Vorlage mehrerer hundert Fotos vom Tatort und dem Sprengsatz.
Der Anschlag
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Die Keupstraße befindet sich im Kölner Stadtteil Mülheim. Sie ist bekannt als ein Zentrum des türkischen Geschäftslebens. Am 9. Juni 2004 waren in der Straße sehr viele Menschen unterwegs, als um 15.56 Uhr vor den Häusern mit den Nummern 29 und 31 eine Nagelbombe explodierte. Sie war auf einem Fahrrad montiert.
Die Explosion verletzte nicht nur 22 Menschen, vier von ihnen schwer, es entstand auch ein Sachschaden von mehreren Hunderttausend Euro. Die Polizei brauchte Stunden, um sich einen Überblick zu verschaffen.
"Wir haben noch keine Hinweise darauf, um was für eine Bombe es sich handelt. Diese Bombe war aber offensichtlich mit Nägeln gespickt. Wie viele an der Zahl, können wir auch noch nicht sagen. Diesbezüglich dauern die Ermittlungen an. Die Nägel und die Glassplitter sind ungefähr in einem Umkreis von 100 Metern verteilt worden."
Polizeisprecherin Gudrun Hausstetter nach dem Anschlag
Behörden und Politiker wiegelten ab
Am 10. Juni 2004 berichtete die Polizei über die ersten Ermittlungen. Erkenntnisse über fremdenfeindliche Motive habe man nicht, hieß es damals. Am selben Tag traten der damalige Bundesinnenminister Otto Schily und sein damaliger Ressortkollege in Nordrhein-Westfalen, Fritz Behrens (beide SPD), vor die Presse. Sie bestritten, dass es einen terroristischen Hintergrund gebe. Nach dem Auffliegen der NSU-Mordserie räumte Schily einen schweren Irrtum ein.
Verfassungsschutz-Hinweise auf NSU-Trio
Dabei lag schon vor dem Anschlag ein Dossier des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) vor, das über neue Gefahren des gewaltbereiten Rechtsextremismus informierte.
"Dort wurde beschrieben, wie Anschläge aussehen in Zukunft, die man aus der gewaltbereiten rechten Szene zu erwarten hat. Kleinstgruppen, Einzeltäter, keine Bekennerschreiben, viel mit Waffen und Sprengstoff. Genauso wie sich der Anschlag in der Keupstraße dargestellt hat."
Clemens Binninger, Obmann der CDU/CSU-Fraktion im NSU-Untersuchungsauschuss
Damit nicht genug, in dem BfV-Dossier fand sich sogar ein Hinweis auf drei Bombenbastler namens Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe. Das Trio lebte damals im Untergrund. Kurz vor ihrem Abtauchen 1998 hatten Ermittler in einer Garage in Jena unter anderem Rohrbomben und Sprengstoff gefunden.
Der Kölner Anschlag von 2004 war von der Überwachungskamera eines Fernsehsenders aufgenommen worden. Auf den Bildern waren Männer zu sehen, die das Fahrrad mit der Bombe in die Keupstraße schieben. Doch ein Abgleich der Aufnahmen mit dem BfV-Dossier fand nicht statt. Stattdessen konzentrierten sich die Ermittlungen auf die Bewohner der Keupstraße, die als potenziell Verdächtige immer wieder verhört wurden. Bei der Motivsuche spekulierten die Ermittler über Streitigkeiten zwischen türkischen Geschäftsleuten, einem Racheakt, einem Streit im Drogen- oder Rotlichtmilieu, Schutzgelderpressung oder einem Anschlag der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Im NSU-Prozess werden die Anwälte der Opfer nun viele Fragen zu unterbliebenen Ermittlungen haben.