Plädoyers im NSU-Prozess Bundesanwaltschaft sieht Zschäpe als Mittäterin
Im zweiten Anlauf hat vor dem Oberlandesgericht München das Plädoyer der Bundesanwaltschaft begonnen. Sie sieht Beate Zschäpe in mehreren Fällen schwer belastet. Ihr Motiv: Rechtsextremismus.
Die Bundesstaatsanwaltschaft sieht alle wesentlichen Punkte der Anklageschrift bestätigt und Beate Zschäpe als Mittäterin des NSU, dem vorgeworfen wird, in der Zeit zwischen 1998 und 2011 zehn Menschen ermordet zu haben. Auch sei sie Mittäterin beim Bombenanschlag in der Kölner Probsteigasse sowie der räuberischen Überfälle auf einen Supermarkt und 14 Bankfilialen. Schließlich habe sie eine Haus in Zwickau in Brand gesetzt und billigend in Kauf genommen, dass drei Menschen darin umkommen könnten.
Motiv für die Taten war laut Herbert Diemer und Annett Greger - zwei der drei Bundesanwälte, die heute vortragen - eine rechtsextremistische Ideologie. Ein freies Land sollte in seinen Grundfesten erschüttert werden. Zschäpe habe ihren Mittätern Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos dabei als "Tarnkappe" und Kassenwart gedient. Die Bundesanwaltschaft widerspricht ausdrücklich der Aussage Zschäpes, sie sei lediglich Mitläuferin gewesen und habe von den Morden erst im Nachhinein erfahren.
Die Bundesanwaltschaft sollte eigentlich bereits letzten Mittwoch mit ihrem Plädoyer beginnen. Alles war vorbereitet. Doch dann fuhr Wohllebens Verteidigung ihr in die Parade. Fast alle anderen Verteidiger schlossen sich an. Sie wollen durchsetzen, dass der Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft mitgeschnitten oder im Auftrag des Gerichts mitgeschrieben wird. Der Senat hatte das bereits abgelehnt.
"Die Strafprozessordnung sieht den Mündlichkeitsgrundsatz vor. Das bedeutet, dass in einem Sitzungssaal alle wesentlichen Gesichtspunkte in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht erörtert werden, nicht vorgesehen in der Strafprozessordnung ist eine Tonbandaufzeichnung."
Gerichtssprecher Florian Gliwitzky
Bundesanwaltschaft: Persönlichkeitsrecht in Gefahr
Es ist in deutschen Gerichtssälen nicht üblich, mitzuschneiden oder etwa ein Plädoyer durch einen Gerichtsschreiber protokollieren zu lassen. Darum stellten sich die Vertreter der Bundesanwaltschaft einer Dokumentation ihres Schlussvortrags entgegen. Sie wollen weder, dass dieser aufgezeichnet noch protokolliert wird, auch sind sie nicht bereit, ihr Plädoyer schriftlich an Prozessbeteiligte weiterzureichen. Sie fürchten, dass die Aufzeichnungen in die Öffentlichkeit gelangen und aus dem Zusammenhang gerissene Zitate im Internet veröffentlicht werden. Die Bundesanwälte berufen sich dabei auf ihr Persönlichkeitsrecht. Das Gericht folgte dieser Argumentation.
"Unstrittig ist, dass jede Person, jeder Grundrechtsträger das Recht hat, selber darüber zu entscheiden, ob er fotografiert oder seine Stimme aufgenommen wird, und dieses Recht kommt auch einem Verfahrensbeteiligten zu."
Florian Gliwitzky
Verteidiger: Mandanten können langem Vortrag nicht folgen
Doch die Verteidiger sehen die Persönlichkeitsrechte der Bundesanwälte nicht in Gefahr, da sie als Vertreter der Anklage auftreten und nicht als Privatpersonen. Schlüssigstes Argument aber ist, dass ihre Mandanten in der Lage sein müssen, dem Schlussvortrag der Bundesanwaltschaft zu folgen. Dieser dauert aber geschätzt 22 Stunden, also vier bis fünf Tage. Da ist für Verteidiger und Angeklagte eine wörtliche Mitschrift kaum möglich, so Anja Sturm, Anwältin von Zschäpe.
"Es geht um alles"
Die Beweisaufnahme dauerte mehr als vier Jahre, über 800 Zeugen und Sachverständige wurden gehört. Zschäpe muss sich wegen Mittäterschaft verantworten - also wegen sämtlicher Taten, die dem NSU zugerechnet werden. Sie sitzt seit über fünf Jahren in Untersuchungshaft, ebenso wie der wegen Beihilfe zum Mord angeklagte mutmaßliche NSU-Unterstützer Wohlleben.
"Für die Angeklagten geht es jetzt noch einmal um alles. Es ist die letzte Möglichkeit, noch einmal in Gänze zu erfassen, was ihnen konkret vorgeworfen wird - und zwar aufgrund von welchen Beweisen?"
Anja Sturm
Nebenklage-Anwalt: Antrag hat kaum Erfolgsaussicht
Für die Nebenklage im NSU-Prozess war die jüngste Volte der Verteidiger allerdings ein Affront. Angehörige der Mordopfer waren extra angereist, um den für letzten Mittwoch angekündigten Schlussvortrag der Anklage persönlich zu hören. Wegen des erneuten Antrags auf einen Mitschnitt oder eine Mitschrift wurden ihre Erwartungen enttäuscht. Dabei haben die Verteidiger mit ihrem Anliegen kaum Aussichten auf Erfolg, glaubt Nebenklagevertreter Eberhard Reinecke.
"Zum einen ist es so, wenn man es genau überprüft, dass der Antrag nicht unbedingt schlecht begründet ist, auf der anderen Seite steht von vorneherein fest, dass man gegen den Willen der Bundesanwaltschaft dem nicht statt geben wird. Das kann sich auch die Verteidigung ausmalen."
Eberhard Reinecke
Ob das so ist, wird sich heute zeigen. Es bleibt jedenfalls offen, ob die Bundesanwaltschaft heute mit ihrem Plädoyer beginnen wird.