Der Fall Simsek im NSU-Prozess Schmerzliche Wahrheiten für die Nebenkläger
Beweisaufnahme zum ersten Mord der Terrorserie: Im Herbst 2000 wurde in Nürnberg der Blumenhändler Enver Simsek erschossen. Auf die Aufarbeitung musste die Familie lange warten. Unterdessen wurde der Prozess bis Ende 2014 verlängert.
Am 9. September 2000 verwendeten die Täter für den Mord an Enver Simsek zwei Waffen, eine davon ist die Ceska 83, mit der in den darauffolgenden Jahren insgesamt neun weitere Menschen erschossen worden sind. Für die Familie beginnt eine schmerzliche, aber lang ersehnte Aufarbeitung des Mordes.
"Mein Vater wurde ermordet, weil er Türke war", schreibt Semiya Simsek, die Tochter des ermordeten Enver Simsek in ihrem Buch mit dem Titel "Schmerzliche Heimat". Der 38-jährige Blumenhändler war das erste Mordopfer des "Nationalsozialistischen Untergrunds" NSU. Semiya Simsek hat nicht nur ein Buch über die Geschichte ihrer Familie geschrieben, sondern ist im NSU-Prozess eine von rund 80 Nebenklägern:
"Obwohl wir wissen, es ist eine harte Zeit und es kostet uns viel Kraft, aber es kann uns nicht mehr so weh tun wie es uns schon mal weh getan hat. Und deshalb haben wir gesagt, wir werden Nebenkläger, weil wir möchten diesen Prozess beeinflussen."
Semiya Simsek, Nebenklägerin im NSU-Prozess
Unglaubliche Ermittlungsfehler
Da Enver Simsek das erste Opfer der Mordserie war, ist die Familie in besonderer Weise von Fehlern der Ermittlungsbehörden betroffen. Über ein Jahrzehnt tappte die Polizei im Dunkeln. Im Fall Simsek wurden nie deutsche Täter hinter dem Mord an dem türkischen Blumenhändler vermutet – bis zum Auffliegen des Neonazi-Trios NSU.
"Meine Mutter wurde verdächtigt und ihre Brüder - so sind sie umgegangen. Ihr verschweigt was. Das interessiert niemanden, wie wir trauern, sondern es ging richtig mit den Vernehmungen los."
Semiya Simsek
Semiya Simsek war 14, als ihr Vater ermordet wurde. Der Blumenhändler vertrat am 9. September 2000 einen Kollegen an dessen Verkaufsstand am Rande von Nürnberg. Als er gerade Blumen in seinem Transporter sortierte, schossen die Täter aus zwei Waffen auf ihn. Fünf Kugeln trafen Enver Simsek in den Kopf, kurze Zeit später starb er im Krankenhaus. Zuerst stand die Familie unter Verdacht, dann glaubten die Ermittler, Simsek sei in Drogengeschäfte verwickelt gewesen. Als mit derselben Tatwaffe weitere griechisch-und türkischstämmige Kleinunternehmer erschossen wurden, vermutete die Familie einen ausländerfeindlichen Hintergrund. Die Ermittler konnte sie nicht überzeugen.
"Die haben direkt gesagt, dein Vater hatte eine dunkle Seite, jeder Mensch hat eine dunkle Seite, die er der Familie nicht zeigt. Vielleicht hatte er doch mit Drogen zu tun, solche Argumente kamen dann von den Ermittlern."
Semiya Simsek
Viele Fragen an die Täter und die Ermittlungsbehörden
Semiya Simsek geht es in dem NSU-Prozess auch um eine Rehabilitation des ermordeten Vaters. Sie hofft aber vor allem, dass die Hintergründe der Taten aufgedeckt werden. Sie hat an das Verfahren gegen Beate Zschäpe und die vier mutmaßlichen Unterstützer des NSU viele Fragen.
"Warum ausgerechnet mein Vater? Ob man ihn kannte oder nicht? Ob man sich die Opfer per Zufall ausgesucht hat. Ist den Tätern bewusst, was sie in einer Familie anrichten oder ist das reine Ideologie oder hat man Spaß daran, wenn man jemanden umbringt?"
Semiya Simsek
In dem Bekennervideo des NSU machen sich die Mörder von Enver Simsek mit Hilfe der Comicfigur Paulchen Panther lustig über die Tat. In dem Video wird ein Foto verwendet, das die Täter offenbar gemacht haben, unmittelbar nachdem sie Simsek erschossen haben. Solche Fotos erwarten die anwesenden Nebenkläger auch in den nächsten zwei Tagen, wenn vor dem Oberlandesgericht München die ersten Zeugen zum Mordfall Simsek gehört werden. Semiya Simsek bleiben die Tatort-Fotos erspart, sie kann nicht zum Prozess kommen, da sie vor kurzem ihr erstes Kind zur Welt gebracht hat.