Das Ende der Sparer-Republik Null Zinsen und die Zukunftsangst der Deutschen
Die Deutschen gelten als die Sparer-Nation. Doch in Zeiten von Null- und Negativzinsen greifen die bisherigen Altersvorsorge-Rezepte nicht mehr. report München über verunsicherte Anleger, ratlose Politiker und über Populisten, die aus der neuen Zukunftsangst Kapital schlagen wollen.
15 Jahre haben Bettina und Thomas Baecker jeden Monat Geld zur Bank gebracht – für eine kleine Wohnung. Sie ist Verkäuferin, er seit kurzem arbeitslos. Die Immobilie sollte ihre Altersvorsorge sein. Doch jetzt kann sie zum Stichtag nicht wie geplant abbezahlt werden.
Denn die Lebensversicherung, die ihnen die Bank zur Immobilienfinanzierung empfohlen hatte, ist im Jahr 2016 deutlich weniger wert als erwartet. Sie bringt jetzt nur noch die Garantiesumme von etwa 77.000 Euro: Das sind 30.000 Euro weniger als prognostiziert. Dieses Geld fehlt ihnen jetzt, um die Wohnung abzubezahlen.
"Erstmal war ich stinksauer und dachte: Liest du nicht richtig? Dann sind wir da auch hin und dann wurde uns eindeutig gesagt: Wegen der Niedrigzinspolitik ist alles in Keller gegangen und das hätte man ja vorher nicht wissen können – aber wir hätten’s wissen müssen!"
Bettina Baecker
Thomas und Bettina Baecker sind die Leidtragenden der Entscheidungen, die bei der Europäischen Zentralbank getroffen werden. Die EZB hat den sogenannten Leitzins dramatisch gesenkt: von 3,75 Prozent im Jahr 2008 auf das historische Tief von Null Prozent im Jahr 2016. Die Folgen sind dramatisch: Denn die Geschäftsbanken zahlen den Sparern nur noch Mini-Zinsen.
Einer von ihnen ist auch Alexander Meyer. Der Augsburger hatte vor gut 15 Jahren eine Lebensversicherung abgeschlossen. Vor wenigen Monaten hat er seinen Vertrag überprüft und festgestellt: Statt der ursprünglich anvisierten 350.000 Euro waren nur noch 130.000 Euro zu erwarten. Der Anwalt hat sich selbst aus seiner Lebensversicherung herausgekämpft und zumindest einen Vergleich erreicht. Das versucht er mittlerweile auch für viele seiner Mandanten, die von ihrer Versicherung enttäuscht sind.
Das gesamte Altersvorsorge-System gerät gerade massiv unter Druck. Denn mit den Zinsen sinken die Renditen. Damit am Ende genug übrigbleibt, muss jetzt deutlich mehr eingezahlt werden. Der Frankfurter Professor Olaf Stotz hat berechnet, wie viel ein Anleger für 100 Euro Rente sparen muss. Vor 15 Jahren reichten dafür 30 Euro pro Monat, heute sind 60 Euro nötig.
Verändert sich das Sparverhalten der Deutschen?
In Nullzins-Zeiten gewinnt das Sparverhalten der Menschen enorm an Relevanz – vor allem, wenn es sich nicht ändert. Zunehmend befasst sich auch die Wissenschaft damit: In Amsterdam tauschten im September Ökonomen und Mathematiker ihre Ergebnisse aus. Professor Rieger kommt zu deutlichen Ergebnissen: Er hat untersucht, wie sparwillig Menschen aus 53 verschiedenen Ländern sind. Er fragte die Studienteilnehmer, ob sie lieber sofort einen etwas kleineren oder später einen größeren Betrag ausbezahlt bekommen wollen:
Die Deutschen sind in Finanzdingen traditionell äußerst risikoscheu. Seit Jahrzehnten bevorzugen sie klassische Sparmodelle. Und das gilt auch heute noch – selbst wenn es sich immer weniger lohnt. In den Jahren der Niedrigzinspolitik tragen die Deutschen sogar einen wachsenden Anteil ihres Einkommens zur Bank. Die Sparquote lag 2013 noch bei 9,0 Prozent. Und ist bis 2015 auf 9,7 Prozent angewachsen.
"Nun ist es so, dass so eine Nullzinspolitik ja recht unschuldig daherkommt. Da nimmt einem ja niemand was weg. Und außerdem: Die Nullzinsen gibt mir ja die Bank. Also wenn ich mit jemandem böse bin, dann erstmal mit der Bank. Insofern ist das natürlich ein recht perfides Mittel, um die Ersparnisse abzuschmelzen."
Prof. Marc Oliver Rieger, Universität Trier
Doch das Erwachen für die Politik könnte bald kommen: Das zeigt der Blick in die Schweiz. Dort gibt es seit längerer Zeit einen Negativzins - und die Altersvorsorge wankt. Und die Rechtspopulisten punkten mit der Zins-Angst. Mit 29,4 Prozent hat die Schweizerische Volkspartei die letzte Parlamentswahl gewonnen. Auch mit dem brisanten Thema Zinspolitik. In Deutschland versucht die AfD, das Thema für sich zu nutzen. Die Europaabgeordnete Beatrix von Storch schreibt auf ihrer Internetseite: Die EZB mache die Reichen reicher - diese "legen sich Gold, Immobilien und Ackerland und eine Schafzucht in Neuseeland zu". Der AfD kommt zugute, dass die Bundesregierung bisher wenig unternimmt, um die Folgen der Nullzinspolitik abzumildern. Das Bundesfinanzministerium schreibt auf Anfrage von report München:
"Die Bundesregierung hat bereits entschlossen gehandelt und Gegenmaßnahmen ergriffen. Hervorzuheben ist das im August 2014 in Kraft getretene Lebensversicherungsreformgesetz."
Schreiben des Bundesfinanzministeriums
Doch vor allem erlaubt das Gesetz den Lebensversicherern, ihre Zahlungen an die Kunden zu kürzen. Verbraucherschützer und Rechtsanwälte kritisieren das scharf:
Thomas und Bettina Baecker verklagen ihre Bank jetzt: Sie fordern Schadensersatz.
"Ich wehr mich – vielleicht werden dann einige wachgerüttelt die dann auch sagen: Ja, mir ist das Gleiche passiert, ich mach jetzt auch meinen Mund auf. Dass dann die Politiker sich mal denken: Oh, das Volk fängt an sich zu wehren."
Bettina Baecker
In Deutschland sind Millionen Lebensversicherungen von der Zinspolitik betroffen – viele davon sind bald zur Auszahlung fällig. Für die Parteien in Deutschland: eine politische Zeitbombe.