Neuland im nahen Osten Paulaner - ein Brauriese zieht um
Die Brauerei Paulaner verlässt den ältesten Münchner Braustandort am Nockherberg, um am Stadtrand bei Langwied neue Brunnen zu graben. Die Nebenwirkung: Ein neues Wohnviertel im östlichen Zentrum.
Die Gerüchteküche brodelte seit Jahren wie ein Sudkessel. Im November 2011 machte Paulaner das große Faß auf: Der Brauriese verläßt die Stadt.
Das sagt Paulaner
Ein Traditionsbruch. Denn schon 1634 rührten die Mönche, die Paulaner den Namen geben, ihren Biersud im Dreieck Giesing-Au-Haidhausen. Heute gehört die Brauerei einem internationalen Konsortium. Bis 2018 zieht sie an den Stadtrand nach Langwied. Schon vorher verabschieden sich Teile der Logistik auf ein provisorisches Gelände in Neuwied. Aufregung unter Mitarbeitern, Biertrinkern und den Nachbarn: Wie geht es weiter?
Was der Umzug der Brauerei bringt
Statt bisher 2,8 Millionen Hektoliter kann die Brauerei auf einer Fläche von 15 Hektar im Nordwesten der Stadt 3,5 Hektoliter Bier produzieren - mit Luft nach oben. Rund 300 Millionen Euro will Paulaner auf dem Areal an der Autobahnspange zwischen A8 und A99 in moderne Brau- und Abfüllanlagen investieren und neue Brunnen graben, die sich laut Brauerei aus Tertiärwasser von gleicher Qualität wie am alten Standort speisen.
Zum Mehr an Platz soll ein Mehr an Effizienz kommen. Was das für die Mitarbeiter bedeutet: Rund zehn Prozent der Belegschaft werden überflüssig. Die Gewerkschaft NGG rechnet mit dem Verlust von mindestens 100 Arbeitsplätzen.
Ein neues Stadtviertel entsteht
Ganz aus dem Staub machen wrd sich die Brauerei nicht. Das Stammhaus und der Nockherberg mit seinem Biergarten bleiben, auch wenn die alten Brunnen zugeschüttet werden. Die Nachbarschaft aber wird sich dramatisch verändern.
Das sagen die Anwohner
Den Bierlastern und riesigen bunten Biertragerltürme trauern nur wenige Anwohner nach. Viele aber fürchten, dass die Gegend im Osten der Innenstadt ihren bodenständigen Charakter verlieren könnte. Seit das jenseits der Isar gelegene Glockenbachviertel schick und für viele Münchner unbezahlbar geworden ist, schwappt die Teuerungswelle mit Macht in die Au und nach Untergiesing.
Drei mal drei mit großem Publikum
Neuer Eigentümer der 85.000 Quadratmeter großen Produktionsflächen ist die Bayerische Hausbau - wie Paulaner ein Unternehmen der Schörghuber-Gruppe. Sprecherin Sabine Hagn: "Es wird einen Mix aus Eigentums- und Mietwohnungen geben, 30 Prozent entstehen im geförderten Wohnungsbau." "Münchner Mischung" nennt sich diese Dreiteilung; bei der Umwandlung von Gewerbeflächen kann die Stadt sie vorschreiben.
Neu ist: Die Ausschreibung und der Architektenwettbewerb für die drei getrennten Areale finden mit Bürgerbeteiligung statt. Im März stellte der Bauherr 17 Entwürfe zur Diskussion, im April stieg ein Workshop. Im Juni zeigte die Stadt, was kommen wird: Oben beim Nockherberg wird sich ein Büro aus Amsterdam verewigen, das heutige Bierkastengebirge an der Welfenstraße bebaut ein Londoner Büro, das alte Stammhaus an der Ohlmüllerstraße bekommt ein Steidle-Gesicht. Die Favoriten der Bürgerwerkstatt sind nicht zum Zug gekommen - dafür greifen die Sieger Anregungen aus den Workshops auf.
Die Teilprojekte (von links nach rechts wie auf dem Luftbild oben)
Stammhaus (Ohlmüllerstraße)
Das künftige Verwaltungsgebäude der Brauerei stand schon vor dem Wettbewerb fest: der in Teilen denkmalgeschützte Zacherlbau in der Au erhält einen umstrittenen Aufbau von Hierl Architekten, die Braumeistervilla Anbauten für eine Kindertagesstätte.
Ein weiteres altes Gebäude, in dem sich noch eine Original-Eismaschine aus dem Jahr 1881 befindet, soll zur Minibrauerei für Spezialbiere umgewandelt werden. Der hochaufragende Silobau, den andere Entwürfe zu einem Wohnturm umbauen wollten, muss weichen. Dafür gönnt die Wohnbebauung von Steidle Architekten mit Atelier Auböck + Kárász dem halb überbauten Auer Mühlbach künftig wieder mehr Sonnenlicht, das Ufer wird zur Grünzone.
Nockherberg (Regerstraße)
Das Filetstück des Geländes liegt an der Isarhangkante. Zwischen dem Nockherberg-Biergarten an der Hochstraße und der Regerstraße sollen 1.400 Wohnungen entstehen. Im Wettbewerb planten manche Architekten Großes - massive Riegel, ein Hochhaus, einen großen Park. Andere entwarfen niedrigere Häuser mit kleinen Innenhöfen.
Dem Siegerentwurf sieht man die Diskussionen auf den Bürgerversammlungen an: Vier Gebäuden mit abwechslungsreichen Fassaden und Innenhöfen, dazwischen schlängelt sich ein Park. Alle Wohnungen schauen ins Grüne. Es wird keine neuen Straßen und keine Hochhäuser geben, das Maximum an Höhe gibt der Verwaltungsbau von Paulaner vor - die alten Herbergshäusern an der Hochstraße sollen nicht erdrückt werden. Ausführen soll das Amsterdamer Büro Rapp + Rapp - Christian Rapp ist gebürtiger Münchner. Zu den Workshops sagt er in der SZ: "Da wurde sehr bestimmt über die Vor- und Nachteile der Entwürfe diskutiert, aber, wie ich finde, auch sehr kultiviert."
Bierlager (Welfenstraße)
Bisher türmen sich hier am Südwestzipfel von Haidhausen haushoch die Bierkästen. Bald wird das Londoner Büro Caruso St John Architects zwischen Welfenstraße und Bahnlinie einen voluminösen, leicht geschwungenen Gebäuderiegel errichten. Ein großer, geschlossener Hof dient als Ruheinsel - ein Konzept, das schon in der Münchner Architektur des frühen 20. Jahrhunderts verbreitet war, wie der Gründerzeitbau gegenüber beweist. Dennoch weckt dieser Bereich die größte Skepsis: In der Verlängerung des Areals sind bereits in den vergangenen Jahren massive und von außen ziemlich unwirtliche Neubaublöcke entstanden.
Zeitplan: Noch vor dem Bier sind die Nudeln weg
Inzwischen ist auch klar, ab wann sich die Nachbarn auf was einstellen müssen. Derzeit läuft das Bebauungsplanverfahren für die drei Teilareale. 2016 will die Brauerei absiedeln, 2017 kommen die Abrissbagger, 2018 die Baukräne.
Die Nachbarschaft im Osten wird dann vermutlich schon anders ausschauen. Denn auch der seit 1898 am Tassiloplatz ansässige Nudelhersteller Bernbacher verlässt die Stadt, um seine Produkte in Hohenbrunn breiter auswalzen zu können. Der markante 60er-Jahre-Bau wird schon im nächsten Jahr abgerissen, um Platz für 225 Baywobau-Wohnungen zu schaffen.
Hintergrund: Die Braumönche vom Nockherberg und die neue Zeit
Die Paulaner Brauerei GmbH und Co. KG, ein "Big Player" unter den fünf Münchner Traditionsbrauereien, gehört heute zu je 50 Prozent der Schörghuber Unternehmensgruppe und der Brau Holding International (BHI), an welcher der niederländische Brauriese Heinecken und wiederum Schörghuber beteiligt sind.
Seinen Ursprung hat der Konzern in der Braukunst eines aus Italien zugezogenen Mönchsordens, an dessen Wirkungsstätte bis heute das Bier produziert wird. Geschäftsführer Andreas Steinfatt: "Paulaner braut seit 1634 am Nockherberg und ist die einzige Brauerei in München, die immer noch an ihrem angestammten Platz steht."
Nicht-Münchner kennen den Nockherberg vor allem durch den alljährlichen Starkbieranstich, bei dem mit ironischer Fastenrede und Singspiel die Politprominenz "derbleckt" wird. Umzugspläne hegen die unter beengten Verhältnissen leidenden Brauer schon länger. Den medienbekannten Stammsitz wollte man freilich nicht aufgeben. Und: Auch der neue Produktionsstandort sollte innerhalb der Stadtgrenzen liegen - auf dem Oktoberfest dürfen nämlich nur Münchner Brauereien ausschenken.