"Reichsdeutsche" fordern bayerische Justiz heraus Hier ist "deutsches Reichsgebiet"!
Sie ignorieren Strafzettel, Polizei-Anweisungen, Gerichtsbeschlüsse. Denn: Das Deutsche Reich bestehe fort, die Bundesrepublik habe keine Gewalt über sie, sagen die "Reichsbürger" und machen auch Gerichtsvollziehern zunehmend das Leben schwer.
Eine Szene aus Niederbayern: Ein zahlungsunwilliger Schuldner, Mitglied der "Reichsbürger"-Bewegung will den Gerichtsvollzieher nicht in die Wohnung lassen, verlangt, dass er sich legitimiert, akzeptiert den Dienstausweis des Gerichtsvollziehers nicht und bezweifelt sogar, dass dieser ein Beamter ist: "Das ist Raub, da gehe ich vor den Europäischen Gerichtshof."
Solche Fälle nehmen für Gerichtsvollzieher zu. Unwillige Schuldner, die darauf bestehen, dass es die Bundesrepublik Deutschland einfach nicht gibt. Mit der Konsequenz, dass auch die Gesetze der Bundesrepublik für sie nicht gelten. Und deswegen sind für sie Vollstreckungsbeamte auch keine Beamten, sondern nur Bedienstete einer Firma namens "BRD GmbH".
Angegriffen, beleidigt, genötigt
Immer häufiger werden Gerichtsvollzieher, wenn sie bei sogenannten "Reichsbürgern" oder "Germaniten" vor der Tür stehen, angegriffen, beleidigt, genötigt. Ein großes Problem auch für Behörden, Finanzämter, Landratsämter – und für die Gerichte. Auch sie haben in den vergangenen Jahren vermehrt mit Leuten zu tun, die die Existenz des Staates leugnen – und etwa das Amtsgericht München mit Anträgen, seitenlangen pseudojuristischen "Expertisen" und Briefen überhäufen.
"Nun ist es bei diesen Gruppierungen aber so, dass sie die ellenlangen Schreiben, die sie aus dem Internet abkupfern und sich gegenseitig zuspielen, bei Gericht einreichen, um die Leugnung der Bundesrepublik zu manifestieren – und vor allem uns unnötige Arbeit zu bereiten."
Reinhard Nemetz, Präsident Amtsgericht München
80 Anzeigen gegen Anhänger
Denn: Jedes Schreiben, sei es noch so unsinnig, muss von den Mitarbeitern der Gerichte gesichtet, bewertet und gegebenenfalls beantwortet werden. Die "Reichsbürger", die sogenannten "Selbstverwalter" oder "Germaniten", wie sich manche von ihnen bezeichnen, sind inzwischen bayernweit bei Gerichten und Behörden bekannt – und gefürchtet. Allein im vergangenen Jahr hat Amtsgerichtspräsident Nemetz seinerseits 80 Anzeigen gegen Anhänger der Reichsbürger-Ideologie gestellt – wegen Beleidigung, Nötigung, versuchter Erpressung oder Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte:
"Mit Toleranz ist hier niemandem gedient, hier muss klar Flagge gezeigt werden, und das tue ich."
Reinhard Nemetz, Präsident Amtsgericht München
Strafgewalt in Regensburg angezweifelt
Auch an anderen bayerischen Gerichten sieht man sich seit einiger Zeit mit den "Reichsbürgern" konfrontiert. Am Amtsgericht Regensburg kommen regelmäßig Faxe aus dem Scheinstaat "Germanitien" an. Am Landgericht Regensburg bezweifeln "Reichsbürger" die Strafgewalt des Gerichts. Sie legen Dienstaufsichtsbeschwerden ein und stellen aus der Luft gegriffene, dubiose Forderungen – teilweise in Millionenhöhe - gegen Gerichtsvollzieher.
100-Millionen-Dollar-Forderung in Augsburg
Wer sind die "Reichsbürger"?
Verschwörungstheoretiker, Querulanten, Geschäftemacher und auch Rechtsextreme: Die Reichsbürgerszene ist zersplittert und untereinander zerstritten. Doch sie eint eines: die Ablehnung der Bundesrepublik, ihrer Gesetze, ihrer Gerichte und Behörden. Denn das Deutsche Reich bestehe fort, einen Friedensvertrag nach 1945 gebe es nicht. Die Ablehnung geht so weit, dass sie ihre eigenen Pässe drucken, ihr Grundstück zum eigenen Staat erklären und teilweise sogar mit eigenen Nummernschildern durch die Gegend fahren.
In Augsburg sieht sich aktuell ein Gerichtsvollzieher mit einer angeblichen Schadensersatzforderung eines "Reichsbürgers" konfrontiert: Dieser fordert von dem Justizbeamten 100 Millionen Dollar. Die Masche ist inzwischen sogar beim Auswärtigen Amt und beim Bundesjustizministerium bekannt – und beunruhigt bundesweit Staatsdiener, die mit den sogenannten Reichsbürgern zu tun haben. Aber auch das Auftreten der sogenannten "Germaniten" macht den Gerichtsvollziehern zu schaffen:
"Es finden sich darunter auch Frauen, denen beispielsweise angedroht wurde, dass sie, wenn sie das Territorium dieser Personen betreten, (…) handele es sich um ein fremdes Territorium, wo sie nichts zu suchen hätten. Und man würde dies mit allen Mitteln verteidigen, zur Not auch mit Gewalt."
Reinhard Nemetz, Präsident Amtsgericht München
Großeinsatz bei Zwangsräumung in Erding
Anfang März mussten im Landkreis Erding rund 50 Polizeibeamte ausrücken, um dem Gerichtsvollzieher bei einer Zwangsräumung zu helfen. Der hochverschuldete ehemalige Hauseigentümer – auch er ein "Reichsbürger" – hatte eine ganze Schar von Unterstützern gegen die Räumung vor seinem Haus postiert. Immerhin: Dieser Termin lief friedlich ab.
Der bayerischen Justiz entkommen sie letztlich nicht, sagt der Münchner Gerichtsvollzieher Gregor Wimmer. Auch er musste schon unter Polizeischutz pfänden.
"Man hat mit der Novelle des Vollstreckungswesens jetzt die Möglichkeit, dass man den Schuldner sofort vorlädt. Und wenn derjenige nicht kommt, dann kann Haftbefehl gegen ihn beantragt werden. Und spätestens an der Schwelle der JVA zeigt sich dann, ob es uns gibt und ob Deutschland so besteht."
Gregor Wimmer, Gerichtsvollzieher aus München
"Reichsbürger" nicht automatisch "rechtsextrem"
Der Bayerische Verfassungsschutz hat diese Entwicklung ebenfalls im Blick. Allerdings: Genaue Zahlen, wie viele "Reichsbürger, Selbstverwalter und Germaniten" im Freistaat leben, haben auch die Verfassungsschützer nicht. Denn nur eine kleine Zahl der bayerischen "Reichsbürger" hat Kontakte zum Rechtsextremismus.
"Der große Teil der Reichsbürgerszene ist dem Bereich der Querulanten, Esoteriker, Verschwörungstheoretiker und Geschäftemacher zuzurechnen."
Markus Schäfert, Bayerisches Landesamt für Verfassungsschutz
Mitgliederwerbung in der Oberpfalz
Doch inzwischen versucht auch der rechtsextreme Teil der Reichsbürgerbewegung im Freistaat Fuß zu fassen: Vor zwei Wochen hat eine rechtsextreme Reichsbürger-Gruppierung aus Ostdeutschland in der Oberpfalz eine Infoveranstaltung abgehalten – mit dem Ziel, neue Mitglieder zu werben.