"Fit machen" im Spitzensport Neue Studie zum "Wundermittel" Actovegin
Das für die Behandlung von Spitzensportlern bekannte und umstrittene "Wundermittel" Actovegin steht weiter in der Diskussion. Grund dafür ist eine neue Studie, die report München und ARD-Radio-Recherche Sport exklusiv vorliegt.
Er ist wohl der bekannteste Sportarzt der Welt, Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt, genannt "Mull". Seine Patienten sind Weltstars wie Usain Bolt, Bastian Schweinsteiger oder Fabian Hambüchen. Doktor Müller-Wohlfahrt setzt bei der Behandlung von Muskelverletzungen oft auf das "Wundermittel“ Actovegin, ultrafiltriertes Kälberblut.
Laut der Herstellerfirma Takeda wird das Medikament eigentlich zur Behandlung von Durchblutungsstörungen des Gehirns nach Schlaganfällen oder bei Demenz hergestellt.
Im Mai haben report München und ARD-Radio-Recherche Sport über das umstrittene Medikament berichtet. Actovegin enthält laut WADA keine Inhaltsstoffe die auf der Doping-Liste stehen. Der Einsatz im Spitzensport ist im Rahmen des WADA-Codes also erlaubt. Nun liegt den beiden Redaktionen exklusiv eine Studie zu Actovegin vor: In der Studie soll im Zellversuch erstmals bewiesen worden sein, dass die Gabe von Actovegin das Wachstum von Muskelzellen fördert. Und laut Präsentation der Studie sind in dem Präparat Actovegin außerdem geringe Spuren von Testosteron und Cortisol gefunden worden – beide Wirkstoffe stehen auf der Dopingliste.
Experten sehen Handlungsbedarf
Die neue Studie, die an der LMU in München durchgeführt wurde, wirft nach Ansicht von Anti-Doping-Experten neue Fragen auf: Denn die Studie findet verbotene Stoffe im Actovegin. Das ist ein Problem, sagt Prof. Alfred Aigner von der Nationalen Anti-Doping-Agentur Österreichs, auch wenn die gefundenen Mengen nur knapp über der Nachweisgrenze liegen.
"Auch natürliches Testosteron darf nicht von außen zugeführt werden, da gibt es keine Mengenangaben, bis zu der Menge, wo es erlaubt wäre, weil vielleicht zu wenig wirksam. Es heißt: Testosteron-Zufuhr ist nicht statthaft."
Prof Alfred Aigner, Nationale Anti-Doping Agentur Austria
Auch der bekannte Nürnberger Doping-Experte Prof. Fritz Sörgel ist alarmiert. Actovegin hat er bisher als nicht wirksam eingestuft. Doch die neue Studie bringt ihn ins Grübeln. Sörgel fordert, dass das Mittel unter dem Doping-Aspekt neu bewertet werden muss.
"Die Idee des WADA-Codes oder die Philosophie des WADA-Codes ist, dass auch regenerative Prozesse nicht stimuliert werden dürfen, um sich damit einen Vorteil zu erlangen, wer schneller regeneriert, spielt schneller, spielt besser."
Prof. Dr. Fritz Sörgel, Pharmakaloge, Institut für Biomedizinische Pharmazeutische Forschung Nürnberg
Kann Actovegin Dopingeffekt erzielen?
Der Autor der Studie, Prof. Dr. Dr. Franz-Xaver Reichl, interpretiert die Ergebnisse der Studie dagegen ganz anders:
"Die Ergebnisse machen klar, dass das Actovegin eine Proliferation in Myoplasmen also Vormuskelzellen hier bewirkt, sie fördern das Wachstum von Muskelzellen."
Prof Dr. Dr. Franz Reichl, Toxikologe, LMU Kliniken München
Allerdings ist dieser Effekt nur im Reagenzglas bewiesen. Für Reichl ein deutlicher Hinweis, dass Actovegin bei Muskelverletzungen helfen könnte. Über dieses Ergebnis freut sich auch Dr. Müller-Wohlfahrt. Dennoch sehen beide die Untersuchung als eine Art Beweis, dass es sich bei Actovegin nicht um Doping handelt, weil es nur bei Verletzungen wirksam sei.
Und die gefundenen Spuren an Testosteron und Cortisol seien im Übrigen viel zu gering, als dass sie einen systemischen Effekt im Körper erzielen könnten.
"Wir haben aber auch Substanzen gefunden, die eine wesentlich niedrigere Konzentration im Actovegin hatten, im Vergleich zum menschlichen Serum. Der Einfluss dieser Substanzen auf die Proliferation von Muskelzellen dürfte dementsprechend nur von sehr untergeordneter Rolle sein. Die Konzentrationen dieser Substanzen lagen um den Faktor bis zu 141 (z.B. Vit. B1) mal niedriger, im Vergleich zum menschlichen Serum. Bei Testosteron war es der Faktor 51, bei Cortisol der Faktor 26. Wir wissen natürlich, dass Substanzen wie z.B. Testosteron oder Cortisol auf der Dopingliste stehen. Es handelt sich bei unseren Untersuchungen dabei aber um äußerst geringe Mengen."
Prof Dr. Dr. Franz Reichl, Toxikologe, LMU Kliniken München
Auch Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt antwortet auf die Anfrage von report München. Allerdings nicht auf die konkreten Fragen zum Einsatz von Actovegin. Außerdem fordert sein Anwalt: Die Antworten dürfen nur komplett veröffentlicht werden.
1. Antwort Dr. Müller-Wohlfahrt:
Ich bin aus mehreren Gründen zufrieden mit den Ergebnissen und froh, daß eine so umfangreiche und hochwertige Studie durchgeführt wurde. Zum Einen ist endlich auch wissenschaftlich bewiesen, dass Actovegin die Reparaturmechanismen des Körpers an verletzten Muskelfasern verbessert. Von Muskelwachstum zu sprechen ist irreführend. Emprisch haben wir die heilungsunterstützende Wirkung von Actovegin schon lange beobachten können. Damit werden auch die Kritiker widerlegt, die mich mit der Bemerkung angreifen, es sei völlig unklar und unbekannt, was im Muskel nach Actovegingabe passiert. Zum Anderen ist erneut gezeigt worden, dass Actovegin keine leistungsfördernden Bestandteile enthält und damit auch kein Dopingmittel ist. Dies war bereits durch zahlreiche andere Untersuchungen, auch aus Laboren der WADA, bekannt, ist aber nun erneut und umfangreich nachgewiesen worden. Für weitere Details Ihre Fragen betreffend, insbesondere auch zu der detaillierten und differenzierten Vorgehensweise bei der Therapie unterschiedlicher Muskelverletzungen, verweise ich auf unser einschlägiges Lehrbuch "Muskelverletzungen im Sport", 2. Auflage, 2014, Thiemeverlag. Mit freundlichen Grüssen Dr. med. H.-W. Müller-Wohlfahrt
2. Antwort Dr. Müller-Wohlfahrt:
Sehr geehrter Herr Hagmann, es wird immer offensichtlicher, dass alle Fragen Ihrerseits einzig und allein darauf abzielen, Ihre Hypothese, Actovegin sei eine unerlaubte Dopingsubstanz, zu stützen. Aus meiner Sicht ist es journalistisch problematisch, dass Sie einseitig und nicht objektiv-neutral berichterstatten wollen, sondern nur offensichtlich nur auf die Sensation aus sind. Zu Ihren nachgereichten Fragen: Testosteron und Cortisol sind in sehr geringen Konzentrationen in Actovegin nachweisbar, zigfach niedriger als im normalen Blut. Dies bestätigt zahlreiche frühere umfangreiche Untersuchungen aus Doping-Laboren. Wie Ihnen aus unserem Buch bekannt ist (dies haben Sie sicher als investigativ recherchierender Journalist durchgearbeitet), injizieren wir Actovegin nur lokal, ein systemischer Effekt für bei diesen sehr niedrigen Konzentrationen von Testesteron und Cortisol nicht erreicht. Jedes Steak führt zu höheren Werten im Blut. Eigenbluttherapien, Platelet-rich Plasma etc., sind als intramuskuläre Injektionen im Spitzensport explizit erlaubt. Diese Injektionen führen zu zigfach höheren Konzentrationen an Testosteron und Cortisol. Nun stellt sich die Frage, warum Actovegin ein Dopingmittel sein sollte...? Bitte befragen Sie zu diesem Thema auch die WADA, die NADA und Herr Professor Reichl und verweisen nicht auf irgendwelche im Verborgenen gehaltene Dopingexperten. Mit freundlichen Grüssen Dr. med. HW Müller-Wohlfahrt