Gescheiterter erster Anlauf Der Aufstand der Unfähigen
Am 18. März 2003 stellte das Bundesverfassungsgericht das erste Verbotsverfahren gegen die NPD ein. Zur Prüfung der Frage, ob die NPD die Kriterien für ein Verbot erfüllte, kam es nicht. Eine Sperrminorität von drei Richtern sah in der staatlichen Unterwanderung der NPD durch V-Leute des Verfassungsschutzes ein Verfahrenshindernis. Was als "Aufstand der Anständigen" begonnen hatte, endete in einer Blamage der Antragsteller.
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1. August 2000
Pressekonfernz mit Beckstein und Schily am 1. August 2000
1. August 2000
Vorreiter Beckstein
Nach einer Reihe tatsächlicher und vermeintlicher rechtsextremistischer Anschläge und Übergriffe auf Ausländer wird der Ruf nach schärferen Gegenmaßnahmen lauter. Der bayerische Innenminister Günther Beckstein (CSU) fordert die Bundesregierung auf, einen Verbotsantrag gegen die NPD vorzubereiten.
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19. August 2000
Bundeskanzler Schröder am 19. August 2000
19. August 2000
Der Aufstand der Anständigen
Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) persönlich stellt sich an die Spitze der Verbotsbefürworter. Er regt einen gemeinsamen Antrag von Bundestag und Bundesrat an. Zwei Wochen zuvor hatte er den "Aufstand der Anständigen" ausgerufen. In der Folge wurden Aktionspläne, Lichterketten und Demonstrationen gegen Rechtsextremismus initiiert.
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6. Oktober 2000
Bundesinnenminister Schily sieht Weg für ein NPD-Verbotsverfahren geebnet.
6. Oktober 2000
Kein Zurück mehr
Nachdem Unterlagen des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz ausgewertet sind, sieht Bundesinnenminister Schily die Weichen für einen Verbotsantrag gestellt. Noch aber muss der SPD-Politiker Überzeugungsarbeit leisten. Es soll eine möglichst geschlossene Front der Verbotsbefürworter entstehen.
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26. Oktober 2000
Hessens Ministerpräsident Koch schert aus.
26. Oktober 2000
Länder ziehen mit - bis auf zwei
Die meisten Ministerpräsidenten der Länder befürworten das von Schily angeregte Vorgehen. Hessen und das Saarland stimmen dagegen, was bei den übrigen Ländern auf Enttäuschung stößt. Bayerns Ministerpräsident Edmund Stoiber (CSU) und Brandenburgs Regierungschef Manfred Stolpe (SPD) hatten sich bereits im Vorfeld klar für ein NPD-Verbot ausgesprochen.
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8. November 2000
Demonstration in Berlin für ein NPD-Verbot
8. November 2000
Beschlossene Sache
Die Bundesregierung beschließt, einen Verbotsantrag zu stellen, zwei Tage später folgt der Bundesrat. Noch ist fraglich, ob sich der Bundestag als drittes Verfassungsorgan einem Verbotsverfahren anschließt. Denn nach der FDP werden auch bei den Grünen Zweifel daran laut, dass das von Schily zusammengestellte 500-Seiten-Geheimdossier für ein Verbot der NPD ausreicht.
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8. Dezember 2000
FDP-Politiker Döring und Pfister erläutern die Ablehnung ihrer Partei.
8. Dezember 2000
Bundestag zieht mit - ohne FDP
Als drittes Verfassungsorgan schließt sich der Bundestag an - mit den Stimmen von SPD, Grünen und PDS. Die FDP stimmt fast geschlossen gegen einen Verbotsantrag. Die Unionsfraktion hält nach Worten ihres Vizechefs Wolfgang Bosbach einen eigenen Antrag des Parlaments "weder rechtlich geboten noch politisch sinnvoll". FDP-Generalsekretär Guido Westerwelle begründet die Ablehnung seiner Partei mit den fraglichen Erfolgsaussichten eines solchen Antrags. Selbst ein positiver Ausgang des Verbotsverfahren würde das eigentliche Problem nicht lösen.
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30. Januar 2001
Bundesgrenzschützer liefert Beweismaterial in Karlsruhe ab.
30. Januar 2001
Symbolträchtiges Datum
An einem symbolträchtigen Datum - dem Jahrestag der Machtergreifung der Nationalsozialisten - reicht die Bundesregierung ihren Verbotsantrag ein. Bundestag und Bundesrat folgen Ende März. Die Wucht gleich dreier Anträge ist beeindruckend. Ob man damit den Erfolg erzwingen kann?
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4. Oktober 2001
Luftbild des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) in Karlsruhe aus dem Jahr 2001
4. Oktober 2001
Das Verfahren beginnt
Die Anträge nehmen die erste juristische Hürde. Das Bundesverfassungsgericht bezeichnet sie weder als unzulässig noch als offensichtlich unbegründet. Damit kann das Verfahren zum Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht beginnen - und der Weg für die inhaltliche Prüfung der Verfassungswidrigkeit der rechtsextremistischen Partei ist frei.
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7. Dezember 2001
Im Fokus: die NPD-Verbindungen zur Neonazi-Szene
7. Dezember 2001
Die ersten Verhandlungstermine
Das Gericht setzt fünf Verhandlungstermine für den Februar 2002 an und lädt 14 "Auskunftspersonen", überwiegend Funktionsträger der NPD und hochrangige Neonazis. Der "Spiegel" meldet, das Gericht interessiere sich besonders für die Kooperation der Partei mit so genannten Freien Kameradschaften und für die NPD propagierten Konzepte der "Schlacht um die Straße" und der "befreiten Zonen".
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22. Januar 2002
Nordrhein-Westfalens Innenminister Behrens wehrt sich.
22. Januar 2002
Vorbote des Scheiterns
Wegen einer Informationspanne sagt das Gericht die Februar-Termine zur mündlichen Verhandlung wieder ab. Einer der geladenen NPD-Funktionäre hatte sich als V-Mann des Verfassungsschutzes entpuppt. In der Folge werden weitere V-Leute enttarnt. Um deren Rolle und die Fortsetzung des Verbotsverfahrens entzündet sich eine parteipolitische Diskussion. Das Bild zeigt den damaligen nordrhein-westfälischen Innenminister Fritz Behrens (SPD) am 23. Januar 2002. Er weist jede Verantwortung für die V-Mann-Panne zurück.
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8. Februar 2002
Neue Unterlagen sollen das Verfahren retten.
8. Februar 2002
Kotau und Salamitaktik
Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung räumen gegenüber dem Gericht die Existenz von zunächst sechs, einige Tage später von weiteren vier V-Leuten ein. Verzweifelt versuchen die Antragsteller, das Verfahren zu retten. Sie verfassen einen Schriftsatz, das den V-Mann-Einsatz in der NPD rechtfertigt. Zugegeben wird aber nur, was ohnehin bekannt war.
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7. Mai 2002
Skeptische Richter
7. Mai 2002
Gericht hakt nach
Das Bundesverfassungsgericht fordert eine umfassende Aufklärung und setzt einen Erörterungstermin für den 8. Oktober 2002 an. Das Problem: V-Leute - nicht zu verwechseln mit verdeckten Ermittlern - sind Extremisten, die gegen Geld Informationen an den Verfassungsschutz liefern. Als Gewährsleute für eine bestimmte politische Ideologie kommen sie nur mehr bedingt in Frage. Denn es ist nicht klar, ob sie - zumal in den Führungsetagen - aus Überzeugung handeln, oder vielmehr das propagieren, was der Verfassungssschutz mutmaßlich hören will.
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26. Juli 2002
Der Verfassungsschutz führte zahlreiche NPD-Funktionäre als V-Leute.
26. Juli 2002
Die Wahrheit kommt ans Licht
Langsam wird das ganze Ausmaß der V-Mann-Affäre klar: Die Antragsteller teilen mit, dass in den Bundes- und Landesvorständen der NPD etwa jeder siebte im Sold des Verfassungsschutzes stand. Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung schlagen dem Gericht vor, alles offenzulegen - vorausgesetzt, die Öffentlichkeit und die NPD erfahren davon nichts. Andernfalls seien die V-Leute in Gefahr und die Arbeit des Verfassungsschutzes beeinträchtigt.
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30. August 2002
Horst Mahler - Rechtsextremist und Anwalt der NPD
30. August 2002
Verschwörer wähnt Verschwörung
Horst Mahler, der Prozessbevollmächtigte der NPD, wähnt eine Verschwörung der Geheimdienste hinter dem Verfahren. Mahler, zum Rechtsextremisten gewendetes Ex-RAF-Mitglied, vertritt die Partei in dem Verfahren. Seine Stellungnahmen zu den einzelnen Anträgen zeugen von einer völkischen Gesinnung und wären unter anderen Umständen Grund genug gewesen für ein Verbot.
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8. Oktober 2002
Otto Schily bei einer Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht
8. Oktober 2002
Rede und Antwort
In der Anhörung vor dem Bundesverfassungsgericht versichern Bundesinnenminister Schily und sein bayerischer Kollege Beckstein, was ohnehin klar ist: Der Verfassungsschutz habe keine V-Leute in die NPD eingeschleust. Die Informanten seien "Fleisch vom Fleische der NPD". Eine Einflussnahme des Staates auf die rechtsextreme Partei mit Hilfe von V-Leuten bestreitet Schily. Die NPD sei nicht von den Behörden "fremdgesteuert" worden.
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18. Oktober 2002
Die Länderkammer versucht, ein Scheitern des Verfahrens abzuwenden.
18. Oktober 2002
Beschwichtigungen
Der Bundesrat versucht, die Richter zu beschwichtigen. Es werde kein Mitglied des Bundesvorstandes der NPD als V-Mann geführt, teilt die Länderkammer in Berlin mit. Bundesregierung, Bundesrat und Bundestag hätten dies in einem Schriftsatz ergänzend klargestellt. Die NPD hält demgegenüber an der These fest, dass der Verfassungsschutz die Partei unterwandert und sich seine Beweise für das Verbotsverfahren mit Hilfe der V-Leute "wunschgerecht geschaffen" habe.
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26. Februar 2003
NPD-Programm im Gericht: Zu einer Verhandlung darüber sollte es nicht kommen.
26. Februar 2003
Ankündigung eines Schicksalstags
Das Gericht legt als Termin für die Bekanntgabe einer Entscheidung den 18. März 2003 fest. Spätestens jetzt dürfte den Antragstellern dämmern, dass das Verfahren nicht mehr zu retten sein würde. Dass die Richter eine Fortsetzung des Prozesses verkünden würden, gilt auch bei den kühnsten Optimisten als eher unwahrscheinlich.
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13. März 2003
Das Bundesverfassungsgericht lässt nicht mehr mit sich reden.
13. März 2003
Der Zug ist abgefahren
Bundesrat, Bundestag und Bundesregierung wollen die Hoffnung noch nicht aufgeben. Das Bundesverfassungsgericht weist die Forderung der Antragsteller zurück, noch einmal zur "V-Mann-Affäre" Stellung nehmen zu können. Die Entscheidung ist gefallen - nicht im Sinne der Verfassungsorgane. Die rot-grüne Koalition in Berlin rechnet nun fest mit einer Einstellung des Verfahrens. "Es wird eine negative Entscheidung sein", heißt es in Koalitionskreisen. In dieser Einschätzung sei man sich einig.
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18. März 2003
Der zweite Senat verkündet die Einstellung des Verfahrens. (Quelle: dapd)
18. März 2003
Das war's
Nachdem eine Sperrminorität von drei Richtern die V-Mann-Affäre als Hindernis für den weiteren Prozessverlauf eingeschätzt hat, stellt das Bundesverfassungsgericht den NPD-Prozess ein. In der Entscheidung heißt es, es sei mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren unvereinbar, wenn die betroffene politische Partei "unmittelbar vor und während der Durchführung" eines solchen Verfahrens "durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstands oder eines Landesvorstands fungieren", beobachtet wird. Daran muss sich das neue NPD-Verfahren messen lassen.