Strauß und die Spiegel-Affäre Die verlorene Machtprobe
Vor 50 Jahren hatte Franz Josef Strauß etwas mit einem Nachrichtenmagazin, das nicht ganz sauber, sondern hinten herum war. Die Öffentlichkeit nannte es Spiegel-Affäre. Passenderweise endete sie ziemlich peinlich.
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10. Oktober 1962
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10. Oktober 1962
Eine Ausgabe mit Folgen
Das Hamburger Nachrichtenmagazin Spiegel veröffentlicht eine Ausgabe, die für Aufsehen sorgen wird. "Bedingt abwehrbereit" lautet auf Seite 32 der Titel einer Geschichte, die der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik kein gutes Zeugnis ausstellt. Bundesanwalt Albin Kuhn vermutet Landesverrat. Darauf stehen 15 Jahre Haft. Er bittet das Verteidigungsministerium von Franz Josef Strauß (CSU) um ein Gutachten.
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11. Oktober 1962
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11. Oktober 1962
Erste Anzeigen
Staatsanwalt Siegfried Buback ist es, der in der Sache zu ermitteln beginnt. Sie wird sich zur größten Maßnahme entwickeln, die nach dem Zweiten Weltkrieg gegen ein Presseorgan gewagt wurden. 15 Jahre später wird Buback, der zu diesem Zeitpunkt Generalbundesanwalt am Bundesgerichtshof in Karlsruhe ist, von der RAF ermordet.
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23. Oktober 1962
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23. Oktober 1962
Jagd auf Augstein und Ahlers
Der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs erlässt Haftbefehl gegen den Spiegel-Herausgeber Rudolf Augstein. Der Vorwurf: Mit dessen "Wissen und Wollen" sollen Staatsgeheimnisse verraten worden seien. Strauß bedrängt derweil den deutschen Militär-Attaché in Madrid, der dort urlaubende und veranwortliche Redakteur Conrad Ahlers sei sofort festzusetzen. Ein klarer Fall von Amtsanmaßung. Strauß macht sich der Freiheitsberaubung schuldig.
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26. Oktober 1962
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26. Oktober 1962
Unter der Lupe
In Düsseldorf, Bonn und Hamburg besetzt und untersucht die Kriminalpolizei vier Wochen lang alle 117 Redaktionsräume - laut Spiegel eine Geschossfläche von 3.000 Quadratmetern. "Selbst die Kaffeeküche und die Besenkammer schienen den Fahndern so verdächtig, dass sie gewissenhaft überprüft wurden", schreibt das Magazin: "Hinter jedem Redakteur stand ein Beamter, das Telefonieren war verboten, die Arbeit musste eingestellt werden." Auch Privatwohnungen von Spiegel-Leuten werden durchsucht.
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27. Oktober 1962
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27. Oktober 1962
Augstein stellt sich
Herausgeber Augstein stellt sich freiwillig der Polizei. Auch weitere Mitarbeiter des Nachrichtenmagazins werden festgenommen. Ahlers wird aus Spanien eingeflogen und ebenfalls inhaftiert.
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29. Oktober 1962
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29. Oktober 1962
Versammlung im Keller
Die Polizei hält die Redaktionsräume des Spiegel weiterhin besetzt, das Archiv ist versiegelt, die wichtigsten Akteure sitzen in Haft. Dem Magazin droht die Pleite. Was tun? Die Blattmacher beratschlagen sich auf einer Betriebsversammlung im Keller.
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30. Oktober 1962
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30. Oktober 1962
Schwieriges Blattmachen
Die Kollegen helfen aus. Redaktionen von der Zeit, vom Stern und sogar vom sonst nicht sonderlich wohlgesonnenen Springer-Verlag, die im selben Haus untergebracht sind, stellen Platz, Schreibmaschinen und Lexika zur Verfügung. Der Spiegel kann weiterhin erscheinen. So mühsam die Arbeit auch sein mag: Aufgeben kommt für die Journalisten nicht in Frage.
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2. November 1962
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2. November 1962
Demos allerorten
"Befiehlt Strauß der Justiz?", "Carl von Ossietzky 1929, Augstein 1962?" oder "Es geht nicht um den Spiegel. Es geht um die Pressefreiheit": Mit Plakaten demonstrieren in München, Hamburg, Bonn, Berlin und vielen weiteren Städten Tausende Menschen gegen die Polizeimaßnahmen. Auch die großen liberalen Blätter Zeit, Stern, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Rundschau stellen sich hinter den Spiegel. Die enorme Solidarität überrascht die politischen Akteure. Wem von ihnen die Kritik vorrangig gilt, ist nicht zu überhören: Franz Josef Strauß.
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7. November 1962
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7. November 1962
Debatte im Bundestag
Im Bonner Bundestag steht eine Fragestunde an. Kanzler Konrad Adenauer (CDU) vorverurteilt Augstein: "Wir haben einen Abgrund von Landesverrat." Adenauer behauptet, der Spiegel-Herausgeber, der ihn so oft kritisiert hat, habe an dem Landesverrat verdient. Für diese Unterstellung wird er von der SPD-Opposition ausgebuht. Doch der Kanzler setzt noch eins drauf: Er geißelt alle, die Anzeigen im Magazin geschaltet hatten. Doch die Annoncen bleiben im Blatt konstant.
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9. November 1962
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9. November 1962
Strauß weiß von nichts
Kurz darauf nimmt Strauß vor den Abgeordneten Stellung zur Rolle seines Bundesverteidigungsministeriums in der Spiegel-Affäre: "Ich habe davon nichts gewusst. Ich habe mit der Ingangsetzung des Verfahrens und mit den Amtshandlungen des Verteidigungsministeriums bis zur Durchführung der staatsanwaltschaftlichen Maßnahmen, die danach bereits im Rundfunk mitgeteilt worden sind, bevor ich telefonisch verständigt worden bin, nichts zu tun." Dies soll sich als Lüge herausstellen.
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14. November 1962
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14. November 1962
Der Fall Jacobi
Carl Jacobi wird nach 18 Tagen aus der Untersuchungshaft entlassen. Kurz vor der Affäre war er Chefredakteur beim Spiegel geworden. Er bleibt es bis 1968. Unter ihm wächst die Auflage von 400.000 auf eine Million. Erst durch seine Verhandlungen dürfen weitere Ausgaben des Spiegel während der Affäre erscheinen. Allerdings müssen alle Druckfahnen zunächst dem Ermittlungsrichter vorgelegt werden - ein Fall von Vorzensur.
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19. November 1962
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19. November 1962
Die FDP springt ab
Das Maß ist voll: Strauß hatte tagelang Polizeiaktionen ohne das Wissen des Justizministers Wolfgang Stammberger (FDP) vorangetrieben und es geleugnet. Ein politischer Skandal. Weil der CSU-Politiker nicht zurücktreten will, übernehmen dies nun die Koalitionskollegen von der FDP. Die Partei zieht ihre Minister zurück. Kurz darauf werfen auch die Kollegen von CDU und CSU hin, um den Weg freizumachen für eine neue Regierungsbildung.
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25. November 1962
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25. November 1962
Rückkehr der Akten
Im Verlag herrscht neues Chaos: Mitarbeiter der Redaktion sichten die von der Staatsanwaltschaft wieder freigegebenen Dokumente und Akten. Sie auf ihre Vollständigkeit hin zu überprüfen und neu zu ordnen, dauert Wochen und belastet die Redaktion zusätzlich.
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30. November 1962
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30. November 1962
Strauß' Amtsverzicht
Die Kritik ist zu laut: Strauß kann sich nicht mehr auf seinem Posten halten. Der Verteidigungsminister tritt zurück. Sein Verhalten hatte in den Wochen zuvor zu einer Regierungskrise geführt.
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4. Dezember 1962
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4. Dezember 1962
Augsteins Bruder
Sogar Josef Augstein, der Bruder und Anwalt des Herausgebers Rudolf Augstein, wird im Zuge der Affäre sechs Tage wegen "Verdachts der landesverräterischen Beziehungen" inhaftiert.
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19. Dezember 1962
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19. Dezember 1962
Der große Zapfenstreich
Strauß bekommt seine offizielle Verabschiedung mit militärischen Ehren. Wenige Tage zuvor hatte Kanzler Adenauer ein neues Kabinett gebildet - wieder mit der FDP, aber ohne den CSU-Politiker aus München.
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7. Februar 1963
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7. Februar 1963
Freiheit für Augstein
Nach und nach kommen die inhaftierten Spiegel-Mitarbeiter und deren Informanten frei. Conrad Ahlers kommt 55 Tage in Untersuchungshaft. Zuletzt wird Rudolf Augstein entlassen - nach 103 Tagen.
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12. Mai 1964
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12. Mai 1964
Gutachter findet 41 Delikte
Der spätere Bundesanwalt Heinrich Wunder, der pikanterweise in der Strafrechtsabteilung im Straußschen Verteidigungsministerium tätig gewesen war, legt sein Gutachten in Sachen Landesverrat vor. Das Ergebnis: Ganze 41 Staatsgeheimnisse soll der Spiegel in seinem Artikel verraten haben. Wunders Bilanz: "Der zweifellos unter Mitwirkung maßgeblicher Geheimnisträger begangene Verrat und der erfolgte Einbruch in den Geheimbereich der Bundeswehr muss als außergewöhnlich schwerwiegend beurteilt werden."
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13. Mai 1965
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13. Mai 1965
Der BGH winkt ab
Der Bundesgerichtshof (BGH) lehnt die Eröffnung eines Hauptverfahrens gegen Augstein und Ahlers ab. Die Beweise wiegen nicht schwer genug. Auch andere Ermittlungsverfahren gegen den Spiegel und seine Mitarbeiter werden nach und nach eingestellt.
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25. Januar 1966
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25. Januar 1966
Der juristische Vohang fällt
Schlussakt in der Spiegel-Affäre: Der Verlag selbst hatte das Bundesverfassungsgericht bemüht, um klären zu lassen, ob die Durchsuchungen und Beschlagnahmen auch gegen die Pressefreiheit verstoßen haben. Es gibt ein rechtliches Remis: Bei Stimmengleichheit der Verfassungsrichter wird die Beschwerde abgewiesen.