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Livestreaming-Plattformen Geburt, Sex, Terror: alles live

Immer wieder filmen Nutzer bei Facebook und anderen Plattformen verstörende Ereignisse. Die Plattformen sind hilflos, sie bekommen die Exzesse oft viel zu spät mit. Die Verantwortung wälzen sie auf die Nutzer ab.

Von: Vera Cornette

Stand: 04.07.2016

Facebook Livestream Screenshot | Bild: colourbox/Montage BR

Es sind nur noch wenige Minuten bis zur Geburt. Ein besonderer Moment, für die meisten Menschen wohl auch ein besonders intimer. Ein Vater in Kalifornien wollte ihn festhalten, filmte mit dem Smartphone, um ihn der Familie live via Facebook zu zeigen. Versehentlich hakte er nicht "nur Freunde" an und so streamte er die Geburt seines Sohnes live - und teilte das Ereignis mit der ganzen Welt, oder jedenfalls mit denen, die es mitbekamen und zuschauten.

Christoph Neuberger sieht sich das Geburtsvideo noch mal an. Nicht aus voyeuristischem, sondern professionellem Interesse: Der Kommunikationswissenschaftler lehrt an der Ludwig-Maximilians-Unversität München, Schwerpunkt Journalismus im Internet. 

"Wir lernen gerade mit typischen Fehlern umzugehen, immer wieder geschehen Dinge, die unangenehm werden können."

Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger

Selbstmord via Twitter

Während das Video aus dem Kreißsaal noch unter Pleiten, Pech und Pannen fallen mag, werden nach und nach viel gravierendere, völlig aus dem Ruder laufende, live gestreamte Ereignisse bekannt: So hat sich vor einigen Wochen eine 19-Jährige umgebracht, ihren Selbstmord mit der zu Twitter gehörenden App Periscope gefilmt. Erst als ein Polizist das Smartphone von den Gleisen aufhebt, wird den Zuschauern bewusst, was sie da gerade live gesehen haben.

Terror-Video auf Facebook

Auch der Terrorist, der Mitte Juni einen Polizisten und seine Frau in einem Pariser Vorort tötete, ging live auf Sendung: Aus der Wohnung der Opfer meldete sich der Terrorist zwölf Minuten lang. Völlig ungestört kündigte er weitere Taten für die Zeit während der Fußball Europameisterschaft an. Der Terrorist selbst beendet das Video - nicht etwa Facebook, also die Plattform, deren Infrastruktur er nutzt. Die französischen Behörden benötigen einige Zeit, bis sowohl das Profil, als auch das Video gelöscht werden.

"Die Sozialen Medien haben keine Gatekeeper mehr, wie die klassischen Medien. Das heißt, Soziale Medien lassen sich zum Beispiel von Terroristen instrumentalisieren, es gibt kaum eine Möglichkeit, das zu unterbinden."

Kommunikationswissenschaftler Christoph Neuberger

Wenig erbauliche Aussichten in einer Zeit, in der jede Plattform ihre Live-Aktivitäten massiv ausbaut: Erst vor wenigen Wochen hat Facebook das Livestreaming nicht nur Promis, sondern jedem Nutzer ermöglicht; auch Youtube setzt auf Live-Inhalte. Wie lassen sich also moralische Maßstäbe auch für Live-Übertragungen im Netz finden? Facebook antwortet, gefragt nach dem Plan, wie man mit bedenklichen Inhalten umgehen möchte:

"Sobald terroristische Inhalte von den Menschen gemeldet werden, entfernen wir diese unverzüglich. Wir ermutigen unsere User, solche Fälle sofort zu melden (…). In akuten Situationen kann das auch heißen, dass wir den Livestream unterbrechen."

Facebook-Sprecherin

Im Klartext: Die Verantwortung liegt ganz stark bei den Nutzern; wenn sie auf terroristische, kriminelle - oder einfach Inhalte, die nicht ins Netz gehören, stoßen, können sie das Facebook melden. 

Politiker fordern konsequentere Strafverfolgung

Die hoffentlich bald aufkommende, dringend benötigte Debatte über den Umgang mit Livestreaming erinnert an die Diskussion über die Hass-Kommentare. Bei denen nahmen, nehmen auch die Plattformen die Nutzer gern in die Pflicht. Doch Politiker wie auch der deutsche Justizminister forderten von Zuckerberg & Co, dass sich die Anbieter ums Löschen und eine konsequentere Strafverfolgung kümmern.

Wenn Plattformen die technischen Möglichkeiten zum Livestreaming anbieten, sollten sie parallel dazu auch Redaktionsteams aufbauen, die den inhaltlichen Rahmen abstecken. Und da Live-Buttons längst implementiert sind, müssen sich Facebook, Youtube & Co schleunigst darum kümmern, dass sie nicht mehr macht- und hilflos bei den Live-Exzessen sind.


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Friedrich Jungeleit , Dienstag, 05.Juli 2016, 18:58 Uhr

2. Was möchte die Autorin den Lesern jetzt mitteilen?

Wir brauchen Zensur, die Bürger sind unschuldig weil unmündig? Trotz Milliarden von Nutzern kommt Missbrauch nur im Promillebereich vor, dennoch werden die paar tausend Wirrköpfe unüberhörbar betont. Wie beim Fußball, Millionen Fans gehen friedlich nach Hause, eine Handvoll Schläger suchen mit Krawallen die Bühne; die etablierten Medien bereit sie.

Viele Ereignisse wie bspw. der islamistische Terrorismus waren früher über die alten Medien sehr steril, gefühlt auf anderen Planeten; aber sie sind irdisch und real. Nur weil das Netz diese Wirklichkeit aufzeigt, ist es keine böse Kreatur. Wer diese Realität nicht sehen möchte, kann durch einfache Sucheinstellungen Inhalte filtern. Die Entscheidung trifft das freie Individuum! Wer Gatekeeper fordert, die abseits der Justiz entscheiden, was in einer Demokratie erlaubt ist, fordert den Überwachungs- und Entmündigungsstaat. Vielleicht ist dies die wirkliche Motivation, extreme Beiträge aus dem Netz ins Licht zu stellen.

bluelupo, Montag, 04.Juli 2016, 13:50 Uhr

1.

Meiner Ansicht ist es grundsätzlich falsch die Verantwortung auf den Plattform-Betreiber abzuwälzen, da es die Nutzer selbst in der Hand (sprich Verantwortung) haben sich derartige "abartige verrückte Livestreamings" aktiv anzusehen. Die Anwender sich vorher Gedanken machen und den Verstand einschalten wenn sie an einem sozialen Netzwerk teilnehmen.

Ständige "Bevormundungs- und Content-Zensur" wird so massiv Vorschub geleistet wenn wir anfangen den Betreiber in die Pflicht zu nehmen

  • Antwort von ecc, Montag, 04.Juli, 15:11 Uhr

    Lesen Sie einmal das Buch "Generation doof" von Anne Weis und Stefan Bonner, dann merken Sie wie es mit dem "Verstand einschalten" steht.