Besorgte Reaktionen "Rechtsstaatlichkeit muss gewahrt bleiben"
Ausnahmezustand in der Türkei - das erlaubt Staatspräsident Erdogan, weitgehend per Dekret zu regieren. Außenminister Steinmeier fordert die Türkei auf, den Ausnahmezustand möglichst kurz zu halten und Rechtsstaatlichkeit, Augenmaß und Verhältnismäßigkeit zu wahren. Außerdem will die Regierung in Ankara die Europäische Menschenrechtskonvention zumindest teilweise aussetzen.
Nach dem gescheiterten Putsch hat der türkische Präsident Erdogan einen dreimonatigen Ausnahmezustand verhängt. Dieser wurde inzwischen vom Parlament bestätigt. Zugleich sicherte Erdogan zu, von der Demokratie "keinen Schritt abzuweichen".
Diese Maßnahme sei notwendig, um rasch "alle Elemente entfernen zu können", die in den Putschversuch verstrickt seien. Der Ausnahmezustand werde die Demokratie nicht einschränken, sondern diene vielmehr ihrem Schutz.
Menschenrechtskonvention wird teilweise ausgesetzt
Zudem hat die Türkei nun angekündigt, die Europäische Menschenrechtskonvention vorübergehend aussetzen zu wollen. Dies gelte während des Ausnahmezustands, "insofern es nicht internationalen Verpflichtungen des Landes zuwiderläuft", erklärte Vize-Regierungschef Numan Kurtulmus nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur "Anadolu". Die Europäische Menschenrechtskonvention verbietet etwa die Vollstreckung von Todesstrafen.
Rechtlich gesehen handelt es sich um eine logische Konsequenz, da die meisten Maßnahmen des Ausnahmezustands der Menschenrechtskonvention widersprechen. Auch Frankreich hat die Konvention nach den Anschlägen von Paris teilweise ausgesetzt, ebenso wie die Regierung in Kiew wegen der Gewalt in der Ostukraine.
Steinmeier mahnt zur Umsicht
Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte daraufhin die türkische Regierung zu Verhältnismäßigkeit. Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müsse die Türkei mit Augenmaß handeln und die Rechtsstaatlichkeit unter allen Umständen wahren.
Es sei außerdem wesentlich, die Dauer des Ausnahmezustands so kurz wie möglich zu halten und auf die unbedingt notwendige Dauer zu beschränken. Dies sei auch im Interesse der Türkei selbst, "denn alles andere würde das Land zerreißen und die Türkei schwächen, nach innen wie nach außen", so der Bundesaußenminister weiter.
Ausnahmezustand - was bedeutet das?
Als Ausnahmezustand wird ein Zustand bezeichnet, in dem die Existenz des Staates oder die Erfüllung von staatlichen Grundfunktionen als akut bedroht erachtet werden. Um der Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu begegnen, können außerordentliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ergriffen werden. Statt der ordentlichen Verfassung gilt dann eine "Notstandsklausel".
Erdogan kann während des Ausnahmezustands weitgehend per Dekret regieren. Grundrechte wie die Versammlungs- oder die Pressefreiheit können dann ausgesetzt oder eingeschränkt werden. Die Behörden können Ausgangssperren verhängen, Versammlungen untersagen und die Berichterstattung der Medien kontrollieren oder verbieten. Zudem kann der Staat auch Vermögen einziehen.
Türkische Regierung wiegelt ab
Türkische Spitzenpolitiker versuchen indessen zu beruhigen: Vize-Ministerpräsident Mehmet Simsek teilte via Twitter mit, der Ausnahmezustand werde weder die Pressefreiheit noch die Versammlungs- oder die Bewegungsfreiheit einschränken. Auch Ministerpräsident Binali Yildirim teilte über Twitter mit, der Ausnahmezustand sei nicht gegen das alltägliche Leben der Menschen gerichtet. Erdogan versuchte in mehreren nächtlichen Ansprachen ans Volk, mögliche Bedenken zu zerstreuen.
"Habt keine Sorge. Es wird im Ausnahmezustand definitiv keine Einschränkungen geben. Dafür garantieren wir."
Recep Tayyip Erdogan, Staatspräsident Türkei
Der Ausnahmezustand sei zum Schutz der Bevölkerung und definitiv nicht gegen Rechte und Freiheiten gerichtet. Ziel sei es, die Demokratie und den Rechtsstaat wiederherzustellen. "Wir werden von der Demokratie keinen Schritt abweichen."
Österreich bestellt türkischen Botschafter ein
Eine prompte Reaktion kam auch aus Österreich: Das Land bestellt nach Angaben von Außenminister Sebastian Kurz den türkischen Botschafter ein. Der Diplomat solle nach dem versuchten Militärputsch erklären, in welche Richtung sich die die Türkei weiterentwickeln werde, so Kurz. Zugleich solle im Gespräch mit dem Botschafter der türkische Einfluss auf die Pro-Erdogan-Demonstrationen, an denen in den vergangenen Tagen Tausende in Österreich teilnahmen, geklärt werden. Es gebe Hinweise darauf, dass diese "direkt aus der Türkei" dazu aufgefordert worden seien, auf die Straße zu gehen.
De Maizière: Konflikte nicht auf den Straßen austragen
Nach dem gescheiterten Militärputsch gehen Anhänger Erdogans auch in Deutschland gegen vermeintliche Gegner des Staatschefs vor. Aus mehreren deutschen Städten wurden Übergriffe und eingeworfene Fensterscheiben gemeldet. Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat angesichts der zunehmenden Anfeindungen zur Einhaltung von Recht und Ordnung gemahnt. "Wir wollen nicht, dass solche Konflikte in Deutschland mit Gewalt auf den Straßen ausgetragen werden", sagte de Maizière im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF.
Deutliche Worte von Claudia Roth
Entsetzen bei der Bundestagsabgeordnete der Grünen und Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth: Sie nannte die Situation in der Türkei absolut dramatisch. Dies sagte sie am Donnerstag dem BR. Die Demokratie in der Türkei sei tot und die Pressefreiheit hinter Gittern. Erdogan habe die letzten Reste von Rechtsstaat und Demokratie beerdigt. Was wir im Moment erlebten, wäre ein aufgewühlter Mob und der Schrei nach Todesstrafe.
Lob von Trump
Weniger Bedenken kommen vom republikanischen US-Präsidentschaftskandidaten Donald Trump: Er lobte einem Bericht der "New York Times" zufolge das türkische Staatsoberhaupt dafür, nach dem Putschversuch die Kontrolle wiedererlangt zu haben. Auf einem Parteitag der Republikaner antwortete Trump auf die Frage, ob Erdogan die Situation nicht ausnutze, um sich seiner politischen Gegner zu entledigen, dass er den türkischen Führer nicht dazu aufrufe, Rechtsstaatlichkeit oder westliche Standards in der Justiz einzuhalten.
Kommentieren
Europäer, Donnerstag, 21.Juli 2016, 22:50 Uhr
12. Wie sehen die anderen EU Länder die Situation in der Türkei?
Was mir in den vielen Berichten fehlt, ist die europäische Sichtweise auf die Vorgänge in der Türkei. Aber auch zu anderen Themen fehlen oft Informationen über die Haltung der übrigen europäischen Nachbarn. Gut, der österreichische Aussenminister kam heute vor. Was sagen Parlamentarier, das Volk, welche Meinungen haben Italiener, Franzosen, Griechen und weitere zu bedeutenden Europathemen?
Ich denke das Projekt Europa muss auch europäischer in den Medien ankommen. Auch müsste mehr Aufklärung über die diversen Einrichtungen in Brüssel, Rat, Kommission und Parlament dargestellt werden.
Zu Talk-Shows muss ich immer wieder feststellen, daß die Teilnehmer offenbar nicht zu einer akuraten "Sprechdisziplin" angehalten werden. Bei mir führt das unverständliche Durcheinandergequassel immer dann zur "Notabschaltung" bzw. umschalten, obwohl das Thema interessant wäre. Schade, aber ohne Dolby 7.1 lassen sich die Mitteilungen nicht verstehen (betrifft aber nicht BR).
Herbert G., Donnerstag, 21.Juli 2016, 15:45 Uhr
11. für Urlauber scheidet die Türkei aus...
Liebe redaktionelle Prüfer des BR!
Ich gehe mal davon aus, dass mein Kommentar die "redaktionelle Prüfung" nicht überstanden hat. Steht doch einfach dazu, dass auch Ihr Zensur betreibt! Und das mitfinanziert von meinen GEZ-Gebühren. Nichts anderes ist unter "redaktioneller Prüfung" zu verstehen. Oder sollte ich zu dumm gewesen sein, um beim Absenden meines Kommentares die Spamschutz-Rechenaufgabe zu lösen? Warum hat mir dann das System den erfolgreichen Versand bestätigt? Ein Hoch auf unsere Demokratie und die öffentlich-rechtlichen Staatsmedien! Die nächste Wahl kommt bestimmt.......mfG ein W(M)utbürger
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Antwort von Herbert C., Donnerstag, 21.Juli, 16:38 Uhr
@
Sie scheinen eher so eine Art AfD Bürger zu sein?
Ich weiß nicht, warum die Leute immer solche angeblichen Zensurprobleme haben wollen. Ist das auch eine Art Strategie, um die Medien zu diskreditieren?
Bei sachlicher Darstellung einer Meinung hatte ich noch nie ein Problem der "redaktionellen Prüfung" und gleichzeitig bin ich froh, diesen FB Shit hier nicht lesen zu müssen. Darüber sollten Sie sich doch auch freuen.
Diese immer wiederkehrenden subtilen Anspielungen auf Lügenpresse sind mehr dem Pegiden und AfD Lager zuzuordnen. Und dann noch die "Drohung" mit den nächsten Wahlen. Freuen Sie sich darauf, dann werden Sie sehen, was sich durchsetzt.
Antwort von Herbert G., Donnerstag, 21.Juli, 17:29 Uhr
Eben weil ich dieses Land nicht der AfD überlassen will, habe ich in meinem Kommentar u.a. aufgeführt, was ich von unseren Volksvertretern erwarte und einen entsprechenden Vorschlag gemacht.. Das ist halt leider laut BR nicht mit der verordneten Mehrheitsmeinung kompatibel. Die Unterstellung, dass ich der AfD nahestehe, weise ich zurück. Das ist auch eine Art Strategie, jeden in die rechte Ecke zu stellen, dem sein Heimatland noch am Herzen liegt. Aber wie sonst soll man sich als Demokrat Gehör bei den Etablierten verschaffen, wenn nicht als Protestwähler!? Nicht wählen ändert genauso nichts, wie wenn man die Etablierten weiter wählt. Die, die bei uns am Ruder sind, sind leider auch keine Alternative. Und zusehen zu müssen, wie wir auf dem Zug Richtung Abgrund noch kräftig Gas geben, tut einfach nur weh.
Antwort von Herbert C., Donnerstag, 21.Juli, 22:32 Uhr
Formulieren Sie einfach ohne viel Umschweife, ohne Zensurvorwürfe, ohne beleidigenden Inhalts ihre Meinung und ich bin sicher, ihr Beitrag geht durch.
Ich muss gestehen, Sie aus der Art ihrer Formulierung in einer Schublade verortet zu haben in der Sie nach ihren Worten nicht sind. Insoweit kam ihr erster Beitrag schon mißverständlich rüber, wenn Sie nicht einer dieser genannten Anhänger sind. Den nicht freigeschalteten Beitrag kann ich nicht bewerten. Im Zweifelsfalle lesen Sie ihren Text nochmals durch und prüfen in selbst auf die Netiquette bzw. Kommentarrichtlinien.
Antwort von Cosi, Samstag, 23.Juli, 09:57 Uhr
@Herbert C.
Ich schreibe hier in diesem Forum weil hier eben nicht alles veröffentlich wird ,vor allem purer Hass werden sie hier nicht finden.
Außerdem schreibe ich auch deshalb um den radikalen Rechten/ Linken nicht das Feld zu überlassen.
Ich fühle mich hier gut aufgehoben ohne Facebook.
Francesco, Donnerstag, 21.Juli 2016, 14:37 Uhr
10. Und wieder einmal....
... beweist der österreichische Aussenminister Kurz, dass er ein Gespür für Krisensituationen hat, spricht deutliche Worte (bei uns undenkbar...) überholt unsere Aussitzer incl. EU mit hohem Tempo. Ich frage mich, ob sich die "Unseren" nicht mal schämen, Stolz haben sie sicher keinen.
Niko, Donnerstag, 21.Juli 2016, 14:24 Uhr
9. die Leisetreter
warum können unsere Politiker nicht Klartext sprechen und entsprechende, gerechtfertigte Maßnahmen einleiten. In der Ukraine war anscheinend der rechtswidrige Umsturz in Ordnung. Geht es um Putin, sind unsere Politiker regelmäßig nicht so zimperlich und lassen oft genug kräftige Verbalatacken vom Stapel. Einzig Österreich zeigte jetzt deutlich, was von dem Putsch nach dem Putschversuch zu halten ist.
Es ist doch längst erkennbar, dass Erdogan darauf pfeift , was wir als demokratische, rechtsstaatliche Ordnung betrachten. Letztendlich verlieren die Bürger immer mehr das Vertrauen in eine Politik, bei der, je nach Lagerzugehörigkeit entschieden wird, was Recht und was Unrecht ist.
Kein Wunder, dass wir zunehmend unglaubwürdig werden und dafür berechtigt den Spiegel vorgehalten bekommen. So geht unsere Demokratie vor die Hunde.
Antwort von Francesco, Donnerstag, 21.Juli, 14:40 Uhr
.... Genau so isses. Und unsere Regierenden merken gar nicht, dass die Demokratie vor die Hunde geht (gegangen ist...
F.K., Donnerstag, 21.Juli 2016, 14:19 Uhr
8. Mahnende Worte
"Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier mahnte daraufhin die türkische Regierung zu Verhältnismäßigkeit. Bei allen Maßnahmen, die der Aufklärung des Putschversuchs dienen, müsse die Türkei mit Augenmaß handeln und die Rechtsstaatlichkeit unter allen Umständen wahren."
Danke Herr Steinmeier, jetzt haben Sie dem Erdogan aber deutlich gezeigt wo der Bartl den Most holt.
Bravo, dieser Mut.
Aber halt da gibt es doch noch Österreich!
Haben die nicht den türkischen Botschafter einbestellt?! Ei Ei Ei, und Deutschland mahnt. Peinlich.