Hetze in deutsch-türkischen Medien Eine Spur führt in die türkische Botschaft
Recherchen des Bayerischen Rundfunks und von Correctiv zeigen: Deutsch-türkische Blogger spielen bei der Hetze gegen deutsche Politiker in den sozialen Netzwerken eine maßgebliche Rolle. Ein Kreis um den Sprecher der türkischen Botschaft macht so Stimmung vor der Bundestagswahl.
In seinen Videos hetzt Bilgili Üretmen wahlweise gegen Deutschland, deutsche Medien oder „Fettsack-Siggi“– gemeint ist Außenminister Sigmar Gabriel. Dem inhaftierten Welt-Korrespondenten Deniz Yücel wünscht er, dass die Polizisten ihn „einmal pro Tag mit dem Schlagstock durchnehmen“. Im Netz ist Üretmen ein Star: Auf Facebook hat der Videoblogger über 50.000 Fans, sein Youtube-Kanal verzeichnet knapp 700.000 Aufrufe, seine Beiträge sind meist auf Deutsch. Anfang Juni wirbt Üretmen mit einem Youtube-Video für seine Sendung auf dem neuen Websender Z-23 TV, der auch anderen Bloggern eine Bühne bieten will. Bloggern, die Stimmung für den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan machen und dabei gegen deutsche Politiker hetzen.
Recherchen des Bayerischen Rundfunks und CORRECTIV zeigen: Der Sprecher der türkischen Botschaft in Berlin, Refik Soğukoğlu, pflegt enge Verbindungen zu Z-23 TV. Vier Domains des Senders bzw. seiner Formate, darunter auch jene zu Üretmens Sendung, liefen bis Mitte September auf den Namen von Refik Soğukoğlu. Außerdem stellt sich der Geschäftsführer des Senders als sein Cousin vor.
Und nun soll mit Soğukoğlus Unterstützung Z-23 TV starten, mitten in einer deutsch-türkischen Vertrauenskrise. Da „hunderte unterschiedliche Tageszeitungen und TV-Kanäle ein und denselben Konzernen gehören“, so steht es auf der Sender-Website, wolle man „dem deutschsprachigen Publikum weitere alternative Sichtweisen auf globale Ereignisse geben". Dafür haben sich die Verantwortlichen einflussreiche Unterstützung geholt: türkischstämmige Influencer, politische Meinungsmacher auf Facebook, die sogar klassischen Medien Konkurrenz machen.
Journalisten des BR und CORRECTIV haben 95 Facebook-Auftritte von türkischen und deutsch-türkischen Medien analysiert, dabei fällt auf: Blogger sind die Meinungsmacher. Unter den zehn beliebtesten Seiten mit mehrheitlich Fans aus Deutschland finden sich sechs Blogger. Sie alle sind auf Regierungslinie und unterstützen die Politik von Erdoğan. Seiten wie die Osmanische Generation (67.973 Fans) oder Bilgili Üretmen (50.749 Fans) haben auf Facebook eine deutlich größere Reichweite als viele Zeitungen oder Nachrichtenportale. Und damit zahlenmäßig einen größeren Einfluss.
Blogger geben den Ton an
Sechs der zehn beliebtesten Facebook-Seiten von türkischen und deutsch-türkischen Medien mit mehrheitlich Fans aus Deutschland sind Blogger.
Sprechen die Influencer über Politiker wie Angela Merkel oder Sigmar Gabriel reagieren Facebook-User drei bis vier Mal stärker als auf Einträge von Nachrichtenseiten. Wenn deutsche Politiker erwähnt werden, dann allerdings oft nur in einem negativen Kontext. Diese Tendenz zeigt sich auch, wenn man alle Posts nach sechs deutschen Politikern untersucht und jene 30 mit den meisten Reaktionen auswertet.
Stimmungsmache gegen deutsche Politiker
Knapp 500.000 Facebook-Posts wurden nach sechs Politiker-Namen durchsucht und jeweils die 30 Posts mit den meisten Reaktionen darauf (Likes, Shares, Kommentare, Emoji-Reaktionen) ausgewertet: negative Erwähnungen dominieren.
Das Ergebnis: Gegen die deutsche Politik wird gewettert und Zehntausende Menschen in Deutschland werden damit erreicht. Getreu dem Wahlboykottaufruf von Präsident Erdoğan, der CDU, SPD und Grüne als „Feinde der Türkei“ bezeichnete, wird kein Politiker dieser Parteien von Häme oder Hetze verschont. Auch Vertreter von Die Linke sind davon betroffen, zum Teil auch die FDP.
Ein Sender wie Z-23 TV kann von dieser Meinungsmacht profitieren, um seine Inhalte zu verbreiten. Vermutlich sind deshalb neben Bilgili Üretmen auch Blogger mit Tausenden Fans in Deutschland, wie Esma Akkuş und Cüneyt Aksoy, Teil des Teams. Botschaftssprecher Soğukoğlu war als Inhaber der Domains von Z-23 TV eingetragen. Deshalb stand neben seinem Namen auch seine Handynummer im Domainregister. Jedenfalls bis zum 13.9.2017. Dann wurden innerhalb von vier Stunden alle Domains auf Muhammed Faruk Soğukoğlu überschrieben, seinen Cousin. Auf der Website des Senders verschwand plötzlich die Team-Seite inklusive Fotos. Am Vortag hatten Journalisten des Bayerischen Rundfunk und CORRECTIV Botschaftssprecher Soğukoğlu Fragen über seine Verbindungen zu Z-23 TV gestellt. Mit der Domain und dem Projekt Z-23 TV habe er nichts zu tun, sagte Soğukoğlu. Da müsse ein Betrug vorliegen, einen, den er “angehen muss”. Er besitze nämlich überhaupt keine Domains.
Der Kreis um den türkischen Botschaftssprecher Soğukoğlu
Insgesamt konnten der Bayerische Rundfunk und CORRECTIV fünf Domains dokumentieren, die auf den Namen von Refik Soğukoğlu registriert waren, darunter auch ein möglicher Schweizer und österreichischer Ableger von Z-23 TV. Der Sender befand sich nach eigener Angabe bis September in der Testphase, aktuell werden Beiträge ausgestrahlt und Videos auf Youtube veröffentlicht. „Wo die Medien zensieren, da beginnen wir“, heißt es in einer Sendung, deren Seite auf Facebook bereits rund 10.000 Fans hat. Verantwortlich dafür ist Cüneyt Aksoy, nach eigenen Angaben Kreativdirektor bei Z-23 TV. Seine Kollegin Esma Akkuş betreibt zwei Seiten: ein Profil mit 18.000 Fans sowie eine Seite mit rund 14.000 Anhängern. Kurz nach dem Wahlboykottaufruf von Präsident Erdoğan verglich sie die Wahl zwischen deutschen Parteien mit "Scheiße in unterschiedlichen Brauntönen".
Eine Auswertung der Facebook-Auftritte rund um Z-23 TV zeigt: Deutsche Politiker werden selten erwähnt und wenn, dann meist mit einem negativen Spin. Das Lieblingsthema der Gruppe ist vielmehr der türkische Präsident Erdoğan. Sein Name kommt in jedem zehnten Post vor und fast immer in positivem Kontext.
Soğukoğlu erklärte auf Nachfrage schriftlich: „Es besteht keinerlei privates oder amtliches Verhältnis zu dem Sender.“ Am Telefon bestreitet er, Teammitglieder von Z-23 TV zu kennen. Das ist falsch: Nach Informationen des BR und CORRECTIV kennt der Botschaftssprecher neben seinem Cousin mindestens einen der umstrittenen Blogger persönlich aus Studienzeiten, er hat Filme mit ihm gemacht.
Die türkische Botschaft äußerte sich auf Anfrage nicht, ebenso wenig wie Z-23 TV, Esma Akkuş und Cüneyt Aksoy. Und Bilgili Üretmen schrieb auf Fragen nach seiner Tätigkeit für Z-23 TV und dem Verhältnis zu Refik Soğukoğlu:
"Und ihr denkt, das ich solchen A****chern wie euch auch nur eine Frage beantworte? Fragt doch euren Staatsverräter Can Dündar, der weiß doch soviel.. Jetzt nervt mich nicht ! Und wagt es ja nicht vor meiner Tür aufzukreuzen !"
Facebooknachricht von Bilgili Üretmen vom 18.09.2017
Update am 22. September 2017
In einer Stellungnahme von Z-23 TV nach der Veröffentlichung heißt es, dass der Sender seit Ende Mai keinerlei Verbindungen mehr zum Blogger Üretmen habe. Es bestehe auch keinerlei Verbindung zur türkischen Botschaft in Berlin.
Noch Anfang Juni machte Üretmen allerdings auf seinem Youtube-Kanal Werbung für seine Sendung auf Z-23. Bis wenige Tage vor der Veröffentlichung unserer Recherche befand sich auf der Facebook-Seite von Z-23 ein Video, das Üretmen bei einem Rundgang durch den Sender zeigt.
Über die Daten
Allen 95 untersuchten Medien ist gemein, dass sie min. 10.000 Fans auf Facebook oder eine Auflage von min. 10.000 Stück haben. Es handelt sich um Publikationen mit Sitz in der Türkei bzw. türkischsprachige und deutsch-türkische Medien in Deutschland. Heruntergeladen und ausgewertet wurden knapp 500.000 Posts dieser Facebook-Seiten, die im Zeitraum von 1.1.2016 bis 15.9.2017 erschienen sind. Enthielten Posts einen der vorab festgelegten Politikernamen, zum Beispiel Gabriel oder Merkel, wurden die Reaktionen darauf (Likes, Shares, Kommentare, Emojis wie wütend, lachend, staunend, weinend, Herzen) zusammengefasst. Die Liste der deutsch-türkischen Medien erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Ausgehend von einem Projekt von Reporter ohne Grenzen und der türkischen Zeitung Bianet, das regierungstreue Medien in der Türkei untersucht hat, wurden diese nach den definierten Kriterien ausgesucht und um neutrale und regierungskritische, linke etc. ergänzt. Exkludiert wurden Medien, die keinen Facebook-Auftritt hatten. Die Forschungslage zu deutsch-türkischen Medien in Deutschland war bei der Datenauswahl keine Hilfe, da die Veröffentlichungen veraltet sind, die aktuellsten Daten stammen teilweise aus 2008 bzw. 2010. Daher wurde die Auswahl der Medien mithilfe von deutsch-türkischen Journalisten, der deutsch-türkischen Community und Eigenrecherche nach bestem Gewissen ergänzt.