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Türkische Putschnacht Echtzeit-Drama auf Twitter und Facebook

Eine Art Reality TV: In Echtzeit berichten soziale Medien vom Putsch in der Türkei - und helfen damit Präsident Erdogan, der das Internet sonst oft verteufelt, bei der Niederschlagung. Auch in Deutschland sitzen viele Türken am Netz.

Von: Ralf Fischer und Michael Kubitza

Stand: 21.07.2016

Türkische Flagge und Twitterlogo | Bild: picture-alliance/dpa

Freitag, halb zehn. Türkische Soldaten sperren Brücken über den Bospurus. In den sozialen Medien kursieren Gerüchte:

"Ich kam nachhause um 10 Uhr und jemand schrieb mir: hast du schon gehört? Militärputsch!"

Hasan Cobanli

Die Türkei steht am Wochenende an der Schwelle zum Bürgerkrieg. Es ist ein Putsch und tausende Handy-Augen lassen die Welt zusehen. Sie teilen ...

"... das Gefühl, dass man diesen Moment einfach nicht verpassen möchte, wo vielleicht etwas Historisches passiert."

Roy Karadaq

Auch unzählige Türken in Deutschland sind online. So wie Hasan Cobanli. Sein Vater ist Türke, er selbst als Kind in der Türkei aufgewachsen. In der Putschnacht sitzt er stundenlang am Rechner - schaut, liest und chattet. Es ist, als wäre er selbst in Istanbul. Noch Tage später ist er aufgewühlt, wenn er sich die Videos von Freitagnacht anschaut.

"Ich bin Polizist, du bist Soldat! Du hast gar keine Ahnung, warum du gekommen bist. Das ist unglaublich, man ist mittendrin! Das ist unglaublich! Du bist voll dabei!"

Hasan Cobanli

Am späten Abend zwingen die Putschisten mit vorgehaltener Waffe die Nachrichtensprecherin, ihre Machtübernahme zu erklären. Nur haben sie nicht die Macht über das Internet. Per Handy werden massenhaft Videos gestreamt.

Eine Nachrichtenlawine ...

Videos zeigen praktisch in Echtzeit, was auf den Straßen von Ankara und Istanbul passiert.


Türkeiexperte Roy Karadaq hatte geglaubt, dass es keine Putschversuche mehr in der Türkei geben wird. Doch am Wochenende konnte er live dem Widerstand zuschauen:

"Natürlich war ich jetzt nicht auf den Straßen dort, und viele die mitgefiebert haben, waren auch nicht dort, aber es wird virtuell kreiert, dass man vielleicht doch Teil dieser Geschichte geworden ist."

Roy Karadaq, Politikwissenschaftler

Das Netz hält drauf - wenn die Fernsehsender das gerade nicht können

Halb zwölf - der türkische Präsident Erdogan wendet sich per Internetvideo ans Volk. Ein wichtiges Lebenszeichen und ein Aufruf an die Anhänger, Widerstand zu leisten. Etwas ist anders als bei früheren Putschen in der Türkei- bisher hat immer das Militär gesiegt.

Beim ersten Putsch war Hasan Cobanli noch in der Türkei in der Schule. Damals erfuhr er davon nur durch Verlautbarungen der Armee im Radio.

"Mein Vater, der sagte damals – oh, oh! Die Religiösen sind furchtbar – aber das Militär könnte noch schlimmer werden."

Hasan Cobanli

Doch dieses Mal läuft die Geschichte anders. - die Erdogan-Anhänger sind auf den Straßen und im Netz. Man kann sogar die Route von Erdogans Flug nachverfolgen.

Um 2.20 Uhr soll seine Maschine in Istanbul gelandet sein. Die Regierung bekommt allmählich die Kontrolle zurück. Am Morgen ergeben sich die Putschisten.

"Hätten die Putschisten die Wirksamkeit sozialer Medien ernst genommen, dann hätten sie dafür gesorgt, dass sie relativ schnell erfolgreiche Bilder produzieren, was den Putschverlauf betrifft. Da waren eben Erdogan und die AKP-Anhänger schneller dabei, diese Bilder von Massenmobiliserung zu produzieren."

Roy Karadaq

In dieser Woche ließ die Regierung tausende Soldaten und auch Richter und Zivilisten verhaften. Die Todesstrafe wird diskutiert. Der Putsch - abgewendet, die Zukunft der Türkei dennoch unsicher. Hasan Cobanli, der mehrere Putsche miterlebt und darüber ein Buch geschrieben hat, chattet weiter mit Freunden und Lesern über die jüngsten Ereignisse - sie wollen wissen, wie es in der Türkei weitergeht.

"Jetzt erwarten die von mir, dass ich schreiben soll, wie es weitergeht. Als ob ich das wüsste!"

Hasan Cobanli


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