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Flüchtlingspolitik in Europa Deutschland droht die Einsamkeit

Angela Merkel will die Flüchtlingskrise mit Hilfe der Partner in der EU lösen. Doch die verweigern sich zunehmend, das bringt die Bundeskanzlerin in Bedrängnis. Was wurde bisher beschlossen - und was davon umgesetzt?

Von: Katrin Schirner

Stand: 16.12.2015 | Archiv

Flüchtlinge am Bahnhof Passau (Symbolbild) | Bild: picture-alliance/dpa/Angelika Warmuth

Der Satz wird wahrscheinlich in die Geschichte eingehen: „Wir schaffen das!“. Die Kanzlerin hat ihn zum ersten Mal im August gesagt und seitdem unzählige Male wiederholt. Damals war es als Aufmunterung für die vielen freiwilligen Helfer und als Beruhigung für besorgte Bürger gedacht. Mittlerweile modifiziert Angela Merkel den Satz: „Wir schaffen das – aber nicht allein!“. Europa soll die Flüchtlingskrise gemeinsam lösen. Einiges wurde in Brüssel schon auf den Weg gebracht. Das Problem ist nur: selbst auf höchster Ebene getroffene Beschlüsse werden nicht, oder nur schleppend umgesetzt.

Verteilung von Flüchtlingen - beschlossen, doch nicht umgesetzt

Ein Beispiel ist die Verteilung von 160.000 Flüchtlingen aus Italien und Griechenland auf andere Länder - so beschlossen von den EU-Innenministern, gegen den Willen von vier osteuropäischen Ländern. Auch Polen konnte damals nur mit Mühe überzeugt werden, mit Ja zu stimmen. Sofort nach den Wahlen hat die neue, rechtsgerichtete polnische Regierung ihre Zustimmung zurückgezogen und könnte sogar gegen den Beschluss vor dem Europäischen Gerichtshof klagen.

Die Slowakei und Ungarn tun dies bereits. Die Länder in Osteuropa sehen in dem Verteilungs-Beschluss ein Diktat aus Berlin, sie wollen auf keinen Fall Flüchtlinge in ihren Ländern. Sie fürchten, und das nicht ganz zu Unrecht, dass die Verteilung der Einstieg in ein europäisches Quotensystem sein könnte. Der deutsche Innenminister de Maizière hat mehr als ein Mal gesagt, die Migranten dürften sich nicht aussuchen, in welchem europäischen Land sie Asyl beantragen. Das Problem ist nur: weder die Länder in der EU, noch die Flüchtlinge selbst wollen eine europäische Verteilung. Bisher konnten übrigens nicht mal 200 Flüchtlinge in ein anderes EU-Land geschickt werden.

"Koalition der Willigen" bröckelt

Ein weiteres Beispiel ist die Hilfe für die Türkei. Ende November beschlossen die Staats- und Regierungschefs den EU-Türkei-Aktionsplan. Der sieht unter anderem vor, der Türkei Kontingente von einigen hunderttausend Flüchtlingen abzunehmen. Angela Merkel weiß längst, dass eine europaweite Verteilung unmöglich ist. Sie versucht daher, eine „Koalition der Willigen“ zu schmieden. Deutschland, Österreich, die Benelux-Länder, Frankreich und Schweden sollen mitmachen.

Aber die Koalition bröckelt. Frankreich hat Angst, mehr Flüchtlinge aufzunehmen, denn der rechtsextreme und fremdenfeindliche Front National wird immer stärker. Selbst Schweden, das pro Kopf bisher die meisten Menschen aufgenommen hat, wird wohl nicht mehr mitmachen. Vor einigen Wochen bat die schwedische Regierung, selbst Flüchtlinge in andere Länder schicken zu dürfen. Auch Österreich und die Benelux-Staaten senden Signale der Überforderung. Am Ende könnte anstelle der Koalition der Willigen nur Deutschland übrig bleiben.  

"Ein Problem der Deutschen"

Beim Geld hört bekanntlich die Freundschaft auf. Selbst in Europa, wo Probleme am Ende immer mit Geld geregelt wurden. Teil des Aktionsplanes mit der Türkei ist auch, dass das Land drei Milliarden Euro erhalten soll, um Flüchtlinge im Land zu unterstützen. Die EU-Kommission will davon 700 Millionen Euro übernehmen. Der Rest von 2,3 Milliarden Euro müsste aus den EU-Mitgliedsländern kommen. Obwohl die Hilfe für die Türkei ein rechtskräftiger EU-Beschluss ist, sträuben sich einige Länder. In Brüssel hören deutsche Diplomaten: Die Flüchtlingskrise sei ein deutsches Problem, also solle Deutschland auch alleine zahlen.

Aus einer Sitzung wird berichtet, ein Teilnehmer habe vorgerechnet, wie viel Deutschland sparen würde, wenn weniger Flüchtlinge kämen. Denn die wollten ohnehin alle nach Deutschland, da könne Berlin doch auch allein die Rechnung übernehmen. Der ungarische Ministerpräsident Orban hat sogar schon öffentlich ausgesprochen, dass er die Flüchtlingskrise für ein Problem der Deutschen hält. Ohne es laut zu sagen denken in der EU mittlerweile viele Länder so. „Wir schaffen das – aber nicht allein!“, so die Kanzlerin. Am Ende könnte Deutschland in Europa dennoch allein gelassen werden.


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