Homosexuelle Muslime Kampf um freie Sexualität
In einigen Länder wird Homosexualität noch immer von der Gesellschaft verurteilt, teilweise droht Homosexuellen sogar die Todesstrafe. Ein junge Muslim erzählt, warum es in seiner Heimat so gefährlich ist, sich zu outen.
Wenn wieder in vielen Städten Schule und Lesben beim Christopher Street Day durch die Straßen ziehen, sind unter ihnen auch Männer und Frauen aus islamischen Ländern. Für sie ist es alles andere als selbstverständlich, ihre Sexualität offen zu leben. Der Grund: Viele gläubige Muslime sehen Homosexuelle schlichtweg als Sünder an.
"Wenn die herausfinden, dass wir Sex haben (...) die verstehen das nicht, dass das Liebe ist, dass das natürlich ist, und keine Krankheit ist. Wir machen das nicht absichtlich. Wenn man Sex hat, wird man bestraft."
Jusef
Im Iran droht Schwulen die Todesstrafe
Jusef ist 36 Jahre alt, gläubiger Muslim und schwul. Im Iran durfte er seine Homosexualität nicht öffentlich zeigen. Auf Sex mit einem Mann steht dort die Todesstrafe. Zu der Angst vor dem Staat kam die Angst vor der eigenen Familie. Das ständige Versteckspiel, die ständige Fragerei nach einer Freundin brachte ihn an seine Grenzen.
"Ich will nicht verrückt werden. Ich will keinen Selbstmord machen."
Jusef
Jusef ist nach Deutschland geflohen und und hat Asyl beantragt. Aber auch hier – in einer oberbayerischen Asylbewerberunterkunft - musste er seine Neigung vor anderen Muslimen verheimlichen.
"Du bekommst wirklich Angst, Unsicherheit und Stress. Ich hatte diese Angst, dass die Leute herausfinden, dass ich schwul bin. Ich musste immer hetero bleiben, mich kontrollieren ..."
Jusef
Verstoß gegen die "Ordnung Gottes"
Lügen, Schweigen, Verheimlichen – für homosexuelle Muslime meist bittere Realität. Nach Meinung viele Gläubiger verstoßen sie gegen die Ordnung Gottes. Im Koran findet sich allerdings keine Stelle, die Schwule und Lesben direkt benennt und verurteilt. Um ihre homophobe Haltung zu begründen, beziehen sich viele auf die Geschichte von Lot, die der biblischen Sodom und –Gomorrah-Geschichte entspricht, erklärt der Erlanger Islamwissenschaftler Mathias Rohe.
"Da gibt es eine traditionelle Auslegung, die besagt, das spiele auf homosexuelle Praktiken an. Andere sagen, da gehe es um irgendwelche sexuellen Überfälle auf andere. Das heißt, da gibt es einen Auslegungsstreit. Aber die traditionelle Position ist die, die wir aus der Bibel kennen: Homosexualität wird abgelehnt."
Islamwissenschaftler Mathias Rohe
Unter den muslimischen Verbänden in Deutschland herrscht keine Einigkeit. Der liberal-islamische Bund betrachtet Homosexualität offiziell weder als Sünde noch als göttliche Strafe oder Prüfung. Der türkische Verband Ditib hat sich trotz mehrmaliger Nachfrage nicht äußern wollen. Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, hat zwar den Anschlag auf eine Schwulen-Disko in Orlando bei einer Demonstration kritisiert, doch zum Umgang mit Homosexuellen in den eigenen Reihen wollte Mazyek keine Stellung nehmen.
Kein rein muslimisches, sondern kulturelles Problem
In vielen muslimischen Ländern ist die Haltung allerdings klar: Schwule und Lesben werden verfolgt und müssen häufig um ihr Leben bangen. Allerdings, betont Claudia Stamm von den Landtags-Grünen, sei das kein rein muslimisches Phänomen, sondern ein Problem der Kultur etwa in Afrika, Mittelamerika und Nahost.
"Ganz wichtig ist zu sagen, dass es nicht alleine muslimische Länder sind, sondern da, wo ein Glaube fanatisch oder fundamental ist, fundamental ausgeübt wird, wo es auch sehr stark christliche, auch im Staat verankerte Strukturen gibt."
Grünen-Politikerin Claudia Stamm
Viele Homosexuelle fliehen deshalb nach Deutschland und beantragen Asyl, wie Jusef. Seine gläubige Schwester, die in München wohnt, hat zu seiner Überraschung positiv auf sein Outing reagiert. Eine große Erleichterung für den 36-Jährigen. Trotzdem: Seit 20 Jahren kämpft er darum, als schwuler Muslim respektiert zu werden.