NSU-Prozess


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Opfer-Hinterbliebene Der zweite Schock nach dem Verlust

Falsche Verdächtigungen, unsensible Verhöre - Angehörige der NSU-Opfer mussten nicht nur deren Tod verkraften, sondern auch den rüden Zugriff der Behörden.

Von: Ernst Eisenbichler

Stand: 10.04.2013 | Archiv

Illustration: Verhör-Situation | Bild: BR, tmm ideas and graphic solutions, Montage: BR

Acht der zehn Ermordeten waren Türken oder türkischstämmig, einer hatte einen griechischen Hintergrund. Doch kaum ein Ermittler kam auf die Idee, dass Neonazis hinter den Taten stecken könnten. Im Gegenteil: Die Ermittler begrenzten ihre Tätersuche auf Migrantenkreise und erwogen bei den Motiven alles mögliche, nur nicht Fremdenfeindlichkeit: Mafiaverbindungen, Drogendelikte, außereheliche Affären, nicht bezahlte Schulden. Offene oder unterschwellige Ausländerfeindlichkeit bei so manchem Ermittler mag diesen einseitig ausgerichteten Fahndungshorizont befördert haben.

Semiya Simsek hat ihre Erfahrungen im Buch "Schmerzliche Heimat" veröffentlicht.

Die deutsche Polizei war bei ihren Methoden offenbar nicht zimperlich. Noch am Tag des Nürnberger Mordes an Blumenhändler Enver Simsek, des ersten NSU-Opfers, hätten 15 Polizisten dessen Haus gestürmt, wo sich seine zu diesem Zeitpunkt noch unwissende Ehefrau aufgehalten habe. Das berichtete Simseks Tochter Semiya. Zum Vergleich: Direkt nach einem Mord an einem Deutschen wären dessen Angehörige zunächst von einem Kriseninterventionsteam betreut worden.

Ehefrau verdächtigt

Nach Angaben von Semiya Simsek hatte die Polizei zunächst ihre Mutter im Verdacht gehabt, ihren Vater gemeinsam mit einem Onkel getötet zu haben. Um Geständnisse zu erzwingen, hätten die Ermittler versucht, ihre Mutter bei Verhören in Fallen zu locken, berichtete Semiya Simsek. So hätten die Beamten ihre Mutter mit dem Bild einer Frau konfrontiert und gesagt, ihr Vater habe mit ihr zwei Kinder. Außerdem sollen sie behauptet haben, Enver Simsek sei häufig als Drogenschmuggler in die Niederlande gefahren.

Semiya Simsek, die mehrmals den Umgang der Behörden öffentlich anprangerte, hatte nach eigenen Angaben von Anfang an gemutmaßt, dass der Mord an ihrem Vater einen rechtsradikalen Hintergrund gehabt haben könnte. Doch entsprechende Hinweise ihrer Familie hätte die Polizei ignoriert.

In die Täterrolle gedrängt

Medienberichten zufolge war der Umgang der Behörden mit Angehörigen der weiteren Opfer nicht unähnlich zu dem mit der Familie Simsek. So sagte der Rechtsanwalt Yavuz Narin, der die Ehefrau und die Töchter des in München ermordeten Kleinunternehmers Theodoros Boulgarides vertritt, seine Mandantinnen seien von den Sicherheitsbehörden nicht ernst genommen, sondern in die Rolle von Tätern gedrängt worden.

Mahnmale

Inzwischen gibt es in mehreren Städten, die Tatorte waren, Gedenkstätten: Tafeln mit den Namen der zehn Mordopfer in Kassel und Heilbronn, ein Mahnmal in Nürnberg, wo Enver Simsek, Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar ermordet wurden. In München tötete der NSU mutmaßlich zwei Menschen: 2001 in Ramersdorf den türkischen Obst- und Gemüsehändler Habil Kilic, 2005 den Griechen Theodoros Boulgarides, der einen Schlüsseldienst im Westend betrieb. Für die beiden gibt es inzwischen auch in München Gedenktafeln in den beiden Stadtteilen.


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