Staatliches Tierwohl-Label Wenig Verbesserung für Tierschutz und Verbraucher
Ein besseres Leben für Schweine und Geflügel - das verspricht das staatliche Tierwohllabel von Bundeslandwirtschaftsminister Christian Schmidt. In Kürze will er es vorstellen. Doch der vorläufige Entwurf zeigt: Es geht vor allem um die Interessen der Agrar- und Lebensmittellobby.
Frische Luft, Licht, ausreichend Platz und Auslauf, so sähe Studien zufolge das Leben eines Mastschweines aus, wenn es nach den Wünschen der Verbraucher ginge. 88 Prozent der Befragten wären laut aktuellem Ernährungsreport des Bundeslandwirtschaftsministeriums bereit, mehr für Lebensmittel zu zahlen, wenn Tiere dafür besser gehalten würden.
Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) bei der Vorstellung des Logos für das staatliche Tierwohllabel auf der Grünen Woche im Januar 2017
Auf diese Wünsche geht Bundesagrarminister Christian Schmidt (CSU) ein. Sein Haus hat einen Entwurf für ein staatliches Tierwohl-Label ausgearbeitet. Ein Prestigeprojekt - für die Informationskampagne sind 70 Millionen Euro eingeplant. Doch der Entwurf für die Haltung von Mastschweinen, der BR Recherche und der Süddeutschen Zeitung vorliegt, zeigt: Das staatliche Label wird kaum Verbesserungen für die Tiere bringen.
Mehr Platz und ein Stück Holz
In weiten Teilen liest sich Schmidts Label-Entwurf für die Einstiegsstufe bei der Schweinemast wie eine Neuverpackung gesetzlicher Mindeststandards:
Kriterien des staatlichen Tierwohllabels
- Spielzeug gegen die Langeweile, zum Beispiel ein Stück Holz - ist bereits in der nationalen Nutztierhaltungsverordnung festgeschrieben
- Ständiger Zugang zu Raufutter wie zum Beispiel Stroh - seit Jahren laut einer EU-Richtlinie Standard
- Abschneiden des Ringelschwanzes: Obwohl eine EU-Richtlinie das routinemäßige Kupieren verbietet, ist es gängige Praxis und weit verbreitet. Auch im Label-Entwurf wird es nicht kategorisch untersagt. Dran bleiben muss der Schwanz nur "soweit nach Risikobewertung und gegebenenfalls Umsetzung von Maßnahmen möglich"
- Einzige Neuheit: Mehr Platz, das heißt einen Quadratmeter für ein 100 Kilo Mastschwein - statt der gesetzlich vorgeschriebenen 0,75 Quadratmeter
Das heißt: Laut Label-Entwurf dürften Schweine weiterhin im Schummerlicht gehalten werden - auf hartem Spaltenboden, der die Gelenke kaputt macht.
Alte Standards neu verpackt
Die Standards für das Label, sie sollen kaum höher sein als das, was das Gesetz längst vorschreibt? Und das will der Agrarminister mit einem staatlichen Tierwohllabel auszeichnen? Den Aufpreis zahlt am Ende der Verbraucher. Auf Anfrage von BR und SZ schreibt das Ministerium:
Die Kriterien haben sich Insidern zufolge seit Monaten kaum verändert. "Das ist nur ein kleiner Schritt fürs Schwein", sagt der Agrarexperte und Berater der Bundesregierung Achim Spiller. Das staatliche Label mache nur Sinn, wenn man die Anforderungen stetig erhöhe und ehrlich kommuniziere wie das Leben des Schweins in der Einstiegsstufe aussähe.
"Das staatliche Label ist eine Mogelpackung", sagt Angela Dinter von der Tierschutzorganisation Provieh. Die Fachreferentin für Schweinehaltung war bei den vertraulichen Beratungssitzungen dabei, die Minister Schmidt in den vergangenen Monaten anberaumt hat. Nur eine Handvoll Vertreter von Tierschutzorganisationen waren eingeladen. Sie saßen mehr als zwei Dutzend Vertretern des Bauernverbandes, des Schlachtgewerbes, der Schweinelobby und des Lebensmittelhandels gegenüber:
Ein Tierwohl-Label für die Lobby?
Interne Papiere, die BR Recherche und der SZ vorliegen, zeigen, dass die privatwirtschaftliche "Initiative Tierwohl" von Handel, Fleischwirtschaft und Bauernverband bei der Entstehung des Labels eine wichtige Rolle spielt.
Initiative Tierwohl
Die Initiative Tierwohl ist ein Bündnis großer Lebensmittelhändler wie zum Beispiel Edeka, Rewe, Aldi oder Lidl und der Landwirtschaft. Der Handel zahlt pro Jahr mehr als 80 Millionen Euro in einen Fonds ein, das Geld wird an teilnehmende Schweine- und Geflügelmäster ausgeschüttet, die ihren Tieren dafür ein minimal besseres Leben bieten. So gibt es nicht einmal zwei DinA4-Blätter mehr Platz pro Tier und ein Stück Holz oder eine Metallkette zum Spielen. Wegen der laschen Kriterien steht die Initiative in der Kritik.
Diese "Initiative Tierwohl" taucht immer wieder in einem internen Schriftverkehr ausgewählter Verbandsvertreter auf.
Auszüge aus dem Schiftverkehr
Handelsverband Lebensmittel an Ministerium
Noch bevor Minister Schmidt die Idee zum staatlichen Tierwohllabel auf der diesjährigen Grünen Woche vorstellt, empfiehlt der Handelsverband Lebensmittel dem Bundesminister: Man solle auf die bereits "existierenden Systeme" blicken. "Beispielhaft erwähnt sei an dieser Stelle die "Initiative Tierwohl, die weiterentwickelt und von der Einstiegsstufe eines staatlichen Labels abgelöst werden sollte."
Ministerium an Verbandsvertreter
Nur wenige Tage vor der Präsentation verschickt das Ministerium ein internes Konsenspapier an ausgewählte Verbandsvertreter, in dem steht: "Die Initiative Tierwohl der Branche […]" bilde "eine gute Ausgangsbasis, auf der ein staatliches Tierwohllabel aufbauen kann […]"
Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels an Ministerium und Verbandsvertreter
Kurz darauf macht der Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels klar, dass man dem internen Konsenspapier so nicht zustimme. In der Mail heißt es weiter: "Folgerichtig müsste aus unserer Sicht perspektivisch die Initiative Tierwohl als Einstiegsstufe für ein staatliches Tierwohllabel fungieren." Kurzum: Der Verband fordert, dass die brancheneigene Initiative Tierwohl in das staatliche Label übergeht.
Ministerium an Bundesverband des Deutschen Lebensmittelhandels
Auf Nachfrage Von BR und SZ kommentiert das Ministerium den Schriftwechsel so:
"Bei der Schaffung eines staatlichen Tierwohllabels handelt es sich um einen komplexen Prozess, bei dem viele Aspekte zu berücksichtigen sind. Das BMEL hat daher von Beginn an die betroffenen Kreise einbezogen. […] Dabei ist es wichtig, einen breiten Konsens zwischen den Beteiligten zu finden, um eine möglichst hohe Beteiligung in der Wertschöpfungskette sicher zu stellen. Nur dann kann das Label die angestrebte hohe Marktrelevanz erreichen."
Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft
Dreiste Tricks der ITW?
Hohe Marktrelevanz - darauf setzt auch die Initiative Tierwohl, kurz ITW. Und die sieht Bundesminister Christian Schmidt offenbar als eine "gute Ausgangsbasis" für ein staatliches Tierwohllabel. Wie dreist die ITW vermeintlichen Tierschutz zu verkaufen versucht, zeigen Papiere, die BR und SZ vorliegen. Mit dem Kauf eines ITW-Produkts unterstütze man den "Wandel hin zu einer tiergerechten Haltung", steht auf der Verpackung. Klingt gut - da schmeckt das Schnitzel gleich besser. Aber im Werbetext steht noch etwas - kleingedruckt: Es bedeute nicht, dass das Fleisch "bereits vollständig aus teilnehmenden Betrieben der Initiative stamme".
Im Klartext: Das Schnitzel könnte auch von einem Schwein aus einem Durchschnittsstall stammen, das kein besseres Leben hatte als andere.
Hinter der komplizierten Formulierung steckt Kalkül. Das geht aus einer Studie hervor, von der ITW-Kunden wahrscheinlich nie erfahren sollten. Ein Bündnispartner der Initiative, die Deutsche Geflügelwirtschaft, hatte ein Meinungsforschungsinstitut beauftragt, die Wirkung des Werbespruchs zu untersuchen. Die Frage: Greift der Verbraucher zu oder schreckt der Text ab? Das Ergebnis:
"Nach Eindruck der Untersuchungen überwiegen die Chancen. Die Risiken erscheinen überschaubar, wobei die Gefahr der Entlarvung der Initiative durch Medien (weniger durch die Konsumenten) bleibt. Die Ansprache des aktuellen Themas Tierwohl schlägt alles - auch eine suboptimale Exekution."
Schöttmer Institut
Hauptsache Marketing. Oder etwa sogar eine bewusste Irreführung der Verbraucher? Die Pressestelle der "Initiative Tierwohl" teilt auf Anfrage mit: "Die Initiative Tierwohl teilt die in der Studie getroffenen Aussagen und Rückschlüsse nicht". Weiter heißt es, man setze auf den mündigen Verbraucher und seine Kaufentscheidung.
Bis Ostern sollen die Kriterien für das neue staatliche Label endgültig stehen. Will Agrarminister Schmidt die bislang mauen Kriterien noch verschärfen, dann bleibt für einen Kurswechsel nicht mehr viel Zeit.
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Chris, Dienstag, 18.April 2017, 16:53 Uhr
19. Das Leid mit dem vermeintlichen Tierwohl
Agrarminister Schmidt sollte sich was schämen. Tierleid nun mit staatlich anerkannten Lügen vermarkten zu wollen ist der Hohn. Er als Bauernsohn weiß er genau wo das Problem liegt, aber die Lobby zu unterstützen hat bestimmt Vorteile.
Egal ob Sie, Herr Schmidt, aus purer Verblendung handeln oder von den Agrarriesen geschmiert werden, ist nur ein Abdanken von Ihrer Seite aus ein akzeptabler Schritt.
Es muss zur Agrarwende führen mit oder ohne diesen Hampelmann der CSU!
Drum wähle ich ganz bewusst bei der nächsten Landtagswahl die V-Partei! Da steht das V auch für Verantwortung!!!
Antonietta, Mittwoch, 05.April 2017, 21:21 Uhr
18. 10 Gründe, warum es keinen Fleisch essenden Umweltschützer gibt
1. Fleisch essen schadet dem Klima
2. Fleisch essen zerstört den Regenwald
3. Fleisch essen verringert die Artenvielfalt
4. Fleischkonsum ist Energieverschwendung
5. Fleisch zu essen verschwendet Wasser
6. Die Tierwirtschaft verschmutzt zudem das Wasser
7. Fleisch essen verursacht dicke Luft
8. Der Konsum tierischer Produkte laugt den Boden aus
9. Fleisch essen verpestet den Boden
10. Fleisch essen ist einfach nicht gerecht
Fabian Meyer, Mittwoch, 05.April 2017, 19:01 Uhr
17. Was haben Sie sich eigentlich zusammengebastelt?
Das, was Sie, Frau Achinger und Frau Langhans, sich in diesem und in anderen Beiträgen zum Thema Tierwohl zusammengebastelt haben, hat nichts mehr mit seriösem und ausgewogenem Journalismus zu tun. Jeder, der sich mit dieser schwierigen Materie auch nur ein wenig auskennt, wird beim Lesen und Zuschauen verärgert den Kopf schütteln. Schlimm ist, dass der Zeitungsleser und Gebührenzahler Ihre Recherche und Ihre Geschichten glaubt und auch noch bezahlt. Und schade ist, dass Sie das Bemühen vieler um mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung mit einer unsachlichen, tendenziösen Berichterstattung mit Füßen treten. Wenn Sie doch alles besser wissen, wieso machen Sie es nicht selber? Besser?
Antwort von Rainer, Donnerstag, 06.April, 11:51 Uhr
Sehr geehrter Herr Meyer,
zuerst eines vorweg: Mit dem Bayerischen Rundfunk und seinen Mitarbeiter_inne_n stehe ich in keinerlei Verbindung.
Wenn ich über etwas den Kopf schütteln musste, dann über Ihren Beitrag. Erstens muß nicht jeder Wortbeitrag ausgewogen und frei von Tendenzen sein [NB: Ihr obiger Kommentar ist für mich ein absolut passendes Indiz für die Richtigkeit dieser Aussage]. Wer sich einigermaßen umfassend informieren möchte, sollte sowieso möglichst verschiedene, voneinander unabhängige Informationsquellen nutzen.
Zweitens haben Sie nicht einmal ansatzweise benannt, was Sie an der Berichterstattung von Frau Achinger und Frau Langhans unseriös bzw. unsachlich fanden. Damit betreiben Sie nach meiner Auffassung pauschale Verleumdung. Ich finde es überhaupt mehr als tolerant seitens des BR, dass er Kommentare wie den von Ihnen veröffentlicht. Ein Tierwohl-Label-kritischer Kommentar von mir an dieser Stelle wurde nämlich nicht veröffentlicht.
Selim der Fleischfresser, Mittwoch, 05.April 2017, 13:29 Uhr
16. auf hartem Spaltenboden, der die Gelenke kaputt macht.
Für Knöcherlsulz reicht es allemal
Bayer, Mittwoch, 05.April 2017, 11:28 Uhr
15. einseitiger Minister
Fleisch auf dem das Konterfei von C. Schmidt klebt werde ich nicht kaufen. Dann werde ich wirklich Vegitarier.
C. Schmidt ist meiner Meinung nach, bekennender Lieberhaber von Glyphosat. Weiterhin ist er auch noch Transatlantiker und Ceta Liebhaber.
Ich hoffe nach der Wahl ist dieser Mann kein Minister mehr.
Nur so könnte Schaden von der Bevölkerung durch diesen Mann verhindert werden!