Kommentar zum Streit ums Fusion Festival Warum wir keine Polizei auf Festivals brauchen
Polizei auf dem Festivalgelände – oder nicht? Im Streit um die Fusion geht nichts vorwärts. Es steht sogar im Raum, das Festival abzusagen. Dabei haben Beamte auf einem Festival erst mal überhaupt nichts zu suchen.
Die Fusion steht seit Jahren für Peace, Love and Harmony – oder, wie die Veranstalter es selbst nennen: für "Ferienkommunismus". In groß. Was vor 22 Jahren als kleines linksautonomes Festival begonnen hat, ist mittlerweile riesig: 70.000 Leute feiern auf der Fusion die Musik, die Kultur und eine kleine gesellschaftliche Utopie – voll auf Liebe. Bisher unter wohlwollender Abwesenheit der Autoritäten.
Am letzten Juni-Wochenende sollte auch dieses Jahr wieder geraved werden. Im Moment ist aber fraglich, ob die Fusion 2019 überhaupt noch in gewohnter Form stattfinden kann. Grund: Das Sicherheitskonzept ist noch nicht genehmigt. Die Bedingung für eine Erlaubnis: Die Polizei möchte eine Wache auf dem Gelände errichten und das Gelände "anlasslos bestreifen". Sollte die Wache abgelehnt werden, wollen die Beamten ihr Möglichstes tun, die Genehmigung zu verhindern.
Ein alternatives Sicherheitskonzept trifft auf deutsche Behörden
Die Argumentation des Polizeipräsidenten von Neubrandenburg, Nils Hoffmann-Ritterbusch, bezieht sich vor allem auf Naturkatastrophen: Blitzeinschläge, ein Brand auf der Hauptbühne. Außerdem bestehe ein erhebliches Gefährdungspotential durch die Besucher. In beiden Fällen müsse die Polizei eingreifen können.
Das ist eine Drohgebärde. Natürlich wird die Sicherheit des Geländes im Vorfeld vom Ordnungsamt begutachtet und genehmigt. Und im Gefahrenfall darf die Polizei selbstverständlich jederzeit auf das Festivalgelände. Über Verkehrskontrollen der An- und Abreisenden Fusion-Besucher ist Veranstalter Martin Eulenhaupt vom Kulturkosmos sogar froh: "Die Leute müssen wissen: wenn sie den Spielplatz verlassen und am Straßenverkehr teilnehmen, müssen sie nüchtern sein."
Die Fusion ist kein rechtsfreier Raum
In den Medien wird bei der Fusion oft von einem "rechtsfreien Raum" gesprochen. Das ist natürlich Quatsch. Der Kirchentag ist auch kein rechtsfreier Raum, nur weil keine Polizei anwesend ist. Die Fusion schreibt ihre ganz eigenen Regeln: Keine Drinks an Männer ohne T-Shirt zum Beispiel, weil das als unnötig sexualisiert und selbstdarstellerisch empfunden wird. Fotos von fremden Menschen zu machen wird nicht gern gesehen und auch offensiver Drogenkonsum geächtet. Eigenes Sicherheitspersonal ist vor Ort, das vor allem vermitteln und Konflikte lösen soll. Und natürlich gibt es auch Ärzte.
Mit diesem Konzept ist das Festival sehr erfolgreich. Auf 2,5 Straftaten pro Festival kommen die offiziellen Zahlen, sagt Jonas Hänschel vom Kulturkosmos:
"Das Fusion Festival ist nachweislich das friedlichste Festival in Deutschland. Die Menschen verhalten sich auf dem Festival friedlicher, als sie es in ihrem Alltagsleben tun."
Jonas Hänschel vom Kulturkosmos
Polizeipräsident Hoffmann-Ritterbusch argumentiert jetzt, dass er keine Kompromisse mehr eingehen will: "Letztlich muss ich auch morgen noch in den Spiegel schauen können. Wenn Menschen zu Schaden kämen, könnte ich das nicht mehr."
Muss die Polizei auf Festivals?
Alle Sicherheitsmängel, die gerade noch seitens der Behörden im Konzept der Fusion-Betreiber gefunden worden sind, werden aus dem Weg geräumt. Da sind sich Veranstalter und Ordnungsamt einig. Der Knackpunkt ist die geforderte Polizeiwache auf dem Festival. Die wollen die Betreiber auf keinen Fall. Sie verlassen sich auf ihre gewachsenen Sicherheitsstrukturen: Die Fusion ist von Anfang an als Community-Festival angelegt: 200 Gruppen arbeiten an dem Festival mit, bespielen Bühnen, organisieren Vorträge und arbeiten an Kunstwerken auf dem Gelände. Jede von diesen Gruppen bringt so viele Menschen mit, dass es unter den Besuchern ein sehr breites Verantwortungsgefühl für das friedliche Miteinander gibt. Auf der Party eines Kumpels pinkelt man ja auch nicht in den Blumenkübel.
Dieses alternative Sicherheitskonzept widerspricht allem, was sich die Polizei unter Sicherheit vorstellt. Es kann unter Umständen sogar durch die Anwesenheit von Beamten gefährdet werden. Die derzeit geplanten 1.000 Polizisten vor Ort würden nämlich eine ganz andere Sprache sprechen, als eigens ausgebildete Konfliktlöser. Für die Fusion-Betreiber ist deswegen klar: Eine Fusion mit Polizeistation wird es in Zukunft nicht geben.
Dass Festivals auch ohne Polizeipräsenz auf dem Veranstaltungsgelände funktionieren, beweist zum Beispiel das Taubertal-Festival. Über 24 Jahre ist die Zusammenarbeit der Veranstalter mit der Polizei gewachsen. Man kennt und schätzt sich, wie Volker Hirsch, Geschäftsführer der KARO Konzert-Agentur, erzählt:
"Bei uns gibt es einen vorgelagerten Bereich, wo man vom Campground auf das Festivalgelände läuft. In diesem Bereich sind bei uns auch alle Einsatzkräfte. Bei uns ist das so, dass die nie im Leben da richtig mitten im Geschehen sein möchten. Man muss ja auch eine gewisse Distanz haben, um überhaupt noch einsatzfähig zu sein."
Volker Hirsch, Geschäftsführer KARO, im PULS Interview
Und genau das ist der Punkt: Es gibt keinen Grund, warum die Polizei auf dem Gelände stationiert sein muss, solange sich die Community selbst regelt. Im Gefahrenfall, bei Terrordrohungen oder Naturkatastrophen ist es wichtig, dass sie von außen kontrolliert eingreift, aber grundlose Polizeistreifen über das Gelände braucht es auf keinem Festival. Auch das muss die Polizei verstehen: Sie werden gebraucht, aber sie sind keine besonders gute Gesellschaft, wenn man ein Bier trinken möchte.
Blaulicht statt Strobo
Zwei Punkte sind an der Forderung der Polizei gegenüber der Fusion erstaunlich: Die Art und Weise, wie das Gefährdungspotential festgestellt wird und der Zeitpunkt, zu dem die Polizeiwache auf dem Gelände gefordert wird..
Wenn man sich die Argumentation des Polizeipräsidenten genauer ansieht, fällt auf: Das beschriebene Gefährdungspotential wird von der Polizei vor allem als Gefährdung für die Polizei beschrieben, die vor Ort sein wird. Bisher rechnet sie mit dem Vierfachen an Personal, das sonst auf der Fusion vor Ort ist. Vor allem, um sich selbst zu schützen. Anders gesagt: Wenn die Polizei gegen den Willen der Veranstalter vor Ort sein wird, rechnet sie mit Protesten gegen die Polizei – und damit auch mit einem erhöhten Risiko für alle Besucher. Das ist schon fast bizarr.
Der andere Punkt: Warum kommen den Behörden die Bedenken bezüglich des Sicherheitskonzeptes ausgerechnet dieses Jahr? 22 Jahre hat die Fusion ohne Polizeipräsenz auf dem Gelände erfolgreich funktioniert.
Man könnte es so sagen: Die politische Landschaft hat sich geändert. In Mecklenburg-Vorpommern ist 2016 die AfD in den Landtag eingezogen. Als zweitstärkste Kraft. Schon damals haben die Festivalbetreiber, die nie einen Hehl um ihre Abneigung gegenüber der AfD gemacht haben, eine Veränderung gespürt. Damals wurde erstmals ein Kriseninterventionsteam der Polizei außerhalb des Festivals stationiert. Zur Zufriedenheit aller Beteiligten.
Warum die Polizei unbedingt auf das Gelände will, könnte mit Drogen-Kontrollen begründet werden. Aber darum geht es laut der Argumentation der Polizei nicht.
Die ach so große Sorge der Politik um die Festivalbesucher
Am 26. Mai ist sowohl Europawahl, als auch Kommunalwahl in Mecklenburg-Vorpommern. Ob ein liberales, selbstorganisiertes Festival ohne anwesende Polizei noch zu diesem Bundesland passt? Das ist auch eine politische Frage.
Auf ihrer Webseite schreibt die AfD-Fraktion Mecklenburg-Vorpommern: "Die Polizei erwartet unter den Besuchern 'gewaltbereite Personen' und in der Vergangenheit ist es bereits zu schweren und zahlreichen Strafdelikten gekommen. [...] In MV darf es keine rechtsfreien Räume geben. Auch nicht auf Musikveranstaltungen und schon gar nicht für den linksextremen Narrensaum, welcher diese für Gewalt-Eskalationen nutzen könnte."
Dass man politische Gemengelagen als Festivalbetreiber zu spüren bekommt, weiß auch Volker Hirsch vom Taubertal Festival:
"In Bayern haben wir es eh am schwersten mit dem Polizeiaufgabengesetz. Da wurden letztes Jahr Kameras gefordert. Wir haben dann lange diskutiert und nachdem klar war, dass keine kleineren Straftaten verfolgt werden und die Aufnahmen auch nicht gespeichert werden, habe ich dem zugestimmt."
Volker Hirsch, Geschäftsführer KARO, im PULS Interview
Im Fall der Fusion sieht es momentan nicht so aus, als würde eine der beiden Parteien von ihrem jeweiligen Standpunkt abweichen. Am 16. Mai wird erneut über das Sicherheitskonzept der Fusion entschieden. Wenn keine der beiden Parteien bis dahin nachgibt, wird es vermutlich von der Entscheidung eines Gerichts abhängen, ob die Fusion in ihrer derzeitigen Form weitergehen wird oder nicht.
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