Interview mit Felix Sauer „Haftbefehl ist das absolute Gegenteil von Bismarck“
Felix Sauer will erreichen, dass eine Straße in Offenbach von „Bismarckstraße“ zu „Haftbefehlstraße“ umbenannt wird. Wir haben mit ihm darüber gesprochen, was das mit Kolonialismus zu tun hat und warum die Wahl auf den Rapper fiel.
PULS: Wie bist du auf die Idee gekommen, eine Petition zu starten für die Umbenennung der Bismarckstraße in Offenbach? Diese Kampagne fällt ja recht zeitnah mit der neu erstarkten #BlackLivesMatter-Bewegung in den USA zusammen…
Felix Sauer: Ich kam auf die Idee, weil ich auf Twitter eindrucksvolle Video gesehen habe, wie in den USA Statuen umgeworfen werden und aufgrund der #Blacklivesmatter-Bewegung eine kritische Auseinandersetzung mit Denkmälern passiert. Und ich habe mich gefragt, wie man das hier unterstützten kann. Und ein Name, der hier polarisiert, ist Bismarck. Er gilt ja als Posterboy der AfD und im Geschichtsunterricht wird er als guter Gründervater Deutschlands dargestellt, weil er hat Land geeinigt und die Sozialreform eingeführt hat. Aber das ist alles nicht so ganz der Fall, sondern nur eine Seite der Medaille.
Auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung, stehen Sätze wie: “Bismarck selbst war kein Kolonialenthusiast. Er wollte keine Kolonien, dazu war er viel zu sehr Realist.” Wie geht das mit eurem Statement zusammen, Bismarck habe “die Kolonisierung Afrikas organisiert”?
Also er hat zwar das Eine gesagt, aber trotzdem sind unter Bismarck - oder kurz nach ihm - die deutschen Kolonien entstanden. Und ich finde das immer seltsam, wenn das miteinander verglichen wird. So nach dem Motto: Frankreich und Britannien waren ganz schlimm und haben die ganze Welt erobert, aber Deutschland wollte nur ein kleines Stück vom Kuchen. Also diese ganze Kolonialgeschichte ist unglaublich fürchterlich - ganz egal, welchen westeuropäischen Staat man nimmt. Was aber vielleicht bei anderen Ländern schon ein bisschen mehr passiert ist - wenn auch nicht viel - ist die Aufarbeitung der Kolonien und dieser Verbrechen. In Deutschland ist da noch gar nichts passiert.
Wieso hast du dir als Alternativvorschläge für den neuen Straßennamen Haftbefehl und Erwin Kostedde ausgesucht?
Das hat mehrere Gründe. Haftbefehl ist der einzige Offenbacher, der in den letzten 30 Jahren über Offenbach hinaus Bekanntheit erlangt hat. Und er hat in den letzten Jahren viel für die Sichtbarkeit der migrantische und kurdische Community getan. Erwin Kostedde ist auch eine spannende Figur. Er war der erste schwarze Fußballspieler in der deutschen Nationalmannschaft, ist aber total in Vergessenheit geraten. Ich hab diese beiden Menschen genommen, weil man zu ihnen aufschauen und sie als Vorbild nehmen kann.
Wurde Haftbefehl vielleicht auch deshalb ausgewählt, weil er als Gangster-Rapper polarisiert und so die Medien auf den Plan ruft?
Ja und nein. Also, klar, Haftbefehl ist Clickbait. Jeder kennt ihn und die Texte polarisieren. Mit so einer Petition muss man Leute erreichen können, die man sonst nicht erreicht, es geht ja darum eine große Reichweite zu generieren. Aber es hat auch noch eine andere Funktion. Warum ich mich für Haftbefehl entschieden habe, werde ich immer von den gleichen Leuten gefragt: von gut bürgerlichen Menschen mit weißer Hautfarbe, die eigentlich nicht so viele Schwierigkeiten hatten hier in der Gesellschaft ihren Platz und einen Job zu finden. Auf Instagram aber bekommen ich viele Nachrichten von jüngeren Leuten mit Migrationshintergrund, die Haftbefehl gar nicht unbedingt hören, aber in als Vorbild sehen, als Einen aus ihrer Community, der es geschafft hat.
Vielleicht ist der Name Haftbefehl für viele Menschen auch so ein krass rotes Tuch, dass sie sich den größeren Debatten - Rassismus, und wie wir in Deutschland mit unserer Kolonialvergangenheit umgehen - sofort reflexartig verschließen. Wie siehst du das?
Aber da ist das Problem ja nicht die Petition oder Haftbefehl, sondern der Beißreflex. Und der ist bei Deutschen ja ziemlich arg, wenn man den Finger in die historischen Wunden legt. Also zum Beispiel die Entnazifizierung hat in Deutschland irgendwie nicht funktioniert, erst in der zweiten und dritten Generation. Und so ist das hier auch: Sobald man sagt Kolonien und Bismarck, da war nicht alles cool, wird direkt zurückgebissen und eigentlich gar nicht argumentiert. Diese beiden Figuren nebeneinander zu stellen ist natürlich auch, um zu triggern. Haftbefehl ist das absolute Gegenteil von Bismarck und darum geht‘s auch.
Was sind die Argumente gegen eine Umbenennung der Bismarckstraße, die dir am öftesten unterkommen?
Als erstes Argument das juristische Argument: Haftbefehl ist noch nicht tot und man kann in Deutschland Straßen wohl nur nach toten Menschen benennen. Ein anderes ist: Haftbefehl ist ja gar nicht sein echter Name, sondern nur sein Künstlername.
Und was ist mit dem Argument, Haftbefehl habe sexistische und antisemitische Lines in seinen Songs, und ist deswegen kein Typ, nach dem man eine Straße benennen sollte?
Das find ich ein gutes und wichtiges Argument und das kommt viel zu selten. Klar, hört man Haftbefehl, dann hört man da auch den Sexismus. Und in seinen alten Platten auch antisemitische Lines. Was ich aber spannend finde: Würden die ganzen Boomer und Almans jede Zeile in der deutschen Geschichte so durchgehen, wie sie es bei Haftbefehl gemacht haben, und alle Aussagen und Taten von Bismarck genauso kritisch beäugen, dann hätten wir hier schon längst keine Bismarckdenkmäler und -straßen. Deshalb behält dieses Argument aber trotzdem seine Gültigkeit. Das ist aber weniger ein Haftbefehl-Problem, glaub ich, sondern ein gesellschaftliches Problem. Sexismus und Antisemitismus ist einfach in der deutschen Gesellschaft und da sind ja Rapper auch nicht geschützt davor. Trotzdem finde ich, sollte man das verurteilen. Dass die Lines sexistisch und antisemitisch sind, ist total beschissen.
Wie verläuft deiner Einschätzung nach generell in Deutschland die Diskussion über die Kolonialzeit und die Art und Weise, wie Deutsche davon profitiert haben? In meiner Schulzeit wurde das Thema zum Beispiel komplett weggelassen.
Da bist du nicht der Einzige. Ich glaube, dass es da noch gar keine große Aufarbeitung gab. Lange hatte ja auch die ARD-Lotterie den Spruch gehabt "Ein Platz an der Sonne" - das ist zum Beispiel auch ein Spruch aus der Kolonialzeit von Deutschland. Ich habe immer das Gefühl, alle sagen: Wir waren da nicht ganz so schlimm wie die anderen Länder. Aber bisher ist da kaum was aufgearbeitet worden und es gibt auch keine oder nur ganz wenige Reparaturzahlungen, die da mal geleistet worden sind. Also da muss noch richtig viel passieren - auf politischer Ebene, aber auch auf gesellschaftlicher.
Sendung: PULS am 01.07.2020 ab 20 Uhr