Lo-fi-HipHop in Deutschland Alte Samples und knisternde Beats
Hi-Hats, jazziges Klavier-Geklimper und hier und da mal eine Gitarre: Lo-fi HipHop wird weltweit immer populärer, gerade weil sich das Genre so gut zum Lernen oder Relaxen eignet. Wir haben uns von einem Labelgründer, einem Beatmaker und einem Rapper die deutsche Szene zeigen lassen.
Viele Menschen brauchen Ruhe, wenn sie sich auf etwas konzentrieren müssen. Andere wiederum brauchen unbedingt was auf die Ohren. Ein bestimmtes Subgenre hat sich in den letzten Jahren als sehr beliebt zum Relaxen oder Lernen herausgestellt: Lo-fi HipHop. Die Abonnentenzahl des Youtube-Kanals ChilledCow geht zum Beispiel stark auf die fünf Millionen zu – und ist bei weitem nicht der einzige Kanal, auf dem man die entspannten Beats hören kann.
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lofi hip hop radio - beats to relax/study to
Der Name Lo-fi steht für "Low Fidelity", also wortwörtlich übersetzt: "geringe Wiedergabetreue". Signifikant für den rohen Sound ist oft das echte oder nachträglich eingefügte Vinylknistern - und auch Sampling spielt eine große Rolle. Oft werden Klavier-, Jazzstücke oder Gitarrensoli benutzt, aber auch Dialoge aus alten Filmen oder andere Zitate finden immer wieder Platz im Lo-fi HipHop. Natürlich gibt es keinen einheitlichen Lo-fi Stil, sondern viele intrakulturelle Unterschiede, aber eins hat wohl die gesamte Szene gemein: Nostalgie. Denn Lo-fi lässt alte Erinnerungen wieder aufblühen und besinnt sich in vielen Merkmalen zurück auf die Vergangenheit.
Maßgeblich zur Popularisierung dieser Szene beigetragen haben vor allem US-amerikanische Produzenten wie J Dilla und Pete Rock, die in den 90er- und 00er-Jahren unter anderem Beats für A Tribe Called Quest, The Roots, Busta Rhymes oder Erykah Badu produziert haben. In ihre Beats flißen immer wieder Elemente aus Blues, Jazz und R'n'B ein. Viele japanische Produzent*innen rund um Nujabes sampelten um die Jahrtausendwende japanische Pianisten. Da japanischer Jazz deutlich feiner als der westliche ist, werden auch heute noch viele dieser Stücke für Lo-Fi Beats benutzt. Und im Internet wird Lo-fi HipHop optisch oft von sich wiederholenden Anime-GIF´s begleitet.
Auch in Deutschland wird die Szene immer größer
Bei einem Blick auf diverse Spotify- oder YouTube-Playlists trifft man auch immer wieder auf deutsche Producer*innen, wie zum Beispiel Philanthrope, tusken, Plusma, Leavv oder Flitz&Suppe. Sie sind mittlerweile fester Bestandteil der internationalen Szene und sammeln viele Millionen Streams – gleichzeitig sind sie in Deutschland so gut wie unbekannt.
Um mehr von der Szene zu erfahren, haben wir mit dem Producer Flitz&Suppe, Rapper Nick Mitdemkopf und Christian, Mitbegründer des Nyati Kollektivs, gesprochen. Obwohl ihr Sound vielfältig und schlecht zu schubladieren ist – sie alle gehören zur Lo-fi Szene und tauchen auf diversen Produktionen deutscher Musiker*innen aus der Szene auf. Wie das alles begann, daran kann sich Flitz&Suppe noch gut erinnern:
"Als ich da so vor zehn Jahren in die Szene reinkam, hat sich gerade alles auf Soundcloud extrem etabliert. Ich würd' mal sagen, Soundcloud ist wirklich auch der Grundstein dieser Szene. Dann fing es circa 2015 an, dass sich Labels rund um diesen Markt aufgebaut haben. Und vor wenigen Jahren kamen dann auch die Streamingdienste dazu."
Flitz&Suppe
Es handelt sich also um eine relativ junge Szene, die gerade noch dabei ist, ihren Platz in der Musikwelt zu finden. Aber: sie ist gewaltig am wachsen und auch die Zusammenarbeit unter den Musiker*innen ist sehr verbunden. Mehr und mehr Kollektive, Labels und Crews aus ganz Deutschland tun sich zusammen und erweitern die Szene. Nyati, C.O.T.A, Sichtexot, Am Apparat, 2ZG, Raw Suppliers und viele mehr füttern den Untergrund mit den knisternden Produktionen und arbeiten teilweise auch mit internationalen Musiker*innen zusammen. Denn Lo-fi HipHop hat einen entscheidenden Vorteil: Wo Sprache und Text keine Rolle spielen, gibt es auch keine Ländergrenzen.
"Die Beats werden auch ganz oft in Übersee gehört und natürlich gibt es auch deutsche Beatmaker, die ihre Online-Kontakte in die USA haben. Da finden dann auch mal Kollabos statt. Trotzdem machen die dann nebenbei noch mit ihren deutschen Rappern ihren Kram, der wirklich nur für den Markt hier bestimmt ist."
Christian
Viele Rapper*innen verwenden die nostalgischen Beats also auch als Grundlage für ihre Songs und rappen darauf. Anders als bei anderen HipHop-Produktionen kommt Produzent*innen aber mehr Anerkennung entgegen. Denn während es oft schwer ist, herauszufinden wer einen Song auf Spotify produziert hat, werden im Lo-fi meistens direkt die Maker des Beats mit angezeigt.
Rapper Nick Mitdemkopf erklärt, wie eine Kollaboration zwischen Beatmaker*in und Rapper*in mittlerweile aussieht.
"Also für mich gibt’s irgendwie so drei Prozesse, wie das ablaufen kann. Früher habe ich einen Beat entweder gefunden oder geschickt bekommen – und dann habe ich bei mir daheim darauf gerappt und das recordet. Jetzt ist es aber eher so, dass z.B. Flitz mir einen Beat zeigt, ich den feier und dann machen wir was zusammen daraus. Jetzt werden das immer öfter so Sessions, bei denen wir von Grund auf was zusammen anfangen."
Nick Mitdemkopf
So ein gemeinsames Projekt von Nick Mitdemkopf, Flitz&Suppe und weiteren Crewmitgliedern hört sich dann so an:
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Fubu x Nick Mitdemkopf - Crime (prod. Flitz&Suppe X Mr. Käfer)
Rapper wie Nick Mitdemkopf, Lord Folter, Joe Space, Fubu oder Negroman repräsentieren eine Gruppe von deutschen Rappern, die musikalisch wie auch lyrisch einen Gegenpol zum Mainstream-Rap darstellt. In ihren Texten zeichnen sie Bilder, bedienen sich vieler sprachlicher Mittel und haben allgemein einen sehr philosophischen Ansatz. Die Texte sind sehr überlegt, regen zum Nachdenken an und passen so perfekt zu der entspannten Art der Instrumentals. Ihre Musik ist nicht für den Club gedacht, sie soll bewusst konsumiert werden.
Tatsächlich sind allerdings die meisten Beatmaker*innen mit ihren instrumentellen Produktionen erfolgreicher als die Rapper*innen, mit denen sie zusammen arbeiten. Doch natürlich gibt es Ausnahmen – nämlich dann, wenn eine populäre Person in den Ring steigt. Der Song "Jocelyn Flores" vom mittlerweile verstorbenen XXXTentacion wurde schon fast eine halbe Milliarde mal auf YouTube gestreamt. Der Rapper nutzte dafür den Lo-fi Beat des amerikanischen Producers Potsu.
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XXXTENTACION - Jocelyn Flores (Audio)
Lo-fi versus Mainstream
Aber es gibt noch eine weitere Form des Lo-Fi HipHops, die in den letzten Jahren immer erfolgreicher wird: Remixe. Auf Youtube und Soundcloud gibt es Lo-fi-Versionen von so ziemlich jedem bekannteren Rapsong. Wer also wissen will, wie sich "Old Town Road" von Lil Nas X oder "Mask Off" von Future in Lo-Fi anhört, kann hier aus dem Vollen schöpfen:
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old town road (lofi version) (will fm remix)
Eine Näherung an den Mainstream hält Christian vom Nyati Kollektiv trotzdem für unwahrscheinlich.
"Da die Musikwahrnehmung heute immer selektiver wird, ist es glaube ich umso schwieriger, sich abseits von Major-Platzierungen durchzusetzen und überhaupt in gewisse Algorithmen zu gelangen – auch auf YouTube. Es geht ja primär darum, inwiefern erscheint das bei Leuten auf der Startseite, inwiefern wird ein einzelner Track geteilt. Und solange man davon abhängig ist, wird sich dahingehend nicht viel verändern." Christian
Wie das also bei Subgenres so ist, wird auch hier Musik produziert, für die die Musiker*innen zwar brennen – die aber keinen kommerziellen Zwecken dient und sich weit weg von Modus Mio und anderen Populärströmungen aufhält. Auch wenn viele die Musik gerne zum Lernen, Relaxen, Prokrastinieren, Schlafen oder Denken hören - dass sich Lo-fi in naher Zukunft auf der Spitze der Streamingpyramide widerfindet, ist nur schwer zu glauben.
Aber wo wir jeden Tag neue Musik entdecken können, es ständig neue Hypes und Trends gibt und neue Musikstile genauso schnell aufkommen, wie sie wieder verschwinden, bildet der nostalgische Sound mit seiner Entspanntheit einen wunderbaren Gegenpol. Lo-Fi HipHop ist eine langlebige Nische in der Musikwelt, die keinen Trends folgt - und so dafür sorgt, dass wir mal wieder kurz durchschnaufen können.
Sendung: PULS am 02.03.2020 - ab 19.00 Uhr