Tracks der Woche #47/18 Calpurnia, Kid Simius feat. Enda Gallery, The Day, Yassin, Tommy Genesis
Moment mal, ist das nicht… der Typ aus 'Stranger Things'? Der DJ von Marteria? Der Titel eines Kinderbuches? Der zynische Punchline-Rapper? Und dieser rappende Girl-Boss aus Kanada? Ja, ganz richtig. Unsere Tracks der Woche.
Calpurnia – Greyhound
Mit dem Greyhound Bus kommt man günstig durch ganz Nordamerika. Ihr kennt die Busse sicher aus US-Filmen: Meistens sitzen die Hauptdarsteller alleine in der letzten Reihe und schauen bedeutungsgeladen aus dem Fenster, während sich die Tür des Busses schließt. Der Greyhound-Bus ist also das perfekte Sinnbild für einen nostalgischen Indie-Track – dachte sich die Band Calpurnia und nannte ihren Song über Alltagsdepression "Greyhound“. Der Track ist die dritte Single der kanadischen Newcomer. Anfangs hat das Quartett vor allem die eigenen Idole wie Velvet Underground, Pixies und Weezer gecovert. Mittlerweile aber haben sie einen ziemlich nicen, eigenen Sound: nämlich leicht zugängliche Gitarrenmusik mit melancholischem Anstrich. Und als kleiner Plot-Twist für alle Serienjunkies zum Schluss: Sänger der Band ist Finn Wolfhard, besser bekannt als der super niedliche Mike Wheeler aus "Stranger Things".
Kid Simius feat. Enda Gallery – Living It Up
Kid Simius hat sich hierzulande vor allem als dauergrinsender Beatbastler von Marteria bzw. Marsimoto einen Namen gemacht. Der spanische Wuschelkopf liefert nicht nur die passenden Beats fürs Studio, sondern hat vor allem auch live die Menge voll im Griff. Der Wahlberliner lebt abseits von Rap aber in seiner ganz eigenen Musikwelt, an der er uns mit seinem neuen Album "Planet of Simius“ teilhaben lässt. Auf dem Album finden sich so viele Stilrichtungen wie Songs: von Arbeiterliedern bis zu Acid House ist alles vertreten. Der zweite Track des Albums namens "Living It Up“ fühlt sich dabei an wie eine kleine Zeitreise in eine Ära, für die der 31-Jährige eigentlich noch zu jung ist. Simius liefert hier feinsten Disco-Sound im 70er-Jahre-Stil gekrönt von der samtig weichen Stimme des irischen Sängers Enda Gallery. Der hat für das Feature die Akustik-Gitarre zur Seite gelegt und verleiht dem ohnehin tiefenentspannten Track auch noch eine leicht verruchte Note.
The Day – Where The Wild Things Are
Gesprächsfetzen verlieren sich im sphärisch-akustischen Musikbett, leise Echos hallen nach und plötzlich tut sich eine klare Frauenstimme auf und singt ganz bedächtig "Shades of blue. It‘s all I see“. So beginnt die neue Single "Where The Wild Things Are“ des niederländisch-deutschen Duos The Day. Und der Titel ist sicher nicht zufällig gewählt: Der verträumte Sound mit dem eskapistischen Text und den 80er-Jahre-Wave-Pop-Anleihen wäre ein guter Soundtrack für die bekannte Kindergeschichte "Wo die wilden Kerle wohnen" von dem Jungen namens Max, der sich auf einer Insel voller wilder Kreaturen herumtreibt. Statt am Strand rumzulaufen und durch die Wälder zu streunen, tauchen The Day im zugehörigen Video von "Where The Wild Things Are“ in eine Welt aus Pastellfarben, seidigen Oberflächen und transparenten Materialien. Wir sind gespannt, welche Traumwelten uns auf dem Debütalbum "Midnight Parade" sonst noch erwarten.
Yassin – Abendland
Yassin sagt seine Meinung nicht erst seit gestern. Zusammen mit Audio88 macht der Darmstädter seit 2009 sogenannte "Normale Musik", die gekennzeichnet ist von dicken Beats, eigenwilligem Versmaß und tief sarkastischen Texten. Darin rechnen die beiden bevorzugt mit dem ignoranten Durchschnittsbürger ab und flüchten sich dabei nicht nur einmal resignierend in den Alkoholismus. Mit "Abendland" haut Yassin jetzt nach langer Zeit wieder einen Solo-Tracks raus, der überraschend gefühlvoll und nachdenklich daherkommt. Statt aufs-Maul-Beats und Hasstiraden, macht sich der Rapper erstaunlich melodisch Sorgen um die politische Stimmung im (Abend-)Land und plädiert für vernünftigen Pazifismus. Durch den Gesang verliert die sonst so tiefe Stimme von Yassin einiges an Bedrohlichkeit - seine Message bringt er aber trotzdem rüber. Vielleicht sogar noch eindringlicher, als er es mit harten Punchlines könnte.
Tommy Genesis – Bad Boy
Wieso ist HipHop eigentlich immer noch ein vorwiegend männlich besetztes Genre? Wir haben schließlich 2018! Aber keine Sorge, die weibliche Übernahme ist schon in der Mache. Immer mehr weibliche MC treten mit furchtlosen Ansagen in Erscheinung. Tommy Genesis ist eine von ihnen: Die kanadische Rapperin hat mit ihrem acht Tracks umfassenden Debüt "World Vision“ 2015 bewiesen, dass sie nicht vor sexuell aufgeladenen Versen zurückschreckt und sich locker gegen die männliche Konkurrenz durchsetzen kann. Jetzt legt sie mit ihrer Single "Bad Boy“ nach. Das Ding gräbt sich sofort in den Gehörgang und geht da dank dem Refrain – das Wort "any" wird in Endloskette wiederholt – so schnell auch nicht mehr raus. Die orientalisch angehauchten Beats erinnern ein bisschen an M.I.A., mit der die Rapperin auch schon zusammengearbeitet hat. Und apropos Kollaboration: Auf ihrem neuen Album findet sich mit Charli XCX ebenfalls eine prominente Dame. Die Girls halten zusammen. So muss das.
Sendung: Freundeskreis, 19.11.2018 - ab 10.00 Uhr