Tracks der Woche #50/18 Modeselektor feat. Flohio, Broods, Tua, Grimes feat. HANA, Token
Die Tracks der Woche auf Zeitreise: das nächste Kapitel der Bandgeschichte, Abschluss mit der Vergangenheit, zurück in die Jugend, dystopische Zukunftsfantasien und ein zeitloser Geist.
Modeselektor feat. Flohio - Wealth
Betonbunker-Flair, glitchige Synthies, Bass-Schellen und flotter Rap mit starkem Londoner Einschlag – der neue Modeselektor-Track namens "Wealth" schiebt ordentlich. Endlich sind die beiden Berliner wieder unter ihrem alten Pseudonym unterwegs! Ihr letztes, genreprägendes Album "Monkeytown" ist immerhin schon wieder sieben Jahre alt. Mit ihrem Comeback beweisen Modeselektor aber gerade, dass sie noch genauso hungrig sind wie früher. Auch 2018 gibt es anständiges Geschepper auf die Ohren. Durch die erst anschwellenden und dann wieder abklingenden Sirenen auf "Wealth" entsteht ein bedrohlich wirkender Spannungsbogen, der eine immense Sogwirkung hat. Die perfekte Unterlage für die kräftige Stimme von MC Flohio, die mit schnellen Rhymes den Track in Grime-Manier zusätzlich nach vorne pusht. Und so sind die letzten Worte auf "Wealth" zurecht "Modeselektor, who else?".
Broods – Everything Goes (Wow)
Es gibt so Tage, da ist der Kopf so gestopft voll, dass gar nichts mehr geht. Man weiß einfach nicht, wo man anfangen soll – maximale Überforderung auf allen Kanälen. Und genau da kommt das neuseeländische Duo Broods mit ihrer neuen Single "Everything Goes (Wow)" zur Hilfe und macht uns klar: Auch das wird vorbeigehen. Was mit der einfühlsamen Stimme von Sängerin Georgia Nott wie eine Ballade anfängt, nimmt schnell Fahrt auf und wird dank catchy Refrain zum lockeren Indie-Pop-Hit. Ein Song, der die Leichtigkeit zurück in den Alltag bringt. Ob der Track so versöhnlich klingt, weil er in einem Baumhaus in Nicaragua geschrieben wurde? Das Geschwisterpaar, das seit seinem Umzug nach Los Angeles eine Vorliebe für auffällig bunte Klamotten entwickelt hat, hat jedenfalls scheinbar ihren Frieden mit der Vergangenheit gemacht. Broods schauen jetzt nur noch in die Zukunft, wo ein neues Album wartet.
Tua – Vorstadt
Tua, der Mann mit den vielen Gesichtern: grimmig-sarkastischer Schrank bei den Orsons, gelobter Beatproduzent und gleichzeitig noch lyrisch extrem begabter Solo-Künstler. Wegen seiner vielen Talente wird die nächste Solo-Platte des Herrn aus Reutlingen schon seit Jahren heiß ersehnt. Die Single "Vorstadt" ist die erste Kostprobe aus dem kommenden Album. Und während seine Kollegen gerne die eigene Jugend glorifizieren, taucht Tua auf "Vorstadt" tiefer in die Materie ein und spricht brutal ehrlich über den abgefahrenen Film, den er damals geschoben hat. "Dann noch mehr Dorf als Großstadt" ist nur eine der simplen, aber wirkungsvollen Zeilen des Tracks. Plötzlich aber kommt der Break und mit dem Sound verändert sich auch Tuas Sicht auf die Dinge: Mit erhöhter Geschwindigkeit flowt er jetzt, die Details sitzen, die Prise Autotune ballert. Wenn der Rest vom Konzept-Album auch so klingt, hat sich das Warten definitiv gelohnt.
Grimes feat. HANA – We Appreciate Power
Grimes schleicht sich nicht sanft von hinten an, sie fällt gleich mit der Tür ins Haus: Der neue Track "We Appreciate Power" eröffnet mit brachialem Gitarrensound und schrillem Kreischen. Dieses Soundgewitter wird aber wenig später wieder von den zwei zarten Frauenstimmen abgefangen. Und die Vocals spielen noch eine weitere wichtige Rolle: Trotz englischer Lyrics klingt die Sprachmelodie der Gesangsparts zwischendurch eher fernöstlich. Zusätzlich erinnert die einlullend-unschuldige Art des Gesangs ein wenig an Yolandi von Die Antwoord, eine nicht ebenso beeindruckende Persönlichkeit wie Grimes und Featurepartnerin Hana Pestle. Im Video zu "We Appreciate Power" spielen die beiden mit dystopischer Future-Ästhetik: herumschwirrende Planeten, knallenge Warrior-Bodysuits, Waffen und ein mehrsprachig eingeblendeter Text, der von Simulation und Super-Computern handelt – alles getaucht in dunkles Lila.
Token – Treehouse
"Can’t sit calm like Seinfeld, that boy always moving (Jerry, Jerry)", lautet eine prägnante Zeile von Tokens neuer Single "Treehouse". Ist der 20-jährige Newcomer nicht eigentlich ein bisschen zu jung für diese Referenz auf eine 90er-Sitcom (Seinfeld)? Rein rechnerisch schon, aber der Rapper aus Boston ist eben ein zeitloser Geist. Gleichaltrige kann er nicht leiden. Vermutlich, weil die lieber hedonistischen Mumble-Rap hören als textlastigen Oldschool-Kram mit Doubletime-Parts. Gleichzeitig wählt Token als Setting für seine neue Single aber sein Baumhaus und verbietet jeglichen Hatern den Zugang – als wäre er gerade mal im Grundschulalter. Und es wird zurecht behauptet, dass er klingt wie ein junger Eminem. Aber nicht wie ein billiger Abklatsch, sondern eine neue, unverbrauchte Version des Altmeisters mit bissigen Versen und starken Hooks. Und auch an Humor fehlt es dem jungen Rapper nicht, was er in seinen Videos demonstriert.
Sendung: Freundeskreis, 10.12.2018, ab 10 Uhr