Tracks der Woche #44/17 Tom Tripp, Blond, Noga Erez, Woman, Haiyti
Ein Leben wie im Film führen oder lieber das Buch dazu lesen? Musik oder Message? Perfektionismus oder Spontanität? Die Tracks der Woche bekommen selbst solche Gegensätze unter einen Hut.
Tom Tripp – Pamela
Manchmal braucht es eben nur eine gute Idee und eine Flasche Rotwein, um kurze Zeit später mit Mura Masa auf dem Coachella zu performen. Die Geschichte von Newcomer Tom Tripp gleicht einem Hollywood-Drehbuch: Mitten in der Nacht hat der damals 21-Jährige eine Eingebung für einen Song, den er direkt am nächsten Tag als Demo-Version aufnimmt. Nach langem Hadern trinkt er sich Mut an und lädt den Track "Aurelia“ schließlich hoch. Irgendwie wird die englische Alternative-R’n’B-Sängerin Nao dann auf den Song aufmerksam und will ihn prompt über ihr Label veröffentlichen. Wenig später spannt Produzent Mura Masa den verantwortlichen Musiker für ein Feature ein und die Dinge nehmen ihren Lauf. Mit seiner neuen Single "Pamela“ beweist der Sänger aus dem Norden Londons, dass sein Durchbruch kein Glücksgriff war: die funky Elektro-Pop-Vibes und seine seidige Stimme harmonieren in perfekter Symbiose.
Blond – Book
Nicht nur Game-of-Thrones-Fans kennen das Problem: beim gemeinsamen Schauen spalten sich die Lager in zwei Gruppen: "Haben das Buch gelesen“ und "Haben das Buch nicht gelesen“. Bei dieser Konstellation sind Spoiler – die größte Angst eines jeden Serienjunkies – vorprogrammiert. Das Chemnitzer Trio Blond widmet diesem Problem den Song "Book“ und verrät schon im Titel, auf welcher Seite die Band steht. Musikalisch tummeln sich auf "Book“ mit den schroffen Gitarren und der treibenden Bassline New-Wave-Elemente, wobei der Gesang eher poppig daherkommt. Das furchtlose Mischen von Genres scheint in der Familie zu liegen: die beiden Frontfrauen Nina und Lotta sind nämlich die jüngeren Schwestern von Felix und Till Kummer von Kraftklub. Manch einer mag bei so viel geballter Musikkompetenz in Ehrfurcht erstarren. Bassist Johann Bonitz dagegen lässt sich weder davon, noch von seiner fehlenden Sehkraft einschüchtern – und stiehlt seinen Bandkolleginnen im Video zu "Book“ mit seinem aparten Outfit lässig die Show.
Noga Erez – Balkada
Das elektrisierende Scheppern von Noga Erez‘ Debütsingle "Dance While You Shoot“ aus dem letzten Jahr haben wir immer noch im Kopf. Die Beats der Künstlerin aus Tel-Aviv brennen sich tief in die Gehirnwinden ein. Dazu hat die israelische Sängerin so viel Charisma, dass man jede ihrer Bewegungen verfolgt und gebannt an ihren Lippen hängt. Und das ist gut so, denn Noga Erez macht nicht nur großartige Musik, sie hat auch was zu sagen: In ihren Songs geht es um Frauenrechte, Krieg und Korruption. Ihre tiefsitzende Wut hört man auch ihrer neuen Single "Balkada“ an, wenn der Bass wummert und sie Zeilen wie "Nothing hits you better than the cold, cold shaking ground“ herauspresst. Die unbändige Energie, die von Noga Erez ausgeht, prägt nicht nur ihr Album "Off The Radar“, sondern sorgt auch live für eine außergewöhnliche Atmosphäre. Wie gut, dass sie im Dezember auf den Puls Festival in Erlangen und München spielt.
Woman – Love
Köln hat wieder zugeschlagen und eine Band hervorgebracht, die im besten Sinne undeutsch klingt: Woman. Die drei jungen Musiker schweben mit ihrem schwerelosen Disco-Pop in ganz anderen Sphären und haben dabei etliche Facetten zu bieten. Der neustes Streich "Love“ beginnt mit gemütlich wabernden Synthies, die im starken Kontrast zum hohen Falsettgesang stehen. Langsam mischen sich immer mehr Soundschnipsel ein – bis sich das Ganze plötzlich und mit ziemlicher Wucht entlädt. Und damit sind wir erst bei der Hälfte des Tracks. Die Entstehung des Albums "Happy Freedom“ verlief allerdings nicht so reibungslos, wie es der unbeschwerte Sound vermuten lässt. Lange Zeit stand der Band ihr eigener Perfektionismus im Weg. Aber jetzt ist – auch dank Bilderbuch-Produzent Zebo Adam – alles gut und Woman können uns mit ihrem wunderbar unkonventionellen Sound betören.
Haiyti – Sunny Driveby
Der Teufel trägt Fiorucci! Wenn Girl Boss Gangster Haiyti – erklärter Fan der italienischen Designermarke – zum Driveby ansetzt, dann bleibt am Ende garantiert nur Eine stehen… und das ist die Hamburgerin selbst. Ihre Version von Cloudrap ist impulsiv, unverfälscht und entfaltet eine nahezu narkotische Wirkung. Ihre gekrächzten Lyrics dengeln dabei irgendwo zwischen improvisiertem Nonsens und Genialität. Und die neue Single "Sunny Driveby“ ist da keine Ausnahme: "Der Himmel ist blau, der Flieder flieder. Für dich tue ich das immer wieder“, rappt Haiyti gewohnt heiser auf einem äußert gefälligen Beat. Nach ihrer gefeierten "Toxic“-EP Mitte 2016 hat die MC längst bewiesen, dass sie sich ihren Platz in dieser männerdominierten Domäne verdammt noch mal verdient hat. Der nächste große Step ihrer Karriere wird das von ihren Langzeitfreunden von Kitschkrieg produzierte Album "Montenegro Zero“ sein.
Sendung: Freundeskreis, 30.10.2017 - ab 10.00 Uhr