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Ruhmeshalle My Bloody Valentine - Loveless

Der Begriff Meisterwerk ist derbe überstrapaziert. Auf das zweite Album von My Bloody Valentine trifft er aber hundertprozentig zu. "Loveless" ist die Blaupause der Shoegaze-Szene – und hat ungefähr die halbe Popwelt beeinflusst.

Von: Bettina Dunkel

Stand: 15.10.2013 | Archiv

Die Band My Bloody Valentine vor einer Mauer | Bild: picture-alliance/dpa

Irgendwie macht ja grad jeder Yoga. Ist zwar fürchterlich anstrengend, soll aber für absolute Tiefenentspannung sorgen. Mir ist das wurscht. Wenn ich eine effektive Synapsenmassage brauche, hör ich My Bloody Valentine. Denn ihr Album "Loveless" ist eine Musik gewordene Glückshormondusche nah an der Schmerzgrenze.

Perfektionswahn deluxe

Wenige Alben werden kultischer verehrt als dieses. Gründe dafür gibt es viele. Da wäre allein schon die Entstehungsgeschichte. 1989 machen sich My Bloody Valentine daran, ihr zweites Album aufzunehmen. Anvisiert sind fünf Studiotage. Am Ende dauert es zwei Jahre. Durch die immensen Kosten wird das britische Kultlabel Creation Records fast in den Ruin getrieben. Und Band-Mastermind Kevin Shields mutiert zum Brian Wilson des Indierock. Um sein Kopfkino in Vinyl zu pressen, wechselt Shields von einem Tonstudio ins nächste. 19 Stück sind es am Ende. Die Zahl der dabei verschlissenen Toningenieure bewegt sich im Legendenbereich. Die der konsumierten Drogen ebenso.

Liebe auf den ersten Ton

Die Manie zahlt sich aus. Denn "Loveless" ist ein Album wie kein anderes. Es setzt komplett neue Standards für die Gitarrenmusik – und reiht sich mühelos in die Liga der bis heute unerreichten Meisterwerke ein.

Für viele ist es Liebe auf den ersten Ton. Dabei ist "Loveless" ein einziger Widerspruch. Die Songs sind hässlich und schön zugleich, viel zu laut und doch immer zu leise, unheimlich anstrengend und dabei maximal entspannend. Die verzerrten Gitarren verzerren auch die Wahrnehmung, der psychedelische Faktor ist enorm. Das akustische Wurmloch wird auch dadurch erreicht, dass der Gesang den Instrumenten untergeordnet ist. Die Stimmen von Kevin Shields und Co-Gitarristin Bilinda Butcher sind quasi der Walgesang der Popmusik: Sie sind  zart und zerbrechlich, aber selbst durch eine kilometerdicke Wall of Noise noch klar wahrnehmbar.

Die Gurus des Pop

Wer so viel wert auf Klangexperimente setzt, hat mit Kommerz mal rein gar nichts am Hut. Statt auf die Verkaufszahlen zu schielen, inszenieren sich My Bloody Valentine lieber als Lonely Art Club Band. Das ist zwar der anstrengendere Weg, aber auch der befriedigendere. Womit wir wieder beim Ersatz-Yoga wären. Hält man den Vergleich aufrecht, sind My Bloody Valentine schon aufgrund ihres immensen Einflusses auf die Popwelt alles überstrahlende Gurus. Und "Loveless" ist jene Übung, die auch der ambitionierteste Schüler niemals wird nachahmen können.


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