Ruhmeshalle Dinosaur Jr. - You're Living All Over Me
Sie sind die Urväter der alternativen US-Rockmusik: Dinosaur Jr. Gemeinsam mit Sonic Youth und den Pixies haben sie Generationen von Bands beeinflusst. Wer ihre frühen Noise-Extravaganzen einmal gehört hat, weiß warum.
Es ist kein großes Geheimnis: Ich kann nicht singen. Nicht das kleinste bisschen. Mach ich es doch, ernte ich flehende Blicke. Hör auf, bedeuten sie, bitte gleich und tu's nie wieder. Dass ich's trotzdem hin und wieder mache, liegt an einem: J Mascis, dem Meister der schiefen Tonlage.
Mascis ist der Sänger und Gitarrist von Dinosaur Jr. Im Dezember 1987 veröffentlicht er mit seiner Band das Album "You’re Living All Over Me". Es ist ihr zweites – und es wird die Rockmusik für immer verändern. Denn auf diesem Album machen Dinosaur Jr. alles anders. Und sie machen es genau richtig.
Wer hat's erfunden?
Zu einer Zeit, als es gefühlt nur die Wahl gibt zwischen dem massen-euphorisierenden College Rock von R.E.M. und dem selbstzweiflerischen Wave-Pop von The Cure, legen Dinosaur Jr. den Grundstein für ein neues Genre: Grunge. Ihr Ansatz ist so simpel wie effektiv: Jeden jemals getätigten Konventionsbruch in einen Topf werfen und die explosive Mischung ordentlich zum Brodeln bringen.
Das Süppchen, das sie derart fabrizieren, ist ein akustisches Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom. Ständige Wechsel von laut und leise, von schnell und langsam, von Feedbackorgien und Popharmonien sind das permanent erschütterte, aber grundstabile Fundament von Dinosaur Jr. Getoppt wird das Ganze von unverschämt virtuosen Gitarrenriffs und einer Neudefinition des Leidens, beides beigesteuert von Frontmann J Mascis.
Dinosaur Jr.'s Spaß an der Deformation reicht sogar so weit, dass sie sich ungeniert an den Großen der ausgehenden 80er-Jahre vergreifen: Sie covern The Cures im selben Jahr veröffentlichte Hitsingle "Just Like Heaven" - und schaffen einen Indieklassiker der Extraklasse.
Die neuen Leiden des jungen J
Tragischerweise macht die Deformation auch vor der Band selbst nicht Halt. Die Differenzen zwischen J Mascis und Bassist Lou Barlow sind auf "You’re Living All Over Me" deutlich zu spüren. Barlow darf zwar zwei eigene Songs beisteuern, darunter das LoFi-Experiment "Poledo", wird aber im Booklet mit folgender Fußnote abgewatscht:
"recorded on 2 crappy tape recorders by Lou + Lou alone in his room"
- Booklet
Ein knappes Jahr später, Dinosaur Jr. sind gerade mit ihrem nicht minder wegweisenden Album "Bug" auf Tournee, attackiert Mascis seinen Bassisten auf offener Bühne mit einer Gitarre. Barlow wird aus der Band geworfen und widmet sich ganz seinem Nebenprojekt Sebadoh.
Dinosaur Jr. existierten zwar weiter, verloren mit Barlow aber den wichtigen kreativen Konterpart zu Kontrollfreak Mascis. An die Spitze der Grungebewegung setzen sich später Nirvana – bekennende Fans von Dinosaur Jr. Ihren Ruf als legendäre Wegbegründer haben Dinosaur Jr. jedoch nie verloren. Und seit 2005 sind sie wieder in Originalbesetzung unterwegs. Die Kunst der Deformation ist seitdem wieder in bester Ordnung. Und ich singe fröhlich mit – mal laut, mal leise, immer schräg. Aber immer mit der gebührenden Ehrfurcht.