Ruhmeshalle Stevie Wonder - Songs In The Key Of Life
Mitte der Siebziger will Stevie Wonder die Musik eigentlich an den Nagel hängen. Als ihm sein Label aber völlige künstlerische Freiheit gewährt, verbunkert er sich nochmal im Studio und nimmt sein großes Meisterwerk auf.
Noch bevor ich jemals einen einzigen Song von Stevie Wonder gehört habe, weiß ich, dass er blind ist. Auf dem Schulhof ist "Stevie Wonder" quasi das Synonym für blind. Neben jeder Menge schlechter Witze erzählte man sich auch immer wieder, wie krass es ist, dass er als Blinder Musik macht. Musikalisch ist meiner Generation Stevie Wonder bestenfalls durch zwei Lieder bekannt: "I Just Called To Say I Love You" und natürlich "Happy Birthday", das jeden verdammten Abend in irgendeiner Bar läuft. Wie wenig diese beiden Songs der musikalischen Genialität von Stevie Wonder gerecht werden, weiß ich erst, als ich zum ersten Mal "Songs In The Key Of Life" höre.
Enttäuscht von der Regierung
Als das Album Mitte der Siebziger erscheint, ist Stevie Wonder bereits ganz oben. Binnen kürzester Zeit hat er sich mit seinen letzten drei Alben zum weltweiten Superstar katapultiert. Doch ihm bedeutet das alles nichts, denn er ist wütend auf die Regierung der USA und die Art und Weise, wie sie mit seinen schwarzen Mitbürgern umgeht. Er hat ernsthaft vor, die Musik an den Nagel zu hängen. Sein Ziel: nach Ghana auswandern und dort mit behinderten Kindern arbeiten. Als ihm sein Label Motown aber den bis dato höchst datierten Vertrag der Musikgeschichte vor die Nase legt, der ihm noch dazu völlige künstlerische Freiheit gewährt, kann er nicht ablehnen. Er bläst das Abschiedskonzert ab und macht sich wieder an die Arbeit.
21 Songs, über 130 Musiker
Während die ganze Welt gespannt auf das Album wartet, arbeitet Wonder wie besessen an jedem noch so kleinen Detail. Ein Jahr lang verschiebt er die Veröffentlichung immer wieder, denn "Songs In The Key Of Life" soll sein Meisterwerk werden. Über 130 Musiker sind an den Aufnahmen zu den 21 Songs beteiligt – unter ihnen Namen wie Herbie Hancock, George Benson oder Minnie Riperton. Aber sie alle sind nur Statisten. Wonder schreibt, komponiert, produziert und arrangiert fast jeden Song im Alleingang.
Auf "Songs In The Key Of Life" zeigt Wonder seine unfassbare musikalische Bandbreite: Funk, Soul, Latin, Calypso, Jazz, Rock und Blues. Neben klassischen Pop-Balladen finden sich auf dem Album auch Big-Band-Nummern, Disco-Anleihen oder pastorale Gesänge. Inhaltlich führt Wonder immer wieder sozialkritische Themen an: Er beklagt den Rassismus in Amerika und zeigt die Armut und Hoffnungslosigkeit vieler Schwarzer auf. Seine Texte sind dabei zwar nicht zwangsläufig intellektuell, dafür von einer Dringlichkeit und Direktheit, die unter die Haut geht.
Eine Vorlage für viele Hits
Das Album wird wie erwartet ein Mega-Seller und die Songs über die Jahre tausendfach gesamplet. "Pastime Paradise" ist die Vorlage für Coolios "Gangstas Paradise", "As" wird durch Mary J. Blidge nochmal zum riesen Hit, "I Wish" ist das Sample in Will Smiths "Wild Wild West". Und "Another Star" kennt man sowieso in zig Varianten. Leider scheint es, als hätte Stevie Wonder all seinen kreativen Input in diesem einen Album verbraten. Denn alles was danach kommt, kann diesem gigantischen Werk nicht ansatzweise das Wasser reichen. Obwohl die schlechteren Songs wie so oft die größeren Hits werden. Aber im Pop-Biz geht es eben manchmal genauso ungerecht zu, wie auf dem Schulhof.