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Fluchtgeschichten Drei bayerische Bücher über Flucht und Ankommen

Ein Jahr ist es her, dass Angela Merkel die Grenzen geöffnet hat und viele Geflüchtete nach Deutschland gekommen sind. Und klar, die Situation hat auch viele bayerische Autoren beschäftigt. Drei Lesetipps zum Thema Flucht.

Von: Jasmin Körber

Stand: 06.09.2016 | Archiv

Geschichten aus dem Grandhotel | Bild: Wißner

"Die Ungesichter" von Fridolin Schley

Darum geht’s: Um die Flucht der 15-jährigen Amal. Sie muss aus Somalia fliehen, als die radikal-islamischen Al-Schabaab-Miliz ihren Vater ermorden und Amal zwangsverheiraten. Die Geschichte ist zwar ein wenig fiktionalisiert, aber zu guten Teilen wahr. Autor Fridolin Schley hat sie in München getroffen, wo sie jetzt lebt:

"Amal hat mir erzählt, dass eins der seltsamsten Dinge auf dieser Flucht ist, die ja monatelang dauert – also 6, 7 Monate in ihrem Fall –, dass du nie zur Ruhe kommst. Selbst wenn du irgendwo eingeschlossen bist oder dich nicht bewegen kannst. Du bist immer rastlos innerlich. Und ich dachte mir, dass ich das gerne sprachlich umsetzen wollte."

Fridolin Schley

Die Ungesichter | Bild: Allitera Verlag

Deshalb gibt es in "Die Ungesichter" auch genau einen einzigen Satz mit Punkt. Und zwar am Schluss des Buches.

Darum lohnt sich’s: Weil selten jemand eine Flucht so authentisch dargestellt hat wie Fridolin Schley: Atemlos, pausenlos, unglaublich anstrengend. Wir hetzen mit Amal von Flug zu Flug, rennen durch ukrainische Wälder und pferchen uns in die Kofferräume slowakischer Autos – um am Ende mit ihr in den Zug nach München zu steigen.

"Geschichten aus dem Grandhotel" von Augsburger Design-Studenten

Darum geht’s: Das Grandhotel Cosmopolis in Augsburg ist der Versuch einer Utopie. Hier wohnen Geflüchtete zusammen mit zahlenden Hotelgästen. Wie das aussieht, das haben acht Augsburger Designstudierende in einem Comicband festgehalten. Ein Semester haben sie immer wieder im Hotel vorbeigeschaut und aus ihren Eindrücken Comicreportagen gezeichnet. Die Erwartungen waren hoch:

"Was wir uns alle gefragt haben, ist, ob es funktionieren kann, diesmal keine fantastischen oder fiktiven Geschichten zu zeichnen, sondern mit diesen Reportagen aus der Realität zu erzählen."

Design-Student Paul Ritzel

Die Antwort: Das kann supergut funktionieren. Manche Reportagen erzählen die krassen Geschichten der geflüchteten Bewohner, andere zeigen das abwechslungsreiche Leben im Grandhotel.

Darum lohnt sich’s: Weil es die sogenannte Flüchtlingskrise schön aussehen lässt. Jede Reportage hat ihren eigenen Stil – trotzdem gelingt es den Zeichnern und Autoren, dass die verschiedenen Geschichten nahtlos ineinander übergehen.

 "Am Ende bleiben die Zedern" von Pierre Jarawan

Darum geht’s: "Am Ende bleiben die Zedern" ist eine Art Detektivgeschichte, in der ein junger Typ nach seinem verschollenen Vater fahndet. Der ist irgendwo im Libanon verschwunden. Als Hauptfigur Samir in das Land reist, wird das Buch aber zum Kommentar auf die Flüchtlingskrise. Denn kein Land hat in Relation zur eigenen Bevölkerung mehr syrische Flüchtlinge aufgenommen als der Libanon.

"Ich frage mich, wie diese kleine Nation einen solchen Ansturm meistern kann. Und ich schäme mich dafür, die Staatsbürgerschaft eines Landes zu haben, in dem viele Menschen Asylsuchende fürchten wie einen Dämon. Die Staatsbürgerschaft eines Landes, in dem heute wieder Flüchtlingsunterkünfte brennen."

Zitat aus 'Am Ende bleiben die Zedern'

Und ganz nebenbei erzählt Pierre Jarawan auch noch, wie es ist, als Flüchtlingskind in Deutschland aufzuwachsen. Er muss es wissen, denn seine Eltern flohen nach Deutschland, als er gerade mal drei Jahre alt war.

Darum lohnt sich’s: Weil Pierre Jarawan in "Am Ende Bleiben die Zedern“ die oft so abstrakte Flüchtlingskrise ins Konkrete holt und dabei die wahnsinnig klugen Worte findet, die wir alle brauchen.


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