Freerider Tom Leitner "Mein ganzes Leben dreht sich um diesen Berg"
Tom Leitner hält seine Nase nicht ständig in Kameras und sich eher raus aus dem Rummel des Freeski-Zirkus. Sympathisch aber auch schade, denn zu sagen hat der Freeskier jede Menge. Wir haben ihn auf seinem Hausberg getroffen.
PULS Playground: Du lebst in einem kleinen Ort im Chiemgau - warum hast du dich dafür entschieden?
Tom Leitner: Ich glaube das geht den meisten so, die im Chiemgau aufwachsen: Man hat eine gewisse Verbundenheit zu dem Ort, wahrscheinlich ist es die Natur – für mich ist es auch die Sprache, gewisse Rituale, Kindheitserinnerungen und natürlich auch meine Familie, die hier wohnt. Ich habe dann auch den Kontrast Whistler / Kanada gebraucht für ein Jahr und auch die Großstadt München, um zu merken für was mein Herz schlägt und wo ich mich zuhause fühle. Als "Landbua" hat man ja so die Vorstellung vom hippen Leben in der Großstadt, aber ich musste mir irgendwann eingestehen, dass ich das einfach nicht bin, dass ich mich wohler fühle, wenn ich nicht ständig Leute um mich herum habe und nicht ständig mich selbst präsentieren und darstellen muss.
Kannst du dir vorstellen heute nochmal wo anders zu leben?
Ich brauche in erster Linie Berge, dass ich mich wohlfühle, Aber es gibt für mich keinen Grund gerade und ich sehe nicht, dass ich mich irgendwo auf der Welt grad wohler fühlen könnte. Ich bin hier eingebunden in die Familie und habe trotzdem meine Freiheit. Ich möchte eigentlich nirgends anders sein im Moment.
In unserem Film sagst du, auf einem Berg und in der Bewegung kommst du runter. Ist es dabei ein Unterschied mit der Gondel hoch zu fahren oder selbst hochzusteigen?
Das ist ein totaler Unterschied ehrlich gesagt. Vom Skifahren kenne ich die Extreme: Skitour ist der langsame Zugang. Im Lift geht es ziemlich schnell, man hat wenig Kontakt mit dem Berg. Und dann war ich auch noch beim Heliskiing, wo man im Frühling in die Faces in Alaska reinfliegt in zehn Minuten. Für mich ist das eine, der schnelle Liftzugang, das rein Sportliche. Da geht’s um die Bewegung, da hat man einen Blick auf den Berg, der ganz anders ist, als wenn man es sich selbst erarbeiten muss. Man sieht ihn dann eher als Spielplatz, auf dem man sich bewegt. Wenn man geht und den langsamen Zugang hat, nimmt man die Details wahr und hat viel mehr Gespür für die Schneequalität und die Lebenswelt am Berg.
Gondel oder Skitour - was magst du lieber?
Je älter ich werde, desto mehr interessiert mich der langsame Zugang, weil er umso intensiver ist. Das ist eine größere Befriedigung, wenn man sich die Höhenmeter selbst ergangen hat. Da ist eine einzelne Abfahrt viel mehr wert, als eine von zwölf wenn man mit dem Lift unterwegs ist. Je älter ich werde, desto mehr genieße ich auch den Aspekt, dass ich mich quäle und mich herausfordere. Da ist dann weniger das Ziel im Kopf, dass ich endlich oben bin. Als ich jünger war, war das so: Wann bin ich endlich oben und kann runter fahren. Jetzt geht’s mir auch darum, das sich es genieße, wenn der Puls oben ist und wenn man eine meditative Bewegung hat.
Ist es dir wichtig besonders hohe Berge zu bezwingen?
Für mich spielt es überhaupt keine Rolle, ob ich auf 4000 Meter bin oder auf 1800. Ich habe genauso intensive Erlebnisse gehabt auf kleinen Hügeln. Hier gibt es einen Kletterfelsen, an dem man auch kleine Abenteuer haben kann direkt vor der Haustür. Für mich ist es im Gegenteil so, weil ich hier sozialisiert bin, dass ich mich mit dem absoluten Hochgebirge in den Westalpen oft ein bisschen schwer tue. Ich hab mehr Bezug zu kleineren Berge als zu den ganz hohen.
In unserem Film erzählst du, wie du zum Skifahren und Freeski kamst - wie wurde daraus eine Profi-Karriere?
Das ist eine lustige Geschichte: Mein Studium hat sich schon dem Ende zu geneigt und ich habe beschlossen ein Jahr in Whistler zu verbringen. Ich habe das ein bisschen als Abschluss gesehen, dass ich nochmal ein halbes Jahr oder ein Jahr richtig Skifahren kann. Ich bin dann aber dort richtig in die Szene reingerutscht, so dass ich mir fast nicht mehr vorstellen konnte, in einen normalen Beruf einzusteigen, aber eine andere Perspektive hatte ich auch nicht. Als ich zurück kam, hat es den Vorläufer von der Freeride World Tour in Fieberbrunn gegeben und ein Freund von mir hatte sich verletzt und mir seinen Startplatz abgetreten. Ich bin zur Qualifkation zu spät gekommen und erst gefahren als es fast dunkel war. Obwohl ich mir nichts erwartet habe, konnte ich mich fürs Finale qualifizieren. Im nächsten Run habe ich dann einen guten Lauf gehabt, auch ziemlich progressiv für die Zeit mit einem Trick. Ich hab's überhaupt nicht glauben können, aber ich habe gewonnen. So sind dann ein paar Firmen auf mich zugekommen und ich bin da reingeworfen worden.
Wie war deine Zeit in Whistler?
Für mich war das ein totaler Augenöffner, weil bei uns hat es nur eine Freeride-Szene gegeben, die entweder nicht existent war oder sehr medial: die haben dann auch von Sponsoren eine Vollausstattung bekommen, Filme gedreht und alles was dazu gehört. In Whistler gab es einfach eine Riesen-Szene, einen Talentpool an Skibums oder Hippies. Da hat keiner sein Material gestellt bekommen. Die haben geschaut, dass sie ihr Equipment irgendwie herkriegen und Gas gegeben und dafür gelebt. Ich habe da so progressive Sachen gesehen - Jungs die Tricks im Backcountry gemacht haben. Das war so pur und echt, der Inbegriff des Freeridens - das worauf dieser Lifestyle eigentlich basiert. Ich habe erkannt, dass Freeskiing eigentlich eine fast schon psychedelische Bewegung war und aus den 70ern kommt. Das übersehen glaube ich viele für die es nur ein neuer Trend ist. Aber das hat es schon immer gegeben: frei fahren, ein bisschen anarchisch.
Wie findest du den Freeride oder Freeski Trend?
Aus meiner persönlichen Sicht wäre es verlogen zu sagen, ich finde den Trend negativ, weil ich ein bisschen davon leben kann. Ich stimme auf jedenfall zu, dass es ein Trend ist, speziell das Parkfahren, der ganze Look, die Ausrüstung... Aber eigentlich ist es nur Skifahren, das wandelt sich und wird es immer geben solange Schnee da ist. Freeriding und Freeskiing ist für mich die Terminologie, die es jetzt dafür gibt. Was in den 60er-Jahren noch die selbst organisierten Abfahrtsläufe waren, das sind jetzt eben "Freeride Contests". Das gibt’s immer und wandelt sich die ganze Zeit. Das ganze Slopestyle-Movement, vielleicht verschwindet das wieder, weil es totreguliert oder zu technisch wird - ich weiß es nicht. Skifahren gibt es seit 1000 Jahren und das wird auch bleiben und sich immer wandeln.
Du hälst dich aus den Medien eher raus - warum?
Ich bin niemand, der sich selbst so in den Vordergrund schieben will, ich mag das einfach nicht. Ich hatte auch schon Panikattacken und dachte mir, du musst jetzt schauen, dass du mehr in die Medien kommst, weil ich lebe davon, das muss ich auch sagen. Aber ich bin's einfach nicht. So wie ich es grad mache, kann ich meine persönliche Integrität wahren und es läuft trotzdem einigermaßen. Ich überleg nicht viel, sondern ich bin einfach wie ich bin.
Ist es schwierig deinen Sponsoren gegenüber das zu erkären?
Es ist kurzfristig auf jeden Fall schwerer, weil die Argumentationsgrundlage fehlt - die Firmen wollen ja einen Gegenwert haben. Aber ich habe das Gefühl, dass es gerade Firmen, die traditionell im Bergsport verankert sind, es schätzen, wenn man eine Balance zwischen Vermarktung und Bescheidenheit schafft. Die wissen, dass es viele Leute auch anspricht, wenn man ehrlich ist, bescheiden und sich nicht immer so in den Mittelpunkt stellt. Ich bin froh, dass ich das nicht in die andere Richtung gemacht hab, weil ich dann weniger glücklich wäre.
Hast du einen Lieblingsskifilm?
Ja. Ich glaube, wie bei vielen Skifahrer aus meiner Generation ist das der "Session 1242", weil der einfach groundbreaking war damals. Die Segments vom Pep Fujas und von Tanner Hall - das war ein Schock, was die Jungs da gebracht haben. Ansonsten bin ich natürlich ein großer Candide Thovex Fan, der ist Gott. Er war immer zwei Schritte weiter als der Rest, so dass ich teilweise gar nicht verstanden habe, was er da macht. Er ist ein bisschen älter als ich und begleitet mich, seit ich Ski fahre. Speziell diese "One of those days", die waren schon der Wahnsinn und gehören zu meinen absoluten Favorites.
In welche Richtung entwickeln sich Freeride Filme - werden sie noch krasser?
Nein. Ich glaube, es muss sich sogar in eine andere Richtung entwickeln, weil niemand sich mehr mit dem identifizieren kann, wenn es immer nur krasse, heftige, harte Bilder sind. Das ist nur noch für eine kleine Menge an Menschen nachvollziehbar, glaube ich. Das Problem hat man bei den ganzen klassischen Freestyle Sportarten, wie den Aerials ja auch gehabt. Das ist aus auch aus einer Soul-Richtung entstanden in den 70er Jahren und ist dann immer technischer geworden, immer krasser und bewundernswert ja eigentlich, aber wen interessiert das heutzutage noch? Ich glaube, dass es gerade beim Filmen noch viel wichtiger werden sollte, den Lifestyle zu portraitieren, die Umgebung und die Gefühle - das ist mindestens genauso ein Teil des Ganzen wie die Leistung. Ich glaube, wenn da Filmemacher aus verschiedenen Bereichen zusammen kommen, dann kommen interessante Sachen raus!
Du bist professioneller Freerider - hast aber Lehramt studiert. Viele Sportler arbeiten ja nach ihrer aktiven Karriere in der Industrie, kannst du dir das vorstellen?
Eigentlich nicht. Was man mit der Zeit lernt: Je mehr man in der Skiindustrie arbeitet, desto weniger Zeit hat man zum Skifahren, weil immer die Zeiten, in denen es interessant wäre als Skifahrer, das sind dann die Peakzeiten für die, die in der Industrie arbeiten. Ich mag eigentlich die Finger davon lassen. Wenn ich mal nicht mehr als Profi arbeite, dann will ich tatsächlich als Lehrer arbeiten, wenn es irgendwie geht. Das ist natürlich bürokratisch schwierig, weil ich nur das erste Staatsexamen habe, aber ich hoffe, dass ich mal die Richtung einschlagen kann und über den Weg auch ein bisschen was von dem Lifestyle, den ich lebe und was ich dadurch gelernt habe, weiter geben kann.
Skifahren und Umwelt - wie geht das für dich zusammen?
Das ist immer eine zweischneidige Geschichte, egal wie man es betreibt. Als Profisportler ist man natürlich sehr in der Zwickmühle, wenn man ein Bewusstsein dafür hat, weil wir für die Filmdrehs sehr viel reisen müssen und einen irrsinnigen Aufwand betreiben. Aber wenn man nicht davon lebt, dann kann man das schon relativ ökologisch gestalten. Skitourengehen ist zum Beispiel nicht so nachteilig für die Natur. Ich glaube, man muss abwägen: Einerseits die Ressourcenverschwendung und den negativen Impact, den man als Skifahrer hat, aber auf der anderen Seite auch das Bewusstsein, dass man für die Natur und die Umgebung dadurch schärft. Ich bin mir nicht sicher, ob nicht jemand, der sich in der Natur bewegt und natürlich einen negativen Einfluss hat, nicht im Alltag etwas bewusster lebt und mehr drauf achtet, die Natur und die Umwelt zu schonen, als jemand der gar keinen Bezug hat und nur in der Stadt sitzt, für den die Natur etwas ganz abstraktes ist. Ich tendiere eher dazu, dass es schon eine positive Auswirkung auf das Verhalten der Leute hat. Aber den Massentourismus in den Skigebieten der Alpen sehe ich immer kritischer, je mehr Einblicke ich bekomme und je älter ich werde.
Glaubst du, da findet langsam ein Umdenken statt?
Ich befürchte, dass es noch extremer wird, in den Gebieten, wo es schon extrem ist. Die Klientel gibt es immer, die das Ramba-Zamba gut finden, die genießen was da angeboten ist. Ich kann nur über mein Umfeld sprechen: Alle die ich kenne, die in meinem Alter sind, die stößt der Massentourismus ab, die denken schon alle nachhaltiger und müssen nicht immer die Superlative haben. Ich habe das Gefühl, dass ein Umdenken stattfindet, auch wenn es nur eine Subkultur ist. Aber oftmals ist es so, dass aus so einer kleinen Bewegung eine Massenbewegung wird.
Wolltest du schon mal alles hinschmeißen?
Nein, noch nie. Ich hatte aber schon Angst, dass es das jetzt war, dass ich nie mehr Skifahren kann. Bei meiner letzten größeren Verletzung, als ich gerade Staatsexamen geschrieben habe. Da habe ich gemeint, ich muss vor den Prüfungen noch auf den Gletscher und Parkfahren. Ich habe mich dann verkantet und mir den Oberarmkopf das zweite Mal gebrochen - Trümmerbruch. Es gab dann die Gefahr, dass ich den Arm verlieren könnte. Das hat so eine innere Panik in mir ausgelöst und war wirklich ein absoluter Tiefpunkt in meinem Leben. Aber gleichzeitig habe ich auch nie das Gefühl gehabt, dass ich das Skifahren aufgeben müsste – eher ein bisschen umstellen. Wenn man so lange auf Ski steht, dann ist das so wie wenn ich sag, ich höre jetzt auf zu gehen. Skifahren ist einfach ein Teil von mir und ich kann mir nicht vorstellen das aufzugeben.