Trendsportart und Wachstumsmarkt 1. FC Nürnberg setzt auf eSport
Beim eSport findet das sportliche Kräftemessen nicht auf dem realen Spielfeld statt, sondern an der Konsole. Innerhalb der letzten Jahre ist daraus ein aufstrebender und zugleich scharf kritisierter Trend geworden. Auch der 1. FC Nürnberg ist dabei.
eSport nennt man sportliche Turniere im virtuellen Raum. Aus dem einst belächelten Hobby hat sich im Zeitalter des Internets ein globaler Wettkampf mit Tastatur und Maus entwickelt. Flinke Finger statt schnelle Beine sind gefragt. Während die Szene weltweit unaufhaltsam wächst, wird der eSport auch in Deutschland beliebter und lukrativer.
1. FC Nürnberg hat zwei FIFA-Pro-Gamer unter Vertrag
Auch der 1. FC Nürnberg hat zwei FIFA-Profi-Spieler unter Vertrag genommen: den 19-jährigen Daniel Butenko und den 20 Jahre alten Kai Hense. Pass auf Rechtsaußen, durchlaufen bis zur Grundlinie, zwei Mal Viereck und dann L2+Kreis drücken. Drin ist der Flug-Kopfball. So geht Fußballspielen auf der Playstation. Vor einem Jahr ist der 1. FC Nürnberg in den FIFA-eSport eingestiegen, die digitale Welt des Fußballs. Die "Mannschaft" besteht nicht aus elf, sondern aus zwei Spielern: den beiden Profi-Gamern Daniel Butenko und Kai Hense. An einem Dienstagnachmittag machen sich die zwei bereit zum täglichen Trainieren an der Konsole. Sie sitzen vor einem großen Bildschirm. Ihre Körperspannung wirkt locker, aber geistig sind die beiden hoch fokussiert auf die Vorbereitungen des Spiels, in dem sie gleich gegeneinander antreten werden.
Real Madrid gegen Real Madrid
"Wir stellen jetzt hier die Teams ein. Haben uns beide für Real Madrid entschieden. Ich bin schwarz, also Real Madrid auf der rechten Seite und der Butenko ist auf der linken Seite, Real Madrid in weiß."
Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Eine Spielsituation, die es in echt so nie geben würde: Real Madrid gegen Real Madrid.
"Jeder gute FIFA-Spieler nimmt immer Real Madrid wegen Ronaldo. Ich nehm manchmal auch schwächere Clubs, aber es ist halt immer schwieriger mit schlechteren Teams zu spielen. Weil die Spieler können halt auch weniger."
Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Ist eSport überhaupt Sport?
Was bedeutet das, wenn Fußballvereine in den eSport-Sektor einsteigen? Ist eSport überhaupt ein Sport? Eine sehr heikle Diskussion, weiß Kristoff Reichel, Sportwissenschaftlicher an der Uni Bayreuth.
"Ich selber würde es nicht für mich als Sport auffassen, weil ich das mit hoher körperlicher Anstrengung verbinde, aber ich kann es völlig akzeptieren, wenn es bei anderen als Sport gilt. Die meisten stimmen sicherlich zu, dass Joggen, dass Fußball und andere Mannschaftssportarten Sport sind. Dann geht’s aber los: Was ist mit den Sportschützen beispielsweise? Was ist Formel 1? Ist das ein Sport? Wo setzt man Sport an? Muss es zwingend immer mit einer körperlichen Beanspruchung zu tun haben? Thema Schach: Denksport. Also die Diskussion ist sehr lang. Was die körperliche Beanspruchung angeht beim eSport, sind die deutlich höher als bei manch anderen Sportarten, wenngleich natürlich nur einzelne Muskelgruppen, vor allem Auge-Hand-Koordination sehr beansprucht sind. Es gibt natürlich ganz große Gegner wie der Uli Hoeneß aus Bayern, der sieht das auf gar keinen Fall als Sport und möchte das auch nicht etablieren im Verein."
Kristoff Reichel, Sportwissenschaftler an der Uni Bayreuth
Politik erkennt eSport an und verspricht Unterstützung
Sogar in den aktuellen Koalitionsvertrag unserer Bunderegierung hat es der eSport geschafft. Dort steht: "Wir erkennen die wachsende Bedeutung der eSport-Landschaft in Deutschland an" und werden "eSport künftig vollständig als eigene Sportart mit Vereins- und Verbandsrecht anerkennen und bei der Schaffung einer olympischen Perspektive unterstützen". Der zuständige Minister für Sport ist allerdings Horst Seehofer. Ob der in diesem Bereich tätig wird, bleibt erst mal abzuwarten.
Virtuelle Anweisungen und Spieltaktik
Kai Hense und Daniel Butenko stellen ihre beiden Mannschaften auf. Legen fest, welcher Spieler auf welcher Position steht und wählen ihre jeweilige Spieltaktik aus.
"Noch ein paar Anweisungen, wie zum Beispiel, dass ich den Sechsern hier sage, die sollen die Passwege zustellen oder dem anderen Sechser, der soll, wenn ich angreife, lieber hinten bleiben. So Einzelheiten, die dann zum Sieg noch helfen können."
Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Bis zu 400 Aktionen pro Minute
Nach etwa zwei Minuten ist alles eingestellt. Es geht los. Kein Anpfiff, kein Anfeuern, alles ist still im Raum. Nur das schnelle Drücken der Konsolenknöpfe ist zu hören. 300 - 400 Aktionen führen Kai Hense und Daniel Butenko pro Minute aus, auf die die virtuellen Spieler auf dem Bildschirm reagieren. Irgendwie absurd. Und doch faszinierend.
"Also wir können jetzt auch den Sound anmachen. Normalerweise ist es mit Sound besser. Das ist jetzt wirklich sehr realistisch!"
Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Wie im realen Fußballstadion
Jetzt kommt Stadionfeeling auf. Sogar einen virtuellen Sprecher gibt es, der das Geschehen auf dem Spielfeld kommentiert.
"Aber er hat sich bewusst für den Waliser Weg entschieden. Ja, er hätte auch für England spielen können, aber, so schildert er das zumindest, die Three Lions haben sich nicht ernsthaft um ihn bemüht. Und jetzt Ronaldo nach vorn! Und TOOOR!"
FIFA-Game-Kommentator
Klingt wie in echt, wie im realen Fußballstadion. Nach sechs Minuten ist die erste Halbzeit schon vorbei. Kai Hense führt mit 1:0.
"Du hast eigentlich genau das gleiche taktische Verständnis wie ein Fußballspieler. Weil du musst ja in gewissen Situationen antizipieren, vorhersehen. Und das ist das Gleiche wie beim normalen Fußball auf dem Rasen. Körperlich ist es halt ein großer Unterschied. Man strengt sich halt nicht so krank an. Man strengt sich mental an beim eSport. Und es ist auch gemessen, dass der Stressfaktor bei kompetitiven Spielen auch wirklich hoch sein kann. Aber körperlich ist Fußball nochmal was ganz Anderes. Also wie die Jungs arbeiten auf dem Platz, fünfmal die Woche." Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Der Druck dahinter, ergänzt Daniel Butenko, ist jedoch derselbe.
"Die auf dem Rasen draußen wollen natürlich für die Fans und für den Club Erfolge erreichen. Und wir auf der Konsole genauso. Weil wenn du versagst, dann versagst du und das ist dann schlecht."
Daniel Butenko, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Jung und schon sehr erfolgreich
Daniel Butenko ist erst 19 Jahre alt und kann bereits beachtliche eSports-Erfolge vorweisen.
"Also bei mir gibt's zwei Highlights: Einmal dass ich 2016 Deutscher Meister geworden bin. Das ist natürlich ein brutaler Erfolg für mich. Und dass ich zum 1. FC Nürnberg gekommen bin. Sprich, ich spiele für einen Fußballverein, was auch schon immer ein Traum von mir war."
Daniel Butenko, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
Momentan steckt Daniel Butenko noch in seiner Ausbildung zum Fahrdienstleiter bei der Deutschen Bahn. Seine Freizeit widmet er komplett dem eSport. Kai Hense ist 20 Jahre alt und ebenfalls ein gefragter FIFA-Profi-Gamer. In der virtuellen Bundesliga war er bei FIFA 17 unter den sechs besten deutschen Spielern. Kai Hense hat sein Fachabitur gemacht und nimmt gerade ein Jahr Auszeit. Um sich ganz auf den eSport zu konzentrieren.
"Viele gute Spieler nehmen sich diese Auszeit weil man einfach einen reinen Kopf braucht. Und ich krieg's ja beim Butenko auch mit: Wenn er viel arbeitet, ist er auch viel kaputt. Und das ist schlecht fürs Spiel. Studieren will ich auf jeden Fall. Sportmanagement. Sport ist immer ein Thema, das hat mich schon lange begeistert. Und weil ich sehr sportlich bin, ist das eigentlich perfekt."
Kai Hense, FIFA-Pro-Gamer des 1. FC Nürnberg
eSport – ein Milliardengeschäft
Aktuell entwickelt sich das eSport-Business zu einem Milliardengeschäft, das im Stande ist, ganze Hallen zu füllen. Wer als Fan nicht live dabei ist, fiebert zuhause auf Onlineplattformen vor dem Bildschirm mit. Ein höchst attraktiver Markt für Werbetreibende, Lizenzinhaber und die Spieler. Darüber, wieviel Daniel Butenko und Kai Hense verdienen, möchte Sebastian Seifert vom 1.FCN keine Angaben machen.
"Ja, was die zwei jetzt betrifft, kann ich nichts dazu sagen! Unsere Rolle ist jetzt eigentlich nicht, junge Spieler aus dem Kinderzimmer zu nehmen und zu reichen eSportlern zu machen. Diesen Weg würden wir auch gar nicht gehen wollen. Es gibt natürlich einzelne Spieler, die jetzt schon im hohen vierstelligen Bereich verdienen sollen, hinzu kommen dann teilweise noch private Sponsoringverträge. Bei uns ist das nicht so. Wir sind da weit von entfernt momentan noch. Ich glaube, dass perspektivisch schon der Markt noch professioneller wird, dass auch die Gelder nach oben steigen. Das setzt allerdings voraus, dass die gesamte Liga irgendwann mitzieht."
Sebastian Seifert, 1. FC Nürnberg
Bisher haben in der Fußballbundesliga Schalke, Leipzig, Bremen, Stuttgart, Wolfsburg, Bochum und Nürnberg eSport-Profi-Gamer unter Vertrag genommen. Daniel Butenko und Kai Hense sind fast täglich im Einsatz. Denn Training gehört beim eSport genauso dazu wie bei den echten Fußballprofis auf dem Rasen. Mehrere Stunden am Tag dauert ein Training. Das Ziel dahinter: sich zu qualifizieren für große Turniere, die oft zwischen sechs bis acht Stunden dauern, und sich stetig zu verbessern, sagt Timo Weber vom 1. FCN.
"Zum Beispiel die virtuelle Bundesliga. Das hat hier so unserer Meinung nach den größten Stellenwert in Deutschland. Da treten mehrere Hunderttausend Personen online an der Konsole gegeneinander an. Und nur die besten qualifizieren sich dann fürs Halbfinale und dann fürs Finale."
Timo Weber, 1. FC Nürnberg
Mehrere Hunderttausend junge Männer an der Konsole. Welcher Reiz mag davon ausgehen?
"Ich selbst kann den Reiz nur bedingt nachvollziehen, aber insgesamt durchaus verstehen: Gerade in den letzten Jahren sind ja auch so 'Sportarten' wie Darts aufgekommen, die auch ein ähnliches Phänomen aufweisen, auch große Hallen teilweise füllen, mit Eventstimmung, Party, Bier und jemandem zujubeln, der auf eine Scheibe aus ein paar Metern Entfernung einen kleinen Dartpfeil zuwirft, das ist ein ähnliches Phänomen. Also ich denke, dieser Eventcharakter spielt da eine ganz große Rolle."
Kristoff Reichel, Sportwissenschaftler an der Uni Bayreuth
Junge Menschen vor der Konsole abholen – und konvertieren
Vor allem die digitale Generation will der 1. FCN mit seinem Einstieg in den eSports-Sektor erreichen. Die virtuelle mit der realen Welt verknüpfen, wie Sebastian Seifert erklärt.
"Wir wollen nicht Fans oder Sympathisanten vor die Konsole kriegen, sondern eigentlich ist es der Umkehrschluss. Eigentlich versuchen wir letztendlich, einen virtuellen Spieler zu konvertieren in die reale Welt. Letztendlich wollen wir den schon an den Verein und an den realen Sport heranführen und ihn dann auch zum Fan machen."
Sebastian Seifert, 1. FC Nürnberg
Neue Zielgruppen sollen gewonnen werden. Doch wenn man Sebastian Seifert zuhört, dann geht es dem 1. FCN nicht in erster Linie um eine Ausweitung der Geschäftsfelder, sondern um die Zukunft des echten Fußballs auf dem Platz.
"Für uns ist es kein Profit-Center, wie es andere Vereine betreiben. Allerdings ist es für uns natürlich auch wichtig, junge Zielgruppen anzusprechen, die wir mit dem realen Fußball nicht mehr direkt erreichen. Wir merken sehr wohl, dass eine Affinität zum Ballsport da ist, dass eine emotionale Bindung oder Sympathie zum 1. FCN da ist, die allerdings in der realen Welt dann nicht gelebt wird. Ich glaube, es wird immer schwieriger, Jugendliche oder junge Erwachsene 90 Minuten lang zum realen Fußballspiel bewegen zu können, egal ob aktiv oder passiv. Und im virtuellen Spielfeld ist es glaube ich schon so, dass wir den Zugang zu den Zielgruppen leichter herkriegen."
Sebastian Seifert, 1. FC Nürnberg