Buchtipp Bora Ćosić: "Im Zustand stiller Auflösung"
Der Roman "Im Zustand stiller Auflösung" von Bora Ćosić ist einer Bücherzerstörung entkommen. 1992 war das Buch erstmals in Sarajevo veröffentlicht worden, wenige Tage vor Ausbruch des Krieges. Umgehend wurde die gesamte Auflage vernichtet. Nun, 25 Jahre später, hat der Schöffling Verlag das außergewöhnliche Werk ins Deutsche übersetzen lassen.
Dieser Roman von Bora Ćosić wurde mit Tausenden anderen Büchern mit Erdöl übergossen. Ein geeignetes Mittel, um Bücher zu vernichten. Sie zerfallen einfach und enden als breiige Masse. Der Schöffling Verlag hat dem Roman einen nicht unbedingt schmissigen Titel verpasst: "Im Zustand stiller Auflösung". Der Originaltitel lautet: Rasulo, was mit Chaos übersetzt wird. So einfach aber sei es nicht zu übersetzen, protestiert Ćosić.
"Im Original heißt es 'Rasulo', aber das ist schwer zu übersetzen. Es meint einen Zerfall, ein Auseinanderbrechen. Aber es steckt mehr darin: Es meint auch eine Unordnung, wenn etwas zerbricht, einen geistigen Zerfall."
Bora Ćosić
Ćosić stellt in seiner Satire die Welt auf den Kopf
Ein typischer Ćosić-Roman, wenn auch nicht im Umfang. Denn dieses Buch ist nur 120 Seiten schmal und in 31 kurze, knappe, selten länger als drei Seiten umfassende Kapitelchen unterteilt. Aber aus dem Schmunzeln findet man bei der Lektüre kaum heraus. Es ist wieder dieses Quasseln als hohe Kunst, die Ćosić berühmt gemacht hat, ein Monolog über Gott und die Welt und die Tücken des Alltags. Ein Schriftsteller begibt sich auf die Spuren von Marcel Proust. Es ist also zugleich die Suche nach der verlorenen Zeit, freilich: Ćosić, der Anarchist, stellt, wie üblich, die Welt auf den Kopf.
"Es ist eine Satire. Es geht darum, dass ein Mensch, der mental labil ist, über ein Land spricht, das noch labiler ist und zerfällt in dem Moment, in dem er sich darüber Gedanken macht."
Bora Ćosić
Außergewöhnliche, höchst originäre Literatur
Ćosić verlacht die Welt, wie immer, wenn er schreibt. Über heitere Himmel und griesgrämige Menschen wird palavert; über Melancholiker und die Zustände wetterfühliger Menschen gespottet; die Urlaubszänkereien mit der besten Ehefrau von allen werden aufgespießt, und rüde wird gegen den Mangel der Welt und die Zumutungen von Menschen gewütet. Es sind heitere und bissige Urlaubs- und Ferienimpressionen, kleine Feuilletons auch über das Wesen von Stühlen beispielsweise.
Sprache ist eben doch eine Macht – auch wenn sie stets auf verlorenem Posten bleibt. Bora Ćosić hat hier ein weiteres Kabinettstück seiner außergewöhnlichen und höchst originären Literatur vorgelegt. Wie gut, dass sich dieser Roman erhalten hat und nun, mit viel Vergnügen von Brigitte Döbert übersetzt worden ist. Ein Buch für verregnete Tage.
Bora Ćosić: Im Zustand stiller Auflösung
Mit einem Nachwort von Bora Ćosić
Aus dem Serbischen von Brigitte Döbert
Schöffling & Co. 2018