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Chip unter der Haut Schlüssel verlieren ausgeschlossen

Türöffner öffnen im wörtlichen Sinne Türen – im übertragenen sind sie Pioniere. Beides passt für einen Mann, den unsere Autorin Tanja Oppelt besucht hat: Dank implantiertem Mikrochip kann er Türen durch Handauflegen öffnen.

Von: Tanja Oppelt

Stand: 22.12.2022 | Archiv

Chip unter der Haut: Schlüssel verlieren ausgeschlossen

Stellen Sie sich eine ganz normale Haustüre vor. Nur an der Stelle , wo normalerweise der Schlüssel reinkommt, ist sie anders, dort sitzt ein elektronisches Schloss, eine Art Knubbel mit einem durchsichtigen Element am Ende. In Firmen oder Schulen gibt es schon lange solche Schlösser; zu öffnen sind sie mit einer Zugangskarte oder einem Chip am Schlüsselbund.

Das braucht Christian Zagel nicht, wenn er so ein Schloss öffnen will. Er muss nur seine Hand an das Schloss halten. Ein Piep, ein Klicken, und die Tür ist geöffnet. Zagel kann seine Haustüre im Wortsinne durch Handauflegen öffnen. Denn der 40-jährige Hochschulprofessor trägt einen Mikrochip unter der Haut.

Da sitzt er, auf seinen Handrücken, in der Mulde zwischen Daumen und Zeigefinger.

"Man fühlt ihn nur, wenn man etwas fester an die Stelle drückt. Fühlt sich an wie ein Reiskorn, hat auch dieselbe Größe. 1,8 cm Länge, 2 mm Durchmesser. Es ist ein kleines Glasröhrchen, in dem die Technologie verbaut ist. Kleines bisschen hart, man spürt es, aber nur wenn man weiß, wo man hindrücken muss. Man spürt es im alltäglichen Leben nicht, weder beim Bewegen der Hände, noch verursacht es Schmerzen."

Christian Zagel

Das Röhrchen mit dem Chip in Zagels Hand ist aus einem speziellem Glas gefertigt. Es ist steril, wandert nicht unter der Haut und verwächst nicht mit dem Gewebe. Digitale Technik unter der Haut – ein Mikrochip samt Antenne – das klingt wie Science-Fiction, für manche vielleicht sogar wie aus einem Horrorfilm.

Wie kommt man auf die Idee, sich sowas unter die Haut zu pflanzen, nur um die eigene Haustüre öffnen zu können? Um es zu erklären, erzählt Christian Zagel aus seiner Kindheit.

"Angefangen hat es damit, dass ich mit sieben meinen ersten Computer bekommen habe. Das war das ausrangierte Modell meines Onkels, der hatte einen grün-schwarzen Monitor, ganz altes Ding. Ich hab Spaß dran gefunden. Habe meinen Computer selbst zusammengebaut, hab mein ganzes Taschengeld da untergebracht. Das hat mich schon immer begeistert, die Technologien, die Möglichkeiten, die dadurch entstehen, und das nutzbar zu machen."

Christian Zagel

Zagel ist neugierig, abenteuerlustig, hat keine Berührungsängste gegenüber Neuem. "Wenn ich was Neues sehe, muss ich es zwangsläufig ausprobieren. Das ist ganz wichtig."

Christian Zagel öffnet seine Haustür per Chip

Seinen kindlichen Forscherdrang macht er zum Beruf: Er wird Professor für Zukunftsdesign und angewandte digitale Transformation an der Hochschule Coburg. Vor acht Jahren hört er von der Möglichkeit, sich Mikrochips unter die Haut pflanzen zu lassen. Das will er ausprobieren, möglichst am eigenen Körper, auch um es wissenschaftlich beurteilen zu können: Bringt das was? Und was macht das mit ihm?

Seinen ersten Chip hat er sich aus den USA bestellt. Mit dem kleinen Chip in einer sterilen Lösung ist er dann zum erstbesten Tattoo- und Piercingstudio, um sich den Chip dort unter die Haut schieben zulassen. "Da war sogar die Kanüle dabei, eine Art Spritze, in der der Chip eingebracht ist," erinnert er sich. "Die fanden das alle total skurril, weil sie das noch nie gesehen haben. Und es gab Vorbehalte bezüglich der gesundheitlichen Risiken. Ist dieses Ding tatsächlich steril? Mach ich mich strafbar oder angreifbar, wenn ich dem so ein Ding setze?"

Er geht zu einem zweiten Tattoostudio und wird abgewiesen, zu einem dritten und vierten – die gleiche Reaktion. Zagel klappert mehr als zehn Tattoo- und Pirecingstudios und auch einige Arztpraxen ergebnislos ab. Er stößt immer wieder auf Unverständnis und Skepsis. Dann fasst er einen Entschluss:

"Niemand wollte es tun. Da hab ich mir gesagt, so schlimm kann es nicht sein. Das ist eine Kanüle mit einer Injektionsnadel, nur etwas größer. Dann hab ich mir die Anleitung im Internet angekuckt. Muss ich selber machen. Und zack war das Ding drin. War eine Sache von 30 Sekunden."

Christian Zagel

Die eigene Haut ist eine mächtige Schranke. Sie schützt unser Inneres vor Krankheitserregern, Nässe, Hitze, Kälte, Druck, Gewalt. Sie hält vieles aus. Unsere Muskeln, Sehnen, unsere Organe, unser Blut sind gut geschützt. Wenn uns etwas "unter die Haut geht", dann berührt es unser Inneres und hinterlässt Spuren.

Klar, es gibt künstliche Hüften und Kniegelenke oder Herzschrittmacher, die wir unter unsere Haut lassen. Aber ein Computerchip im eigenen Körper, der Signale empfängt und Daten verschickt? Sowas kann Angst machen. Angst vor Datenmissbrauch. Oder gar davor, von außen ferngesteuert zu werden.

Seit acht Jahren lebt Christian Zagel nun mit Chip in seiner Hand. Er hat sich inzwischen einen zweiten, moderneren eingesetzt. Bei dem ist allerdings die Technik kaputt, er muss demnächst wieder herausoperiert werden. Als Fremdkörper empfindet er die Mikrochips nicht.

"Viele Menschen verstehen nicht, was die Technologie kann und was nicht. Gerade zu Beginn der Corona-Krise hab ich immer wieder zu hören bekommen: jetzt hast du da auch noch einen Chip unter der Hand, jetzt können sie dich orten. Das funktioniert mit dieser Technologie nicht. Sie hat keine eigene Stromversorgung und kann nur dann Daten schicken, wenn sie von einer externen Quelle mit Energie versorgt wird. Sowas wie ein GPS-Modul, wo jemand schauen kann, wo ich bin, das funktioniert damit nicht. Was viele Menschen auch nicht wissen: dass sie die gleiche Technologie tagtäglich mit sich herumtragen, sei es in einer Kreditkarte oder im Personalausweis."

Christian Zagel

Chip auf einer NFC-fähigen Bankkarte

Diese Near Field Communication, kurz NFC, ist eine Standard-Technologie und auch in jedem Smartphone und jeder Smartwatch verbaut. Der Schritt von der smarten Uhr am Handgelenk unter die Haut ist für Zagel kein großer. Er ist überzeugt: Solche Implantate würden vielen Menschen auch medizinisch helfen. Ein Chip könnte auf Herzrhythmus-Störungen hinweisen oder Alarm schlagen, wenn sich ein Schlaganfall anbahnt.

Professor Zagel will nicht stehenbleiben: Möglichst bald will er sich einen neuen Chip einpflanzen lassen. Inzwischen hat er auch eine Ärztin gefunden, die das für ihn macht. Auf den neuen Chip will er den Dienstausweis seiner Hochschule laden. Damit könnte er auch dort Türen aufschließen, und sogar in der Mensa bezahlen oder Bücher ausleihen.

Die Placet seiner Coburger Hochschule hat er. Deren Präsident Stefan Gast ist überzeugt, dass dort solche Mittel und Möglichkeiten gefördert werden müssen: "Ich sehe die Hochschule hier als Versuchslabor. Wir sehen uns als Innovationstreiber in der Region. Insofern unterstütze ich das allzu gerne." Und weiter: "Wenn es an dieser Stelle Bedarf bei anderen Kollegen gibt, und wir die Möglichkeiten haben, die Hochschule als Reallabor für gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu etablieren, dann möge man sich bitte bei mir melden."

Wenn die Leute den Nutzen erkennen, ist sich Zagel sicher, dann sind sie der Sache gegenüber viel aufgeschlossener. Einige Studierende von ihm haben bereits Interesse an einem Body-Chip angemeldet.

Und auch seine Freundin denkt darüber nach: "Sie verlegt ständig ihren Haustürschlüssel. Und weil ihr das mittlerweile zu doof wird, den Schlüssel zu suchen, ist sie am Überlegen, sich auch chippen zu lassen."


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