Die Spessart-Eiche Ein Symbol am Scheideweg
Der Spessart ist eines der letzten großen Waldgebiete Deutschlands. Seit Generationen leben die Menschen dort mit und von diesem Wald. Dabei hat sich ein Symbol herausgebildet: die Spessart-Eiche. Doch was bedeutet der Klimawandel für deren Zukunft?
Obwohl der Spessart vom Grunde her eigentlich ein von Buchen dominierter Mischwald ist, spielt die Eiche seit jeher eine besondere, große Rolle in dieser Region, die bis zum heutigen Tag eines der größten zusammenhängenden Waldgebiete in Deutschland und Europa ist.
Der "Spechtswald"
"Das Wirtshaus im Spessart" – spätestens mit dieser Räuber-Komödie aus dem Jahr 1958 wurde der Spessart als Wald-Idyll bekannt. Der Name leitet sich wohl aus "Specht", der Vogelgattung, und "Hardt", dem Bergwald her – bedeutet also Spechtswald. Um das Jahr 900 Spehteshart oder Speshart genannt, später auch Spechteshart. Zur Verortung des großen Waldgebiets sagt der Volksmund: "Zwischen Main, Kinzig und Sinn, da liegt der Spessart drin." Und Wikipedia erklärt dazu etwas wissenschaftlicher:
"Der Spessart ist ein Mittelgebirge zwischen Vogelsberg, Rhön und Odenwald in Bayern und Hessen. Er umfasst das größte zusammenhängende Gebiet aus Laubmischwäldern in Deutschland und liegt nördlich des die Grenze zum Odenwald bildenden Mains – etwa 55 km ostsüdöstlich von Frankfurt und 40 km westnordwestlich von Würzburg. Die höchste Erhebung ist mit 586 m der Geiersberg im Hohen Spessart."
Quelle Wikipedia
Bäume aus dem Spessart – ein begehrter Rohstoff
Der Spessart ist seit Jahrhunderten ein von Menschen genutzter und bewirtschafteter Wald. Die Bäume waren und sind in erster Linie ein begehrter Rohstoff. Und die Eichen wachsen schon seit Urzeiten hier in der Region. Sie waren schon vor dem Menschen da, sagt Eberhard Sinner aus Lohr am Main. Der CSU-Politiker ist von Haus aus studierter Forstwirt. Aus einer Försterfamilie stammend, war er vor seiner politischen Laufbahn auch als Förster im Spessart tätig und hat sich auch mit der Spessart-Eiche intensiv befasst und ihre Geschichte genau studiert.
"Wir haben hier die Traubeneiche, die ist im Spessart heimisch. Sie ist auch autochthon, d.h. sie ist hier gewachsen, schon seit Jahrhunderten, man kann sagen seit Jahrtausenden. Vor 10.000 Jahren, nach der Eiszeit, kam die wieder – die gab's schon im Tertiär und sie hat sozusagen die Bestände gebildet. Und man sieht bei allen Pollenanalysen eine Dominanz der Eiche. Später kam dann die Buche und ist hier eingewandert. Deswegen ist hier der Spessart gemischt aus Eiche und Buche. Und die Konkurrenzsituation beider Baumarten ist so, dass die Buche durchsetzungskräftiger ist als die Eiche. D.h. die Eiche ist im Zuge der Klimaveränderung – ein subatlantisches Klima – dann immer mehr von der Buche bedrängt worden. Und es war der Wille zur Eiche, das Eingreifen des Menschen, der den Eichenanteil, den wir heute haben, erhalten hat."
Eberhard Sinner, Forstwirt
Die Spessart-Eiche – ein besonderer Baum
Zwar sind die Eichen, die heute im Spessart wachsen, genetisch gesehen keine eigene Baum-Art. Aber trotzdem haben sich über die Zeitläufte Eigenarten herausgebildet, die die Spessart-Eiche auch aus botanischer Sicht speziell und in gewisser Art einzigartig machen. Es waren die ökologischen Gegebenheiten vor Ort zum einen, und die Förderung und Auslese durch den Menschen zum anderen, die im Spessart Eichen heranwachsen ließen, die sich von Eichen anderer Wachstumsregionen durchaus unterscheiden.
"Rein botanisch ist das natürlich keine Besonderheit. Das ist eine Traubeneiche, die durchaus in Mitteleuropa weit verbreitet vorkommt. Aber sie hat im Spessart aus der historischen Nutzung heraus einen besonderen Stellenwert. Bei der örtlichen Bevölkerung, aber auch bei den Waldbesitzern und Forstleuten."
Eberhard Sinner, Forstwirt
Das bedeutet: Allein weil der Mensch die Eiche im Spessart besonders förderte, konnte sie den Stellenwert erlagen, den sie bis heute hat. Auch Robert Staufer, der Leiter der Bayerischen Forstschule in Lohr am Main betont, wie wichtig dieser Aspekt ist, will man die Geschichte der Spessart-Eiche verstehen. Der Spessart ist längst kein Natur- oder Urwald mehr, sondern ein vom Menschen geformter Wald.
"Der Spessart war lange ein geschlossenes Waldgebiet. Und dieser Schutz wurde von den größten Waldbesitzern, den Fürstbischöfen von Mainz, noch intensiviert. Weil sie gerade im Hochspessart in einem intensiven Ausmaß jagen wollten. Und um diese Jagd auszuüben, war natürlich auch wieder die Eiche eine geschützte Baumart, weil sie mit ihren schönen Eicheln auch gerade für das Wild gute Nahrung bietet. Und als diese bischöfliche Zeit geendet hat, sagen wir mal nach 1803, hat sich natürlich auch der neue große Waldeigentümer, das Königreich Bayern, sehr intensiv mit der Eichen-Bewirtschaftung befasst."
Robert Staufer, Leiter Bayerische Forstschule in Lohr am Main
Die Spessart-Eiche wird zum Wirtschaftsgut
In dieser Zeit wandelt sich auch die Bedeutung der Spessart-Eiche. Sie wird vom schützenswerten Futterlieferant für das Wild der Adeligen zum veritablen Wirtschaftsgut. So bekommen beispielsweise viele große Gebäude in der Region, von Kirchen über Repräsentationsbauten, bis hin zu Häusern des reichen Bürgertums, Dachstühle aus Spessart-Eiche. Das Holz erlangt schließlich einen derart guten Ruf, dass es über Fuhrleute oder per Flößerei den Main und den Rhein hinab, auch den Weg in viele andere europäische Regionen findet.
Amsterdam und Venedig fußen teils auf Spessart-Eichen
In Amsterdam und in Venedig ruhen nicht wenige Gebäude auf Eichenstämmen aus dem Spessart. Und die großen Seemächte der Zeit, England und vor allem Holland, verwendeten Eichenholz aus dem Spessart zum Bau ihrer Handels- und Kriegsschiffe. Bei der einheimischen Bevölkerung sorgt die Spessart-Eiche für Arbeit und für bescheidenen Wohlstand in einer eher ärmlichen Region. Anbau und Nachzucht der wertvollen Eichen werden intensiviert und immer mehr verfeinert. Es entsteht ein Verbundenheitsgefühl, das man bis zum heutigen Tag spüren kann, meint Robert Staufer.
"Ja, ich gebe schon zu: Wenn ich in diesem Wald unterwegs bin – und das sind wir mit unseren Gruppen öfter, das ist schon so ein kleiner Wallfahrtsort. Sie sehen die Bäume, von denen Sie wissen: Naja, da ist schon im Dreißigjährigen Krieg eine Armee durchgezogen, und Napoleons Truppen. Damals waren das schon stattliche Wälder. Und du siehst diese Bäume, wie die da stehen und eine Ruhe ausstrahlen – das ist schon etwas, das einen fasziniert. Also ich behaupte jetzt mal, das spricht viele wirklich an."
Robert Staufer, Leiter Bayerische Forstschule in Lohr am Main
Das Eichenholz ist bis heute äußerst beliebt
Hans Peter Breisch geht über den sogenannten Wertholz-Platz von Burgsinn im Spessart. Breisch ist Förster und Betriebsleiter der kleinen Marktgemeinde. Auf dem Platz am Ortsrand liegt ein "Holz-Schatz". Mächtige Baumstämme, allesamt aus dem eigenen weitläufigen Gemeindewald. Nebeneinander in mehreren Gassen aufgereiht liegen sie da, um von potenziellen Käufern begutachtet zu werden. Einige Nadelholzstämme sind darunter, aber meist sind es Laubbäume. Die Einkäufer haben genaue Vorstellungen, wie die Stämme beschaffen sein sollen. Auch wechselt der Trend von Jahr zu Jahr, sodass Förster Breisch nie sicher sein kann, welche Stämme die Einkäufer gerade bevorzugen werden. Aber die Eichen auf dem Platz treffen meist den Geschmack der Kundschaft.
"Das ist eigentlich unsere größte Einnahme-Quelle im Bezug auf die Eiche, weil die Eiche halt in Burgsinn wertvoll ist und weltweit einen Ruf genießt. Es ist nicht jedes Jahr die Superqualität. Aber wir haben immer so eine durchschnittliche Qualität. Und in der Hauptsache hat es dieses Jahr Fass-Eiche, weniger Furnieranteil. 30 Prozent Furnieranteil und 70 Prozent Fassholzanteil."
Hans Peter Breisch, Förster
Schon Eichenstämme, die für Fassholz taugen, gehören zur Oberliga der Holzqualitäten. Wer heutzutage Eichenfässer nutzt, füllt nur Edles darin ab. Burgsinner Eiche wird von internationalen Spitzenwinzern geschätzt. In Barrique-Fässern aus Spessart-Eiche reifen einige der besten Weine der Welt. Doch die absolute Königsklasse bilden die Eichenstämme, die für die Furnierproduktion geeignet sind. Wertvoller kann Holz nicht sein. Und im Wald von Burgsinn stehen oft genau diese Furnier-Eichen.
Streit um die wertvollsten Spessart-Eichen überhaupt
Hans Peter Breisch ist Herr über die wertvollsten Spessart-Eichen überhaupt. Zu verdanken hat das die Gemeinde einem Rechtstreit um den Burgsinner Wald – ein langwieriges Verfahren, das in die Geschichte eingegangen ist. Der Prozess zwischen adeligen Grundbesitzern und Bürgern zog sich mit Unterbrechungen nicht weniger als 300 Jahre hin – von 1595 bis 1840. Die Freiherren von Thüngen glaubten durch den Kauf eines Schlosses in Burgsinn auch gleich den Wald mit erworben zu haben. Das sahen die Burgsinner anders und zogen vor Gericht. Letztlich mit Erfolg: Es wurde schließlich geurteilt, dass die Bürger die Nutzungsrechte für den Gemeindewald durch so genannte Ersitzung über Generationen hin für sich erworben hätten. Die von Thüngen erkannten den Schiedsspruch schließlich an.
Während der juristischen Auseinandersetzungen über die drei Jahrhunderte war die Nutzung der Wälder um Burgsinn oft erheblich eingeschränkt. Damals zum Ärger der Bevölkerung. Heute sind der historische Prozess und seine Folgen jedoch mit ein Grund dafür, dass rund um Burgsinn mit die ältesten und größten Spessart-Eichen stehen.
Die mangelnde Bodenqualität – im Spessart ein Vorteil
Auch die Qualität der Böden ist ein Teil des Erfolgsgeheimnisses der Spessart-Eiche. Doch nicht etwa wegen der üppigen und optimalen Nährstoffe, die die Bäume sich hier aus dem Untergrund holen können. Ganz im Gegenteil, betont Robert Staufer von der Forstschule Lohr. Es ist eigentlich ein Mangel, der hier zum Vorteil wird.
"Die Fränkische Platte, wo wir Lösse haben oder wo wir Kalkböden haben, ist ganz anders mit Nährstoffen ausgestattet als unsere Sandsteinböden, die eher zum Sauren hin tendieren, die nährstoffarm sind. Und das führt natürlich dazu, dass die Bäume langsamer wachsen. Bei Bäumen drückt sich das darin aus, dass die Jahrringe, also das, was sie jedes Jahr anlegen, immer schmal sind, und zwar relativ kontinuierlich und lange schmal sind. Und das führt zu einer sehr schönen und gleichmäßigen Holzstruktur. Und wenn sie alt werden – das ist fast wie bei den Menschen - dann gewinnen die auch so eine Altersreife. Also richtig alte, über 250 Jahre alte Eichen haben dann eine ganz besonders schöne Farbe. Die Käufer reden dann von einem honigfarbenen Ton. Das steigert auch nochmals den Wert. Also insofern haben diese Bodenverhältnisse die hohe Qualität in gewisser Hinsicht erst möglich gemacht."
Robert Staufer, Leiter Bayerische Forstschule in Lohr am Main
So wie die Spessarteiche im 17. und 18. Jahrhundert als Bauholz für Städte oder ganze Schiffsflotten international vermarktet wurde, so ist es heute das hochreine Furnier der Bäume, das weltweit nachgefragt wird. International tätige Möbel-Designer setzen auf das hochwertige Material aus dem Spessart. Nicht selten ziert das Furnier einer Spessart-Eiche teure Möbel, die für Luxus-Apartments, edle Flagship-Stores großer Handelsmarken oder die Zentralen von Banken und Unternehmen geordert werden. Die Firma Mehling und Wiesmann in Lohr am Main ist eines von nur noch drei Furnierwerken im Spessart. Das Unternehmen verkauft seine Furniere aus Spessart-Eiche rund um den Globus. Kenner können die Furniere auf den ersten Blick einordnen und klar unterscheiden, sagt Geschäftsführer Richard Weis.
"Das ist eine amerikanische Roteiche, da sieht man, wie schnell die gewachsen ist. Jahresringe von einem halben bis zu einem Zentimeter – gegenüber ein, zwei Millimetern von einer Spessart-Eiche."
Richard Weis, Fa. Mehling und Wiesmann
Die Zukunft der Spessart-Eiche
Die Eiche, die die Geschichte des Spessarts prägt wie kaum ein anderes Symbol, deren Nutzung sich über die Jahrhunderte wandelte – wie ist es um ihre Zukunft bestellt? Ist der Klimawandel letztlich auch für die Spessart-Eiche möglicherweise eine Frage von Leben und Tod. Wie wird sie mit den Veränderungen des Klimas umgehen? Welche Rolle spielt sie in künftigen Spessart-Wäldern? Eberhard Sinner, der Diplom-Forstwirt, macht sich wenig Sorgen um die Zukunft der Spessart-Eiche. Er vertraut auf das Anpassungsvermögen dieser Baumart.
"Das hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Wir hatten sehr viele Trockenjahre in diesem Jahrhundert, und auch extreme Trockenjahre. Und die Eiche war die fitteste Baumart, um mit diesen Trockenjahren umzugehen."
Eberhard Sinner, Forstwirt
Auch Hans Peter Breisch, der Förster aus Burgsinn ist überzeugt, dass die Spessart-Eiche, die schon viele ökologische Veränderungen überstanden hat, auch diesen – menschengemachten – Klimawandel erfolgreich überstehen wird.
"Diese Baumarten haben schon seit Jahrhunderten überlebt. Und die überleben auch dies. Die nächste Generation, die da aufwächst, die passt sich an. Die Genetik wird sich verändern. Die passen sich an, mit Sicherheit."
Hans Peter Breisch, Förster