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Echtes Leben oder schöne Ausstellung? Von Fluch und Segen der Musealisierung

Alles Museum oder was?! Rund 1300 Museen gibt es in Bayern. Jetzt kommt eines dazu: Der Schwurgerichtssaal im Nürnberger Justizpalast, Ort der Nürnberger Prozesse. Aber muss tatsächlich alles Museum werden?

Von: Lorenz Storch

Stand: 16.11.2020 | Archiv

Echtes Leben oder schöne Ausstellung?: Von Fluch und Segen der Musealisierung

Der Nürnberger Justizpalast, vollendet im Ersten Weltkrieg, in repräsentativer Neo-Renaissance - das größte Justizgebäude Bayerns! Auf dem Parkplatz herrscht trotz Corona reger Betrieb. Prozessbeteiligte mit Aktentaschen gehen aus und ein. Hier ballen sich die Justizeinrichtungen der Stadt. Aber wenn der Blick nach rechts schweift, trifft er etwas Besonderes: An der Umfassungsmauer prangen große Plakatwände mit den Fahnen der USA, Großbritanniens, Frankreich und der Sowjetunion - der Siegermächte des Zweiten Weltkriegs. Was anzeigt, dass der Justizpalast auch einen speziellen Ort der Zeitgeschichte beherbergt…

Drin, im Schwurgerichtssaal 600, schleifen Handwerker den Boden eines Nebenraums ab. Vorboten eines bevorstehenden Umbaus. Axel Fischer, wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Memorium Nürnberger Prozesse zeigt diesen Saal, der bis vor wenigen Monaten noch der wichtigste Verhandlungsort für das Landgericht Nürnberg war.

Das ist einer der größten Gerichtssäle, die es in Deutschland gibt. 1916 eröffnet. Das spiegelt sich auch in seinem Aussehen wieder. Marmorne Portale mit stark historisierender Gestaltung. Bronzene Figuren, bronzene Kartuschen mit Symbolen aus der Rechtsgeschichte, dunkle Eichenholztäfelung. Also alles sehr honorig.

"Also es sind, ich weiß nicht, im Laufe der Zeit Tausende von Menschen eben vor verschlossenen Türen gestanden. Wenn man sich überlegt für diese Leute, war es möglicherweise der einzige Nürnberg- oder Deutschlandbesuch ihres Lebens, haben Sie diesen Raum eben nicht sehen können."

Axel Fischer, Memorium Nürnberger Prozesse

Denn nach den Nürnberger Prozessen gab es wieder regelmäßige Gerichtsverhandlungen im Saal. Jetzt aber wird er ein Museum. Im Februar fand im Schwurgerichtssaal 600 die letzte Gerichtsverhandlung statt. Seitdem ist das Schwurgericht in einen Neubau umgezogen. Darüber gibt es geteilte Meinungen.

"Ich finde es sehr schade. Nicht, weil ich da länger hätte verhandeln wollen und müssen, sondern ich bin grundsätzlich der Meinung, dass man eigentlich historische Orte, Gebäude, solange zu dem Zweck nutzen sollte, zu dem er auch errichtet wurde. Weil nur dann hat dieser Raum, dieser Ort, Leben. Und nur dann wird auch die Historie wirklich spürbar."

Barbara Richter-Zeiniger, Vorsitzende des Schwurgerichts

"Am Dienstag, Mittwoch, Donnerstag, wurde verhandelt, und dann kamen aber immer wieder Leute, die unbedingt mal in den Saal schauen wollten. Auch am Wochenende standen Leute vor der Tür und wollten herein. Also man war gezwungen, sich damit auseinanderzusetzen. Man will ja auch die Justiz nicht so erscheinen lassen, als hätte sie daran kein Interesse. Oder wäre den Bürgerinnen und Bürgern gegenüber unfreundlich. Und deswegen ist es einfach so, man muss sich dem stellen, der Saal ist da, das Interesse ist da."

Friedrich Weitner, Justizsprecher Nürnberg

Nun hat Bayern also ein Museum mehr. Die Liste der Museen in Bayern ist schon jetzt sehr lang. Mehr als 1300 davon gibt es im Freistaat, ganz genau gezählt hat sie niemand. Ungefähr 1200 davon sind die so genannten nichtstaatlichen Museen. Vom Stadtmuseum bis zur kleinen, vereinsbetriebenen Heimatstube. Aber muss tatsächlich jeder historische Ort ein Museum werden?

"Wir wollen uns ja nicht alle sozusagen musealisieren, darum geht es ja nicht. Wir wollen nicht die Welt sozusagen ins Museum stellen, nein, wir haben eine ganz aktuelle Welt. Aber die Museen müssen mit der Welt was zu tun haben. Man kann zu viel Museen haben, wenn diese Museen nicht mehr wirklich etwas zu berichten haben."

Dirk Blübaum, Landesstelle für nichtstaatliche Museen in Bayern

Auch der ehemalige Bahnhof von Wiesau in der Oberpfalz sollte einmal ein Museum werden: Ein Museum zur Vertreibung der Sudetendeutschen. Der Bahnhof spielte tatsächlich eine wichtige Rolle in der Geschichte der Vertreibung der Sudetendeutschen aus der Tschechoslowakei. Hier liefen 1946 am Tag bis zu drei Güterzüge ein. Jeder Güterzug mit 1200 Personen. Doch Museen, die sich mit dem Thema Flucht und Vertreibung beschäftigen, gibt es im Landkreis schon mehrere.

Aber ein Museum besteht aus Objekten, die zum Sprechen gebracht werden; und die fehlen in Wiesau. Darüberhinaus braucht ein Museum einen großen technischen Aufwand: ein bestimmtes Klima, Lagermöglichkeiten, Sicherheitsvorkehrungen gegen Missbrauch oder Diebstahl. Es braucht Personal, mit den entsprechenden Kosten. All das hat Wiesau, das ja eine kleine Marktgemeinde ist, dazu gebracht, die Sache mit dem Museum zu überdenken - und das Ganze eine Spur kleiner und weniger aufwendig zu gestalten.

"Und dann ist man halt auf die Idee gekommen, dass man das vielleicht eher als Dokumentation bezeichnet. Und eben diesen geschichtlichen Hintergrund, die Bilder, die Archivalien, die man hat, in dieses Gesamtkonzept Bahnhof mit einzubinden. Sodass auch ein Besucher, der eben nur kurz am Bahnhof verweilt, sich trotzdem ein paar Infos mitnehmen kann. Und dass man nicht eben Eintritt verlangen muss, dass man kein Personal stellen muss, das die Objekte überwacht, dass man eben diese ganzen Kosten erstens vermeidet, aber gleichzeitig auch den Vorteil hat, dass es eben zugänglich ist. Das heißt, dass es auch immer zugänglich ist, wenn der Bahnhof geöffnet hat. Und das ist natürlich ein sehr großer Vorteil."

Barbara Habel, Museumskoordination Landkreis Tirschenreuth

Also zieht in das historische Gebäude bald wieder das "echte Leben" ein. Eine ganze Reihe von recht praktischen Einrichtungen, die Wiesau gut brauchen kann, und die Menschen anziehen werden. Außerdem: Weil es sich ja um den Bahnhof handelt, ist zusätzlich mit einer Menge Laufkundschaft zu rechnen. Allein 500 bis 600 Pendler kommen hier täglich durch. Nebenan befinden sich auch Schulen. Der Bahnhof könnte das Zeug haben, zu einer Art zweitem Ortszentrum neben dem Marktplatz zu werden - zumal außen herum ein Park geplant ist. An der Dokumentation zur Vertreibungsgeschichte - niedrigschwellig, fast immer offen, Eintritt frei - werden wahrscheinlich ziemlich viele Menschen vorbeikommen - und auch mal einen Blick riskieren, selbst wenn Geschichte nicht ihr Hobby ist. Der Wiesauer Kulturbahnhof könnte bald beispielhaft zeigen: Es muss nicht immer ein Museum sein.


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