Im Rausch der Kurven Franken lebt das Motorrad
Kaum kommt die Frühlingssonne raus, schieben Motorradfahrer ihre PS-starken Maschinen aus der Garage. Ein besonders begehrtes Ziel sind die hügeligen Kurven der Fränkischen Schweiz. Autor Matthias Rüd spürt diesem ganz besonderen Kurven-Rausch nach – mit all seinen Sinnen.
Da bin ich nun also: auf der Sternfahrt im oberfränkischen Kulmbach, dem traditionellen Start in die Saison. Um mich herum zigtausende Motorräder und ihre Fahrer – "Biker" mit Lederjacken und -hosen in allen Farben oder ohne Kluft in kurzen Hosen.
Der Wettergott meint es gut mit den fränkischen Motorradfans – wenigstens an diesem Wochenende: Blauer Himmel, Sonne satt. Ich mag Geschwindigkeit, ich beneide Motorradfahrer und deswegen mache ich nun eine Sendung übers Motorradfahren. Ich spüre diesem ganz besonderen Kurvenrausch nach, mit all meinen Sinnen.
Kapitel 1: Der Körper
Was geschieht mit unserem Körper beim Motorradfahren – zwischen Ekstase, Freiheitsgefühl und der Gefahr, die hinter jeder Kurve liegen kann? Das erfahre ich von Dr. Leonard Fraunberger. Er ist Internist, Kardiologe und Sportmediziner und leitet in Kooperation an der Universität Erlangen-Nürnberg eine sportmedizinische Untersuchungs- und Beratungsstelle.
Wie wirkt sich Motorradfahren auf den Körper aus? Antworten von Dr. Leonard Fraunberger.
"Motorrad fahren beansprucht den ganzen Körper - also das fängt an von der Rumpfmuskulatur, Bauch und Rücken - da brauche ich eine stabile Haltemuskulatur, die Schultermuskulatur, die Armmuskulatur damit ich den Lenker auch sauber halte. Und eben auch die Beine die mich dann auch auf der Maschine halten. Die werden auch ganz gut beansprucht."
"Gut, also die Belastung auf dem Motorrad ist natürlich abhängig davon wie ich fahre. Also wenn ich jetzt eine entspannte Cruising-Tour durch die Fränkische Schweiz nehme, bei der ich alles genieße, denke ich jetzt, dass die körperlichen Auswirkungen eher minimal sind. Wenn das jetzt natürlich aber in den sportlichen Bereich mit rein geht und da haben wir ja eben auch Rennen, im Motorradsport. Da kommt es natürlich schon anderen zu anderen Auswirkungen auf den menschlichen Körper. Das heißt, wenn man mit 180-200 oder auch drüber auf dem Motorrad mal auf der Autobahn unterwegs ist, ist es eine Stresssituation."
"In dieser Stresssituation haben wir die klassischen Faktoren, die durch jede Stressbelastung ja auch ausgelöst werden. Sprich das sogenannte vegetative Nervensystem, da gibt es den Stress-Nerv, den Sympathikus, der dann über Adrenalin, Noradrenalin und weitere Stressparameter körperliche Reaktionen beeinflusst. Was ist das Ziel: das Nervensystem versucht eben in dieser Situation für alles mögliche bereit zu sein, sprich die Augen werden weit geöffnet. Die Lungen werden geweitet, dass ich auch Luft und Sauerstoff rein bekomme – für diese höhere Beanspruchung. Das Herz schlägt schneller. Dann sind Sie nicht mehr entspannt bei 70/80 sondern allein durch das hohe Tempo bei 140-150 Schlägen pro Minuten. Diese Stressreaktion ist jetzt natürlich die ganze Zeit, wo sie in diesem höheren Bereich auch unterwegs sind."
"Das Problem kann manchmal sein, dass wir mit dieser Stressreaktion vielleicht etwas Probleme haben. Wenn etwas Übergewicht mit dazu kommt, ja wenn man dann 20, 30, 40 Kilo mehr mit drauf hat, vielleicht auch schon an Bluthochdruck leidet, dann kann das in diesen Situationen vielleicht auch ein bisschen zu viel sein."
"Also abnehmen kann man nicht durch das Motorradfahren selber. Für das Abnehmen brauche ich eine muskuläre Betätigung. Sprich ich brauche eine dynamische Bewegung. Die Belastung auf dem Motorrad selber ist eher statisch. Also ich muss die Maschine natürlich halten. Das ist auch vehement das zu halten, also das ist eine statische Beanspruchung der Muskulatur, aber nicht eine dynamische."
"Gut, also bei Fahren in den Kurven brauche ich natürlich, je nach Geschwindigkeit, den Balanceakt, die Koordination, dass ich es überhaupt mit den teilweise auch sehr schweren Maschinen dann hinbekomme. Und es treten da auch etwas mehr Beschleunigungskräfte mit auf. Also wenn ich jetzt mit 120-130 durch eine Kurve fahre, ist es auch ein Unterschied im Gegensatz zum Auto, wo ich ja fix im Sitz mit drin bin."
"Ob ich jetzt Rad fahre oder Motorrad, das Glücksgefühl ist ähnlich, wenn ich so einen Alpenpass habe und da durch die Kurven rausche. Also es wird eben durch diese Stressbelastung schon quasi so ein High-Gefühl im Gehirn freigesetzt. Es kann die Stressbelastung sein, es können aber auch die Endorphine sein, also ein Morphium ähnliches Opiat, was ich ja auch im Körper habe. Im Moment ist es in der Diskussion so eine Art Flow. Also dass bestimmte Bereiche im Gehirn mehr aktiv sind, andere werden eher dann abgeschaltet und vor allem das Belohnungssystem wird hochgefahren - das limbische System, wo ich auch viele Emotionen habe und so wirkt das dann auch. Und da komme ich in das High mit rein."
"Wer mal mit 200 Kilometern pro Stunde mit dem Motorrad fährt und versucht, nur mal die Hand vom Lenker zu nehmen, der merkt welche Kräfte da wirken. Selbst, wenn ich den Kopf da ein bisschen zur Seite nehme, merke ich: Besser nicht tun. Also es sind immense Kräfte, die durch den Wind da allein wirken."
Kapitel 2: Das Ohr
Was macht den ganz besonderen Sound der Maschinen aus und wie kommt er bei Fahrern und anderen Verkehrsteilnehmern an? In "Bertl's Harley-Davidson" in Bamberg erfahre ich mehr über den Sound.
"Der besondere Sound kommt durch das Motorenprinzip. Wir haben einen V2-Motor und haben beide Kolben gleichlaufend. Nur um den Zylinder-Grad versetzt und dadurch kommt der Sound."
Berthold Paukner, Chef von Bertl´s Harley-Davidson in Bamberg
Berthold Paukner gibt sich alle Mühe, mir zu erklären, was bei Harley weltberühmt wurde: Dieses ganz besondere Geräusch.
"Es ist schwer zu erklären, aber Billy Jay Davidson sagt immer: Das ist der Herzschlag der Mutter, den das Kind schon vor der Geburt hört. Tuk Tuk Tuk Tuk."
Berthold Paukner, besser bekannt als Chef von Bertl´s Harley-Davidson in Bamberg
Nicht der Auspuff eines Motorrads, sondern Vögel geben in Würgau in der Fränkischen Schweiz den Ton an. Das ist jetzt im Frühling ein kleines Wunder. Noch im letzten Jahr war der Würgauer Berg mit seinen legendär engen Kurven das Mekka der fränkischen Motorradszene. Heute können die Menschen dort entspannt ihren Kaffee auf der Terrasse des Hotels Sonne genießen. Keine Motorrad-Sounds dröhnen durch die idyllische Landschaft. Nach etlichen schlimmen Unfällen auf dem Würgauer Berg ist die Strecke für Biker am Wochenende gesperrt. Oben vor der ersten Kurve steht tatsächlich gerade die Polizei.
Kapitel 3: Der Magen
In der Fränkischen Schweiz hält die Biker-Szene ganze Wirtshäuser am Leben, die sich wiederum speziell auf ihre Kundschaft einstellen. Denn wer eine Reise tut, der muss auch mal Pause machen – das gilt auch und vor allem für Biker. Ohne sie hätten viele Wirtshäuser in der Fränkischen Schweiz ein dickes Umsatz-Loch in den Büchern. Auf der Maschine sitzen sie allein, maximal zu zweit. Doch Gemeinschaft steht bei Motorradfahren ganz weit oben. Und diese Gemeinschaft hat ihre eigenen Regeln – nicht jeder darf sofort rein. Ich tu mich tatsächlich schwer – hatte schon einfachere Interviews.
Eine Currywurst später: Vor mir setzt sich Volker aus Franken mit seiner Frau an einen Tisch mit Volker aus Bremen. Beide lernen sich erst hier kennen und beide sind nach gefühlt zwei Minuten beste Freunde. Ich setze mich an ihren Tisch – und gehöre auf einmal auch dazu – fast.
"Ich sag a mal, unter Bikern gibt’s kein Sie. Da gibt’s nur das Du. Das ist wie bei den Truckern. Das ist eine feste eingeschworene Gemeinschaft. Und wenn du siehst als Biker, dass irgendwer am Straßenrand steht und ein Problem hat, da hält jeder Biker an. Das ist halt a Zusammenhalt. Da nimmt einer auf den anderen Rücksicht. Ein eigeschworener Lebensstil, Kameradschaft und jeder genießt das Kurvenfahren, die Schräglage und, und, und."
Biker Volker
Die Gemeinschaft setzt sich auch beim Fahren fort – von einem Motorrad zum anderen. Auf meiner Reise quer durch den Motorradkosmos fährt ein Biker vor mir. Auf der Gegenfahrbahn kommen ihm scharenweise Kollegen entgegen – sie fahren heim von der Sternfahrt in Kulmbach. Der Biker vor mir hebt im Sekundentakt seine linke Hand kurz nach oben – ein Marathon-Gruß, erwidert von der Gegenseite.
Kapitel 4: Die Hand
"Ihr macht immer so Handzeichen unterwegs?"
Autor Matthias Rüd
"Ja, um Hallo zu sagen, aber wenn so viele fahren, dann nicht mehr, weil sonst fährt man nur noch so einarmig rum."
Biker
"Gibt’s noch andere Geheimzeichen, die ich kennen müsste?"
Autor Matthias Rüd
"Ja, also wenn man die Hand so auf und zu macht, dann heißt das, der Blinker ist an, weil der macht beim Motorrad ja keine Geräusche. Und es gibt noch auf den Tank zeigen. Also wenn man so macht, dann heißt das: Ich muss tanken. Und wenn man den rechten Fuß raus tut, dann heißt das, danke fürs Einscheren lassen und wenn man den linken raus tut, dann, da ist ein Blitzer in den nächsten 50 Metern oder so. Also es gibt schon noch a weng Sachen, die man wissen muss."
Biker
Kapitel 5: Das Auge
Ich bin langsam soweit! Das Motorradfieber kribbelt sich von den Zehen nach oben. Anprobe im Nürnberger Giga-Store der Biker-Ladenkette Louis. Giga heißt: Hier gibt es von allem viel. Mehrere Reihen mit Motorradbekleidung, Leder oder Textil. Protektoren außen, also Plastikschultern und Plastik-Knie, oder innen. Verkäufer Alexander Kehl gibt mir eine schwarze Lederkombi zum Anprobieren.
Jacke und Hose werden mit einem Reißverschluss verbunden: Mein erstes Mal in einer Motorradkombi. Die fühlt sich fast an wie ein Korsett. Protektoren stecken im Rücken, den Schultern, den Armen, den Knien – sozusagen mein Airbag direkt am Körper.
"Wir reden von einer passiven Sicherheit. Das heißt, es darf nichts drücken, nichts zwicken, weil das Problem ist, dass dann die Konzentration beim Fahren darunter leiden kann. Und das ist wichtig, dass du auf dein Gefühl hörst."
Alexander Kehl, Verkäufer
Mein Gefühl? Ich fühle mich tatsächlich schon ein klein wenig wie ein Biker. Kleidung macht den Motorradfahrer. Allerdings: Ich mag es eher farbig, viele Biker anscheinend nicht – mattschwarz ist die Trendfarbe der Saison, seit vielen Jahren. Anders wäre besser, findet auch Alexander Kehl.
"Meine Empfehlung ist immer: So auffällig wie möglich. Wir haben ein sehr hohes Verkaufsaufkommen auf der Straße und deswegen ist es wichtig, dass man als Motorradfahrer auffällt."
Alexander Kehl, Verkäufer
Auffällig finde ich vor allem die Biker-Stiefel. Sie erinnern mich an den Film Robo-Cop. Der Grund dafür lässt mich wieder etwas in der Realität ankommen.
"Hier der SMX, der ist mit einem vernünftigen Knöchelschutz ausgestattet. Hat einen Schleifer mit dran, das heißt, wenn man etwas weiter runtergeht in den Kurven."
Alexander Kehl, Verkäufer
Kapitel 6: Ich auf dem Motorrad
Für mich heißt es am Ende: Mein gesammeltes Wissen anwenden. Also setze ich mich auf ein Motorrad. Dem Fahrer und mir geht es hinterher gut. Auch allen anderen Verkehrsteilnehmern. Mein Fazit geht an euch, liebe "echte" Motorradfahrer: Ich habe nur einen kleinen Einblick in euren Kosmos bekommen, kann aber sagen: Respekt! Es ist nicht meine Welt, aber es ist eine ziemlich faszinierende Welt. Also macht weiter, genießt den Rausch der Kurven – und wir treffen uns dann, wenn ihr Pause macht, zum Schäuferle in der Biker-Wirtschaft eures Vertrauens.