Grenzenlos Auf der Suche nach der fränkischen Identität
Heimat ist "vielleicht da, wo sie sagen: Da kommt er wieder, der Depp". Sagt Erwin Pelzig. Doch wie steht es um das Lebensgefühl der Franken, die am Rand wohnen – oder in Hessen, Baden und Thüringen? Eine Spurensuche.
Der Kabarettist Urban Priol hat es nicht weit nach Hessen. Er ist am Main aufgewachsen, im unterfränkischen Obernburg. Von dort sind es rund acht Kilometer bis Hessen. Priol lebt und arbeitet, wenn er gerade nicht auf Tournee ist, in Aschaffenburg am Rand von Franken und macht sich darüber lustig, dass er noch kein Hesse ist.
"Wir sind so ein bisschen wie das gallische Dorf. Um uns rum sind die römisch-bayerischen Lager, der Spessart ist der Karnutenwald und ab und an gehen wir da hin zum Mistelschneiden. Also, ich steh dazu, wo ich bin. Ist schon toll, diese Randlage. Wir sind schnell in Baden-Württemberg, ganz schnell in Hessen, wir haben's nach Thüringen auch nicht so weit, wir sind in zwei Stunden in Frankreich. Ich fühl mich hier pudelwohl, tolle Gegend, ich bin aus Überzeugung Ascheberscher."
Urban Priol, Kabarettist
Die am weitesten im Westen liegende Gegend Bayerns
Der Kahlgrund ist die am weitesten im Westen liegende Gegend Bayerns. Und mit 102 Höhenmetern auch die tiefste Stelle. Seinen Namen hat der Kahlgrund von dem gut 30 Kilometer langen Fluss Kahl, der im Spessart entspringt und bei Kahl am Main in den Main mündet. Von hier sind es nur noch 30 Kilometer nach Frankfurt. Und hier hat Franz Werthmann die längste Zeit seine Lebens gelebt und gearbeitet. Sein Heimatdorf heißt Blankenbach.
"Wir haben hier im Kahlgrund ein Oktoberfest. Da sind die Abende ausverkauft. Man möchte wirklich zeigen: Da ist man noch in Bayern. Gegenüber ist dann Horbach und da ist die Kerb und die bringt‘s auch genau auf dieses Level. Die haben aber nix mit dem Oktoberfest am Hut."
Franz Werthmann, Lehrer aus Blankenbach
Wie nah sind sich Hessen und Franken?
Acht Kilometer südlich von Urban Priols Kindheitsstadt Obernburg liegt gleich hinter der Landesgrenze im Schatten der mächtigen Breuburg das Städtchen Breuberg in Hessen. Doch wie nah sind sich die Odenwälder und die Franken?
"Die Grenze zwischen Hessen und Bayern ist jetzt offen, kein Schlagbaum mehr, aber irgendwo ist doch kulturell eine Grenze. Die Kultur hier im Odenwald ist doch ein bisschen anders als die Kultur drüben am Main. Da hat man den Eindruck, dass die Bevölkerung geselliger ist, sich häufiger irgendwo trifft und zusammen einen Wein trinkt oder irgendwas macht und hier in Hessen, gut, man trifft sich hier auch, aber es ist nicht so gesellig hier. Der Odenwälder ist mehr so ein bisschen der Hinterwäldler."
Jürgen Maul
Es kommt gar nicht so selten vor, dass Schüler und Schülerinnen nach der zehnten Klasse an ein hessisches Gymnasium überwechseln, um dort mit einem vermeintlich einfacheren Abitur einen besseren Notendurchschnitt zu erreichen oder überhaupt das Abitur zu bestehen. Es gibt aber auch die umgekehrten Fälle. Das zeigt das Beispiel Julius-Echter-Gymnasium in Elsenfeld. An der bayerischen Schule gibt es viele hessische Schüler. Bertram Söller unterrichtet dort Deutsch und Katholische Religionslehre. Aber er lebt mainaufwärts im badischen Freudenberg.
Während sich das Maintal bei Elsenfeld und Obernburg zu weiten beginnt, rücken mainaufwärts die Bergbuckel und Wälder von Spessart und Odenwald nah an den Fluss heran. Am Südufer Freudenberg und Baden, am Nordufer Kirschfurth, das zu Unterfranken gehört.
"Wir gehen über den Main, aber dass da ein großes Bewusstsein damit verbunden wäre, dass wir unser Bundesland verlassen und nach Bayern gehen, das merken wir Erwachsene nicht so sehr. Das merken aber die Schulkinder, die in Freudenberg, Baden den Kindergarten besuchen und sobald sie dann in die Grundschule kommen, müssen sie nach Collenberg in die bayerische Grundschule und dürfen nicht mit ihren badischen Spielkameraden aus dem Kindergarten in die Freudenberger Schule gehen, das heißt sie müssen vom ersten Schultag an mit dem Bus in die Schule fahren, wobei sie nur wenige Schritte hätten über die Brücke, um in Baden die Grundschule zu besuchen."
Bertram Söller, Lehrer am Julius-Echter-Gymnasium in Elsenfeld
Lieber Baden oder Hessen als Oberbayern
Merkwürdig – für die Erstklässler ist die Grenze ein Hindernis, nicht aber für deren Lehrer. Die fränkischen Grundschullehrer werden oft in Oberbayern eingeteilt, aber ein Franke aus Würzburg oder der Region Miltenberg geht ungern für viele Jahre nach Oberbayern. Diese Lehramtsanwärter treten ihren Schuldienst dann lieber in Baden oder Hessen an und können in ihrer Heimatregion wohnen bleiben.
"Wir badischen Franken aus Freudenberg gehen gern in die fränkische Häckerwirtschaft nach Bürgstadt oder Großheubach. Unsere Fußballer sind voll akzeptiert in den bayerischen Ligen, wo sie kicken. Im Gegensatz dazu starten die Leichtathleten bei den badischen Landesmeisterschaften, also im ganz anderen Landesverband. Wir sind mit dieser Grenzlage groß geworden und Probleme sehe ich nicht. Es wird uns hin und wieder bewusst, siehe die Pfarrgemeinde: Die Katholiken aus dem fränkischen Kirschfurt gehören zur Diözese Freiburg, also zu Baden. Ihr Bischof in Würzburg, wenn sie dazugehören würden, wohnt 60 Kilometer entfernt, jetzt gehören sie zum Erzbischof in Freiburg, der 310 Kilometer entfernt wohnt."
Bertram Söller, Lehrer am Julius-Echter-Gymnasium in Elsenfeld
Fränkische Heimat in Thüringen
Ortswechsel: Das thüringische Heldburg liegt rund 15 Kilometer westlich vom oberfränkischen Coburg. Ulrich Neundorf arbeitet als Lehrer die Woche über in Erfurt. Sein thüringisches Städtchen empfindet er als fränkische Gegend.
"Es ist sicher eine der kleinsten Städte in Deutschland, aber es lebt sich hier sehr schön in unserer fränkischen Heimat. Schon immer haben wir hier gewohnt zu Füßen der 'fränkischen Leuchte', unserer Festung, und immer auch auf Sichtweite der 'fränkischen Krone'. Das war die Feste Coburg."
Ulrich Neundorf, Lehrer aus dem thüringischen Heldburg
Grenzziehung ändert nichts an der Verbundenheit mit Franken
Als Sachsen-Coburg 1920 per Volksentscheid zum Freistaat Bayern und Sachsen-Meiningen, damals etwa zwei Drittel des heutigen Südthüringen zum damals neu gegründeten Land Thüringen kamen, blieben die Menschen außerhalb der bayerischen Grenzen immer noch stark mit Franken verbunden. Daran konnte selbst die Zonengrenze nichts ändern. Sie umgab Heldburg bedrohlich nah von drei Seiten.
Thüringischer Anschluss ans bayerische Franken?
Südlich des Thüringer Waldes sprechen die Menschen fränkischen Dialekt, sie lieben ihre Bratwürste und Klöße und begehen ähnliche Bräuche wie zum Beispiel die Kirchweihfeste. Es ist hier im Fränkisch-Thüringischen sogar öfters die Rede davon, ob es denn keine Möglichkeit gebe, sich politisch ans bayerische Franken anzuschließen, etwa im Rahmen einer Volksabstimmung.
"Es gab ja hier in den Zwanzigerjahren eine Abstimmung nach der Gründung Thüringens aus den ehemaligen Fürstentümern, wo die Bürger hinwollen und damals ist ja auch die Coburger Gegend zu Bayern gekommen und hier im Heldburger Zipfel war die Mehrheit für Thüringen. Wenn es da heute eine entsprechende Abstimmung gäbe, da bräuchte ich nicht lange zu rätseln, wie die ausgeht."
Ulrich Neundorf, Lehrer aus dem thüringischen Heldburg
Ein Streiter für die fränkische Identität
Thomas Schwämmlein ist Kreisheimatpfleger des thüringischen Landkreises Sonneberg, gleichzeitig aber auch ein kenntnisreicher Redakteur der Heimatzeitung und ein unermüdlicher Streiter für die fränkische Identität.
"Die Franken haben sich immer als ein sehr offenes und auch interpretationsbedürftiges Gebilde gezeigt. Insofern ist es also müßig, Karten zu zeichnen wie ein Bundesland Franken aussehen könnte. Man sollte vielmehr berücksichtigen, dass es eben fränkisch geprägte Regionen in Bayern, in Thüringen, Hessen aber eben auch in Baden Württemberg gibt, deren kulturelle Eigenständigkeit auch jeder Kultusminister oder andere Ministerialbeauftragte auch gut beraten ist zu wahren."
Thomas Schwämmlein, Kreisheimatpfleger des thüringischen Landkreises Sonneberg
Urban Priol warnt derweil vor Grenzziehung und separatistischem Gedankengut.
"Die Schotten wollen ja von England los, in Katalonien gab's das Referendum. Ich habe etwas Sorge, wenn der Seehofer auf die Idee kommt und sagt, jetzt spalten wir Bayern vom Bund ab. Dann kommen die Franken und sagen, dann lösen wir uns von Bayern und dann wird der Söder König von Nürnberg. Und bei mir der Kahlgrund, die sagen dann, wir gehen nach Hessen, dann haben wir den besseren S-Bahn-Anschluss. Also so war das vereinte Europa, glaube ich, nicht gedacht."
Urban Priol, Kabarettist