"Gutes Beispiel" Ein Wettbewerb wird fünf
Seit 2016 sucht Bayern 2 nach guten Beispielen. Nach Menschen und Initiativen, die mit ihren Ideen versuchen, unser Leben besser zu machen. 25 prämierte Projekte gab es seither. Doch was passiert, wenn der Wettbewerb vorbei ist?
Es sind pro Jahr 400-500 Projekte, die sich für die Aktion "Gutes Beispiel" bewerben und natürlich wären viel mehr preiswürdig, als nur die fünf Preisträger, die seit 2016 jedes Jahr gekürt wurden. Was passiert mit ihnen nach dem Wettbewerb, was lässt sich über diejenigen erzählen, die es nicht ganz geschafft haben und was lässt sich über den Zustand unserer Gesellschaft sagen, die neben vielen Problemen vielleicht auch noch mehr verborgene Lebenskräfte hat? Darum soll es nun gehen. Zunächst fragen wir bei den Verantwortlichen nach ihren Erfahrungen. Julia Nether ist seit Anfang an dabei.
"Wir kamen gemeinsam auf die Idee in der Bayern 2-Programmredaktion. Wir hatten früher schon mal einen Vorgänger-Wettbewerb, der hieß Miteinander. Da ging es rein um ehrenamtliches Engagement. Wir haben dann festgestellt, warum muss es nur rein ehrenamtlich sein, weil es so viele Mischformen auch gibt. Wo Leute in ihrer Freizeit etwas machen oder irgendwo angedockt sind. An einem Verband, einem Verein, wo eventuell auch Geld damit verdient wird, aber wo man trotzdem noch sagen kann, es ist primär etwas, was der Gesellschaft zu Gute kommt, wo nicht das Profitinteresse dahintersteht."
Julia Nether, Redakteurin
Bedrückende Anlässe, beeindruckendes Engagement
Es ist beeindruckend zu sehen, worum sich Menschen kümmern und wie viele Möglichkeiten es gibt, die Welt ein wenig besser zu machen. Bedrückend nur, dass dafür die Anlässe nicht weniger zu werden scheinen.
"Man kann schon feststellen, dass es ein bisschen einen gesellschaftlichen Trend widerspiegelt. In den Jahren 2016, 2017 hatten wir wahnsinnig viele Projekte, die sich um das Thema Flüchtlinge und Integration kümmern. Da hat sich der Fokus im Lauf der Jahre verschoben. Am Anfang war es die akute Soforthilfe und später ging es dann eher in die Richtung, wie kann man jetzt Flüchtlingen dauerhaft helfen, Wohnungen zu finden, sie in den Arbeitsmarkt zu integrieren."
Julia Nether, Redakteurin
"Wir sind gespannt, wie es dieses Jahr wird. Mit Corona-Initiativen, Nachbarschaftshilfen, Einkaufshilfen und so weiter. Wir vermuten, dass da auch eine ganze Menge kommt. Wir haben die politisch aktuell bedingten Schwerpunkte, wo immer ziemlich viel kommt, aber dann ist immer etwas dabei aus dem Bereich Entwicklungspolitik. Anderen Ländern helfen. In Afrika, in Nepal, was auch immer. Es sind immer auch Sachen dabei wo wir so kleine Nachbarschafts-Initiativen haben. Ältere Menschen mitnehmen, sie zu unterstützen, genauso wie benachteiligte Jugendliche. Es ist schon so ein Grundmuster, was erkennbar ist. Was wiederum auch die ganzen Problemfelder der Gesellschaft gut abbildet. Und dann natürlich noch die Umweltprojekte, Klimaprojekte. Von Pflanzen und Samenschutz bis hin zu großen Verkehrswende Projekten."
Stefan Maier, Programmbereichsleiter Bayern 2
Engagierte Prominente in der Jury
Eine große Vielfalt jedenfalls die Stefan Maier von Bayern 2 hier aufzeigt. Und man kann sich vorstellen, dass es keine einfache Aufgabe ist, da auszuwählen. Es sind in den Jurys aber immer auch Prominente dabei, die sich selber engagieren. Das waren zum Beispiel Felix Neureuther, Verena Bentele als Präsidentin des Sozialverbandes VdK, Alois Glück, Barbara Stamm – um nur einige zu nennen. Die sehen sich nun diesen vielen engagierten Projekten gegenüber und haben die Qual der Wahl.
Gute Nachrichten verbreiten
Darum geht es: positive Beispiele zeigen und sie damit stärken. Und für einen Sender wie den Bayerischen Rundfunk ist es eine Gelegenheit, auch gute Nachrichten zu verbreiten.
"Wenn ich an die Medien denke, denke ich vor allem an Dokus oder Reportagen, die vor allem Probleme thematisieren und aufbereiten, was natürlich ein Teil des Ganzen ist. Manchmal wäre es cool, vielleicht mehr in Lösungen zu denken. Und zu versuchen, Lösungen eine Plattform zu geben. Egal ob es Unternehmen oder Initiativen sind. Da könnte medial vielleicht noch ein bisschen mehr passieren. Natürlich ist ein Initiative wie das gute Beispiel eine schöne Sache für Organisationen wie uns, weil wir da eine Plattform finden können."
Christian Escher, 'Rehab Republic'
"Einmal ohne bitte" – Einsatz für eine Welt ohne Plastik
Christian Escher ist einer der Initiatoren des Vereins "Rehab Republic", der seit 2012 versucht, mit Witz und einer Portion Übermut Lust auf nachhaltige Entwicklungen zu machen. Beworben hatte man sich bei einem der ersten Wettbewerbs-Jahrgänge mit "Einmal ohne bitte" – einem Label, das müllfreies Einkaufen stimulieren soll. Svenja Hübinger leitet das Projekt.
"Die Idee ist entstanden, weil wir gemerkt haben, dass es immer noch eine ziemlich große Hemmschwelle gibt. Zum einen seitens der Kunden. Das Gefühl kennt jeder, vor dem Laden zu stehen und sich zu fragen, werde ich hier überhaupt akzeptiert, wenn ich mit meiner eigenen Box komme. Und dann schaut mich das Servicepersonal ganz schräg an. Und auf der anderen Seite, hinter der Theke, da weiß das Servicepersonal nicht Bescheid, wie die hygienischen Abläufe sind, wie sie diese Box befüllen."
Svenja Hübinger, 'Einmal ohne bitte'
Dabei gibt es aus fachlicher Sicht keine Einwände und in jedem Bundesland gibt es Merkblätter, die das klarstellen. 'Einmal ohne bitte' versucht mit locker lockender Ernsthaftigkeit, Freude an der Veränderung von Gewohnheiten zu vermitteln. Indem man ganz einfach Aufklärung betreibt und das sichtbar macht. Teilnehmende Geschäfte zeigen das, indem sie mit dem Logo der Aktion werben. Es gibt eine Website, auf der die Geschäfte zu finden sind und sogenannte Botschafter*innen des Projektes sorgen dafür, dass es immer mehr werden.
SoLaWi – Solidarische Landwirtschaft in Nürnberg
Ein weiteres gutes Beispiel bewegt sich im Landwirtschaftsmilieu und geht die Frage an, wie es denn wäre, wenn wir uns als Verbraucher dafür interessieren würden, wie und unter welchen Umständen denn unsere Lebensmittel eigentlich so produziert werden. Genau darum kümmert sich das Projekt "SoLaWi (Solidarische Landwirtschaft)" in Nürnberg. Preisträger im ersten Jahr des Guten Beispiels, 2016. Hier geht es darum, als Verbraucher Landwirte solidarisch zu unterstützen. Man teilt sich die Kosten der Produktion und die Ernte. Stefan Bessler ist einer der sogenannten Ernteteiler, also ein bisheriger Nur-Konsument, ohne landwirtschaftliche Vorerfahrungen.
"Wir machen praktisch eine Vollkostenkalkulation vorab. Der Landwirt macht die zusammen mit den Ernteteilern. Und der Lohn wird nicht allein vom Landwirt festgelegt, sondern von der Ernteteiler-Gemeinschaft."
Stefan Bessler, Ernteteiler
Es ist eigentlich ganz einfach: Der Landwirt sagt, was er für seine Arbeit braucht. Und die bisherigen Nur-Konsumenten stecken plötzlich mitten drin in der Komplexität des Themas. Man versteht, dass es bei Lebensmitteln um das Leben von Pflanzen, Menschen und Tieren geht. Als Ernteteiler bekommt man aus der eigenen Anschauung ein neues Bewusstsein für den Wert der bäuerlichen Arbeit. Das ist ein anderes Gefühl, als vor der Fleischtheke im Supermarkt. Vor all den eingeschweißten Hühnerteilen, die wie x-beliebige Plastikprodukte nur nach dem günstigsten Preis beurteilt werden. Stefan Bessler jedenfalls weiß jetzt den Wert der Tiere zu würdigen, die bei dem Bauern seines Vertrauens aufwachsen.
"Ich hab' ganz viel dazu gelernt. Vor allem dadurch, dass wir ein Projekt eingeführt haben, das ganzheitlich das Huhn betrachtet. Da bin ich wirklich fit geworden. Weil man mit dem Landwirt sehr viel Austausch hat. Jedes Mal, wenn ich mit ihm spreche oder am Hof bin, lerne ich dazu. Und das ist auch etwas, was mir immens Spaß macht."
Stefan Bessler, Ernteteiler
Projekt "Ackerwert" in Niederbayern
Wir sollten noch kurz bei dem Thema der Landwirtschaft bleiben und das Projekt von Lioba Degenfelder vorstellen, die es sich in Niederbayern zur Aufgabe gemacht hat, Eigentümer von landwirtschaftlich nutzbaren Flächen mit Landwirten zusammenzubringen, die sich darauf einlassen, den Boden besser und möglichst nachhaltig zu bewirtschaften und neuen und besseren Ackerwert schaffen. "Ackerwert" ist auch der Name ihres Projektes, das 2020 in den Wettbewerb "Gutes Beispiel" ging. Und es ist eigentlich merkwürdig, dass man auf scheinbar Selbstverständliches wie den Wert des nachhaltig gepflegten Bodens extra hinweisen muss. Aber Lioba Degenfelder weiß auch, dass dieser Wert für manchen Landwirt nicht sofort und einfach zu würdigen ist.
"Weil der seit 40 Jahren das Gleiche macht und das Gleiche hört. Der ist in seinem sozialen Umkreis, in seinem sozialen Netzwerk drin und hat in seiner ganzen Ausbildung gehört, er muss billig, effizient, effektiv produzieren."
Lioba Degenfelder, Ackerwert
Es ist einer der großen blinden Flecken in unserem Gesichtsfeld: Wir wollten und wollen bisher einfach nicht einsehen, dass es neben Arbeit und Kapital einen weiteren wesentlichen Produktionsfaktor gibt und das ist das Naturkapital. Der Wert der Natur hat nichts mit heiler-Welt-Romantik zu tun, sondern ist auch ein entscheidender ökonomischer Faktor. Der uns in nicht allzu langer Zeit schmerzhaft bewusstwerden wird.
Doch kurzfristig gedacht überwiegen die Nöte der Bauern, die zu immer stärkerem Größenwachstum gezwungen sind und im Würgegriff der Kredite ächzen. Lioba Degenfelder kennt diese Nöte genauso, wie sie Wege und Fördermöglichkeiten aufzeigen kann, die den Wert des Bodens steigern und erhalten können. Und sie hat damit Erfolg.
"Fahrstuhl" aus Unterfranken – ein Mitnahmesystem
Genauso wie so viele andere Themen und Projekte, die sich im Guten Beispiel zeigen. Es ist ein großes Thema. Ich denke an den "Fahrstuhl" im unterfränkischen Sinngrund. Ein Mitnahmesystem, das als Ergänzung des öffentlichen Nahverkehrs eine einfache Möglichkeit bietet, im ländlichen Raum herumzukommen. Man setzt sich dazu einfach auf eine der blauen Bänke, die zahlreich an den einschlägigen Routen verteilt sind und signalisiert dadurch: Nimm mich mit. Das klappt seit 2019, als man einer der Preisträger des "Guten Beispiels" war, und wird hoffentlich weiter expandieren, sobald die Corona-Situation wieder Kontakte erlaubt.
"Nana - Recover your smile" – Schön mit Krebs
Eine Initiative des Wettbewerbs "Gutes Beispiel" geht besonders unter die Haut. Weil es darum geht, was unter dieser unserer Haut stecken kann. Weil es uns alle existenziell betreffen kann. Weil es um Leben und Tod geht. "Recover your smile". Die grundsätzliche Idee stammte von Barbara Stäckers Tochter Nana, die an Knochenkrebs erkrankte, ihrer Krankheit aber ihr Lächeln und viele Fotos entgegensetzte.
"In der Zeit ihrer Therapie, in der Haarlosigkeit, haben wir beide gemeinsam ganz viele Fotos gemacht. Auch dann mit anderen Fotografen, die auf sie aufmerksam wurden, das hat ihr selber ganz viel gebracht, mutiger zu werden, stärker, selbstbewusster zu sein. Das hatte einen ganz großen Effekt für sie und sie hat dann selber gesagt, ich möchte, dass das andere auch können. Können wir nicht etwas machen, dass Frauen kommen können, und die werden geschminkt, gestylt und wir machen Fotos, dass sie sich wieder schön finden können. Als meine Tochter im Jahr 2012 leider verstorben ist, war mir, meiner Familie und auch einigen engen Freunden, die das miterlebt haben, ganz schnell klar, dass die Idee viel zu gut ist, um sie untergehen zu lassen und so haben wir einen Verein gegründet und ganz schnell damit gestartet."
Barbara Stäcker, 'Recover your smile'
Auf der Website von "Recover your smile" kann man sehr viele der entstandenen Fotos sehen. Junge Menschen, wenige Männer, viele Frauen, kahle Köpfe und Gesichter, aus denen oft ein Lächeln leuchtet. Evi Schmalhofer ist mitten in ihrer Krebstherapie und hat zu unserem Interview wunderschöne Fotos von sich mitgebracht. Fotos, die ihr Selbstbewusstsein gestärkt haben.
"Da ist dieses Shooting durchaus eine Stütze. Man gewinnt schon Selbstbewusstsein. Mir ging es auch so, als ich die tollen Fotos am Ende hatte. Da dachte ich mir: Wow, das bin tatsächlich ich. So toll kann ich aussehen, auch wenn ich jetzt meine Haare nicht mehr habe, meine Wimpern, meine Augenbrauen weg sind. Aber ja, ich bin immer noch der gleiche Mensch, der ich vorher auch schon war. Das stärkt ungemein."
Evi Schmalhofer
Wenn Evi Schmalhofer erzählt, wird spürbar, welche Kraft in dem Projekt steckt. Es gibt sogar eine wissenschaftliche Studie, die belegt wie wichtig diese Intervention für den Verlauf der Krankheit sein kann. Doch das Tabu, Krankheit und Tod darzustellen, bleibt immer spürbar.
"Das erlebt man als Angehörige auch, dieses Tabu, dass viele nicht damit umgehen können. Aber jetzt nach etlichen Jahren mit vielen Gruppen an Krebs erkrankter Frauen, kann ich nur sagen, man kann über alles offen reden. Man darf sich das trauen. Man kann alles fragen. Jeder hat ja auch die Option zu sagen, das möchte ich jetzt gerade nicht beantworten. Eine ehrliche Offenheit und ein Interesse an Menschen ist allemal besser als gar nichts zu sagen. Nur Mut. Ist mein Rat."
Barbara Stäcker, 'Recover your smile'
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