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"Kleine Sammlung Fränkischer Dörfer" Heimat, wo der Hund begraben liegt?

Helmut Haberkamm stellt 20 fränkische Kleindörfer vor, in denen zwar der Hund begraben liegt, doch die Dorfgemeinschaft lebt. Seine "Kleine Sammlung fränkischer Dörfer" wandelt zwischen idyllischen Sehnsuchtsoasen und dem Ende der Welt.

Von: Tilla Schnickmann

Stand: 21.12.2018 | Archiv

"Kleine Sammlung Fränkischer Dörfer": Heimat, wo der Hund begraben liegt?

Nein, Auernhofen ist nicht das Ende der Welt. Doch um hierhin zu kommen, fährt man lange, auf kleinen Straßen, über sanfte Hügel, vorbei an Zuckerrübenfeldern. Vor dem Ortseingang sind Obstwiesen, dann kommen Silos, Scheunen, Traktoren und viele Hühner. Hier liegt noch echte Landluft: frisch, mit einer Prise Gülle. Auernhofen gehört zum Landkreis Neustadt an der Aisch, aber das ist 45 Kilometer entfernt. In 43 Haushalten leben hier nur 126 Einwohner.

"Was ist das Besondere an diesem Dorf? Dass es hier noch mehr Landwirte gibt als in zehnmal so großen Ortschaften? Sind es die vielen schönen Gehöfte? Oder dass es in diesem Zuckerrüben- Eldorado veritable Weinbauern gibt? Dass es in 63 Jahren neunmal Zwillingsgeburten gab? Dass in diesem Bauerndorf Exoten ansässig sind, die kein Mensch hier erwarten würde? Zum Beispiel ein exquisiter Winzer und Koch mit seinem Gourmet-Lokal. Oder ein moslemischer Optiker, der beim Maibaumaufstellen einen Cocktailstand betreibt und die Einnahmen spendet. Kein Zweifel: Auernhofen hat Überraschendes zu bieten."

aus 'Kleine Sammlung fränkischer Dörfer'

Eben diese Überraschungen sucht Autor Helmut Haberkamm für seine Sammlung fränkischer Dörfer. Orte "mit Substanz" nennt er sie. Mehrere Wochen fuhr er durchs Land und wählte am Ende 20 Dörfer aus, darunter auch Steindl in der Oberpfalz, wo er als erstes drei Damen mit Schrubbern begegnet, die das Gemeindehaus reinigen.

Helmut Haberkamm | Bild: Helmut Haberkamm

"Da hab' ich gemerkt, da ist ein guter Geist da in den Dorf, die machen was gemeinsam, die stellen was auf die Beine, die geben die Arbeit weiter, so dass jeder Profit hat im Dorf. Das hat mir gefallen. Und dann hab ich noch gemerkt, Mensch, da sind interessante Sachen, ein alter Bahnhof, der nicht mehr genutzt wird, eine alte Fabrik, die interessant ist, da ist ein Biohof da. Der Ort hat was und das hat sich bestätigt."

Helmut Haberkamm

Aus Ober-, Mittel und Unterfranken stellt Haberkamm jeweils fünf bis sechs Dörfer vor, aber auch je zwei aus der Grenzregion zu Thüringen oder dem Hohenlohischen, an der Grenze zu Baden-Württemberg, die ebenfalls fränkisch geprägt sind. Die Intention des Autors war, das Dorf selbst zu erleben. Unvoreingenommen. Offen zu sein für das was vor Ort greifbar ist und was Menschen ihm im Gespräch offenbaren.

"Ich habe immer versucht Dialekt zu reden, denn das schließt sofort die Ohren und Herzen auf. Und dann habe ich unverfänglich angefangen und dann kommt man ins Plaudern und dann wird man gefragt: 'Ja, was machen denn Sie da?' Und dann kann man sagen: 'Ja, ich interessiere mich für kleine Dörfer und schreibe ein Buch und da wurde Ihr Dorf vorgeschlagen.' 'Was unser Dorf, na wir ham doch nix.' ' Doch da gibt's schon was, was Sie haben.' 'Na, dann gehen se amol nauf, da wohnt der Hans, der weiß viel. Den fragnse, da sagnss a schenan Gruß und sagns ich hab sie gschickt.'"

Helmut Haberkamm

Zwei bis drei Tage blieb er jeweils im Ort, sammelte Eindrücke und Begegnungen, die er in literarische Geschichten, Episoden und Erinnerungen packte. Jedes Dorf wird auf drei bis zehn Seiten vorgestellt. In diesen kurzen Essays versucht er das Besondere einzufangen. Geschichten, die einmalig und doch auch übertragbar sind: "Es gibt Hunderte, Tausende solcher Dörfer - aber ein einziges genügt, um uns etwas wirklich Wesentliches zu erzählen."

Manche Orte kommen vertraut vor, andere wiederum haben ihre ganz besondere Geschichte, wie zum Beispiel Döhlau im Landkreis Hof, direkt an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze.

"Jede Person, die nach Döhlau wollte, brauchte einen Passierschein - und einen guten Grund, damit der Passierscheinantrag genehmigt wurde. Nicht nur wenn die Verwandtschaft zu Besuch eingeladen war, konnte es Schwierigkeiten geben. Auch Maurer, Zimmerleute, Dachdecker benötigten einen. Das brachte oft Ärger und Probleme, vor allem für Leute, die ihr Haus renovieren wollten. LPG-Bauern und Fußballspieler brauchten ebenso einen Passierschein wie Blaubeerensammler oder Jäger. Eine Frau, die einkaufen fuhr, wurde angehalten und ohne Passierschein erwischt - von ihrem eigenen Sohn, dem Grenzpolizisten."

aus 'Kleine Sammlung fränkischer Dörfer'

Haberkamm sammelt Dorfgeschichte und -geschichten, schildert Einzelschicksale und Ereignisse. Viel ist zu lesen von Menschen und ihrem Engagement – doch sie bleiben immer ohne Namen. Aber sie prägen die Zukunft des Ortes.

"Ich wollte nicht ein Buch machen über Dörfer, die zerstritten sind, oder verschandelt, ich wollte nicht bloßstellen und kritisieren. Ich wollte zeigen, was möglich ist, wie Menschen mit viel Hingabe leben können."

Helmut Haberkamm

Info

Helmut Haberkamm und Annalena Weber: Kleine Sammlung fränkischer Dörfer, ars vivendi, 223 Seiten, 25 Euro. ISBN 978-3-86913-990-6

Ergänzt werden die literarischen Dorfportraits durch ansprechende Grafiken von Buchdesignerin Annalena Weber, die auch die Ideengeberin war. Auf kreative Art visualisiert sie die Antworten auf viele Fragen: Wie weit sind die Entfernungen zu den nächsten Orten und Gemeinden? Wie viele Menschen wohnen hier, sind sie verwandt und wer ist zugereist? Wie viele Kinder gibt es im Dorf? Welchen Konfessionen gehören die Bewohner an? Welche Feste sind wichtig und welche Vereine? Gibt es überhaupt noch Bauern? Und existiert eine Busverbindung?

Das Buch bietet einen sympathischen Blick auf Dörfer, die schnell übersehen werden. Es zeigt Schlaglichter vom Leben auf dem Land, frei von den gängigen Vorurteilen. Es geht den Autoren weder um die Bloßstellung eines vermeintlichen Kuhkaffs, noch um die Verklärung der Landidylle. Die "Kleine Sammlung fränkischer Dörfer" ist ein Plädoyer für Vielfalt und Eigenheit, für die Individualität im Alltäglichen und für das Besondere im vermeintlich im Provinziellen. Helmut Haberkamm gelingt es, Neugier auf das Naheliegend zu erzeugen und er möchte die Lesenden dazu inspirieren bei der nächsten Reise über Land selbst genau hinzu sehen, um zu spüren.

"Wow, das ist ja ein Kosmos an Kostbarkeiten, der hier vorliegt, wenn ich mich wirklich dafür interessiere."

Helmut Haberkamm


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