Herrn Sailers Gespür für Schnee Perspektiven auf eine faszinierende Materie
Schnee ist ein besonderer Stoff. Er hat viele Namen, viele Funktionen und jede einzelne Flocke ist ein Unikat.
Genau genommen ist Schnee nichts anderes als gefrorenes Wasser. Aber es ist erstaunlich, wie kreativ die Natur damit umgeht. Je nach Temperatur und Feuchtigkeit bilden sich in den Wolken einzigartige Eiskristalle.
"Es gibt die Schneesterne, Dendriten, Säulchen, Platen, Nadeln, Graupeln und die verschiedensten Formen."
Karl Gabl, Meteorologe, langjähriger Leiter der Wetterdienststelle Innsbruck
Allen gemeinsam sind nur ihre Ecken und Kanten: Es sind immer sechs, nicht mehr und nicht weniger. Wenn die Kristalle in den Wolken zu schwer werden, beginnt ihre Reise auf die Erde. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt bilden sich klumpige Grüppchen. Je kälter es ist, umso filigraner sind auch die Schneeflocken.
Schnee ist nicht gleich Schnee
Angeblich haben die Inuit dutzende verschiedene Begriffe für Schnee. Auf Hawaii, dem Inbegriff für den ewigen Sommer, reicht dagegen ein Wort. Obwohl es auch auf den teils 4.000 Meter hohen Bergen der Pazifikinsel regelmäßig schneit. In unseren Breitengraden kennen vor allem die Wintersportler eine Vielzahl von Umschreibungen. Da gibt es den Pulverschnee und den Pappschnee, Firn, Sulz und Bruchharsch, den Haxenbrecherschnee und den Champagnerpowder etc.
"A lustige Schneebeschreibung ist mulf. So ein zammgschobener Frühjahrsschnee, wo man richtig drin stecken bleibt … Der ist schwer und bietet Widerstand."
(Verena Stitzinger Skilehrerin aus Füssen)
Jede Schneeart birgt ihre eigenen Gefahren. An steilen Hängen, wenn Luft- und Bodentemperatur große Unterschiede aufweisen und der Wind den Triebschnee anhäuft, steigt die Lawinengefahr. Auch hier unterscheiden Wetterexperten verschiedene Arten: Staub- und Lockerschneelawinen, Gleit- und Nassschneelawinen und - am gefährlichsten - Schneebretter.
Gespür für Schnee
Der Landwirt Josef Sailer vom Bichlerhof oberhalb von Garmisch-Partenkirchen ist seit Jahrzehnten Wetterbeobachter. Für ihn hat der Schnee vor allem praktische Bedeutung. An erster Stelle steht der Schutz des Bodens. So war es lange Zeit ein ungeschriebenes Gesetz, dass Fuhrwerke und Traktoren nur über eine geschlossene Schneedecke fahren durften.
"Es hat vielleicht in der Gesellschaft nicht mehr die Bedeutung. Aber wer mit Fuhrwerk und Grund und Boden zu tun hat, weiß schon zu schätzen, was der Schnee bedeutet."
Josef Sailer, Landwirt und Wetterbeobachter aus Garmisch-Partenkirchen
Schnee versorgt außerdem den Boden, insbesondere den Bergwald, mit stabiler Feuchtigkeit.
"Der Schnee hat den großen Vorteil, dass er ein Niederschlagspaket liefert, das erstmal liegen bleibt und dann sukzessive in den Boden eindringt. Ned wia Starkregen, der auf einen Schwung daherkommt und relativ schnell eine Wassersättigung im Boden erreicht."
Joachim Mark, Förster
Und Schnee isoliert. Die Wärmedämmung machen sich nicht nur Pflanzen und Tiere zunutze. Er schützt auch vor Lärm.
"Ich glaub, des spürt jeder Mensch, wenn man draußen unterwegs ist und diese Schneestille hat. Alles ist gedämpft und es kommt einem so vor, wie wenn die Luft dicker ist."
Skilehrerin Verena Stitzinger
Schnee ist zudem ein besonderes Phänomen. Er kommt zwar häufig über Nacht, aber selten aus dem Nichts. Sensible Menschen riechen oder merken es, wenn der Winter das Regiment übernehmen will. Sie haben wie Herr Sailer ein Gespür für Schnee.
"I hob jetzt des ein oder andere hinter mir, mit ein paar Verletzungen und Brüchen. Und jetzt hob i heuer des extrem gspürt, wenn’s Wetter rumschlagt, wenn der Körper mal angschlagen is.Man lernt des dann auch zu deuten. I hob des als Kind immer belächelt, wenn die Oidn gsagt ham: i spias am Fuaß, i spias am Knia. Da kimmt der Schnee, des Wetter schlagt um. Es is wirklich so."
Landwirt Josef Sailer